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Kurden-Konflikt: Ein Teehaus mit Aussicht

Ein Besuch im Grenzgebiet zum Irak zeigt: Längst nicht alle Kurden sind gegen den türkischen Kampf gegen die PKK.

Ein dürres Kalb wandert über die Dorfstraße von Kasrik, zwei halbnackte Hühner picken im Unrat, verrotzte Kinder kicken lustlos ein paar Steine herum. Selbst der Gebirgsbach, der sich über allerlei Müll durch die Schlucht von Kasrik quält, wirkt müde und resigniert. Energie und Bewegung gehen nur von den Soldaten in Tarnuniformen aus, die mit einem gepanzerten Mannschaftswagen mitten im Dorf Stellung bezogen haben und mit der Maschinenpistole im Arm alle vorbeikommenden Fahrzeuge kontrollieren. Über dem Tal knattert ein Kampfhubschrauber seinem Ziel in den Bergen entgegen. Hier an der türkischen Grenze zum Irak hat sich das Leben längst dem Krieg untergeordnet. Seit Jahren kämpft die türkische Armee in diesen Bergen gegen die PKK – und seit einigen Tagen verfolgt sie die Rebellen von hier aus über die nahe Grenze in deren Rückzugslager nach Nordirak.

Mit Sandsäcken befestigte Maschinengewehrstellungen ragen deshalb von den Anhöhen auf; alle Abzweigungen sind mit Straßensperren bewehrt, an denen Soldaten die Ausweise der Vorbeikommenden kontrollieren. Unbemerkt soll keiner mehr in diese Berge gelangen. Durch eine brachliegende Landschaft windet sich die Straße in die Provinzhauptstadt Sirnak, die eigentlich ein Lager ist: ein Militärlager zum einen Teil, zum anderen ein Flüchtlingslager für die tausenden vertriebenen Bewohner der Dörfer, die es in diesen Bergen einmal gab.

Mehr als 3000 Ortschaften in Südostanatolien wurden im Krieg zwischen der Armee und den kurdischen PKK-Rebellen in den achtziger und neunziger Jahren zerstört und entvölkert. Die PKK terrorisierte die Bauern dort, brachte Ortsvorsteher und Lehrer um. Die Armee brannte viele Dörfer ganz nieder, um der PKK mit der Taktik der verbrannten Erde den Nachschub und die Unterstützung abzuschneiden. Die Menschen aus diesen ausradierten Orten verloren alles: ihr Vieh, ihre Habe, ihre Heimat. Heute leben sie in Städten wie Sirnak.

Von dem zentralen Platz von Sirnak aus bietet sich eine spektakuläre Aussicht auf die Berge: die schneebedeckte Gipfelkette des Cudi in ihrer ganzen Herrlichkeit und auch Heiligkeit – im Koran landet die Arche Noah auf diesem Berg statt auf dem weiter östlich gelegenen Ararat, wo sie die Bibel ablegte. In einem Teehaus am Platz mit der Aussicht sind viele der früheren Bewohner der kurdischen Bergdörfer zu finden. Seit vielen Jahren sitzen sie hier, trinken Tee und warten darauf, in ihre Dörfer zurückkehren zu können. Manche warten seit Jahrzehnten. „Seit 20 Jahren können wir uns in unserer eigenen Heimat nicht frei bewegen, können wir unser Land nicht betreten und unseren Boden nicht bestellen“, sagt der 40-jährige Kurde Jusuf K.

Die anderen Männer am Tisch murmeln ihre Zustimmung. Auch sie sind vor vielen Jahren vor der PKK in die Stadt geflohen. Arbeit hat keiner der Männer. „Eine gute Sache“ heißt es deshalb auch an einem anderen Tisch über den türkischen Angriff auf die PKK-Rückzugslager in Nordirak. „Das ist absolut richtig“, sagt der 38-jährige Abdullah Cakar. „Die Terroristen kommen aus Nordirak hierher, erschießen Soldaten und normale Leute, dann hauen sie ab und verstecken sich dort. Da muss der Staat doch hinterher.“ Nicht alle im Teehaus sind derselben Ansicht. „Manche denken wie die (Rebellen), manche halten zum Staat“, sagt Cakar. „Aber die meisten sagen einfach gar nichts, weil sie Angst haben.“

Cakar weiß, wovon er spricht. Die PKK hat seinen Vater und seine drei Brüder ermordet. „Wir lebten als Hirten friedlich in unserem Dorf, als die PKK mich 1985 verschleppt hat“, erzählt er vom früheren Brauch der Rebellen, ihre Kämpfer gewaltsam aus den kurdischen Bergdörfern zu rekrutieren. Haci, Münir und Mehmet hießen seine Brüder; sie waren 19, 14 und acht Jahre alt, als die PKK sie ermordete. Typisch für das staatliche Agieren in jenen Jahren war es, dass Abdullah Cakar ins Gefängnis geworfen wurde, obwohl er nicht nur unfreiwillig bei den Rebellen gewesen war, sondern sich nach seiner Flucht auch dem Staat gestellt hatte. Als er nach einem Jahr wieder herauskam, meldete er sich dennoch bei der staatlichen Kurdenmiliz, die noch heute hunderttausend Mann im Kriegsgebiet unter Waffen hat, um gegen die PKK zu kämpfen. 14 Jahre lang hat Cakar mit der Kurdenmiliz an der Seite der türkischen Armee gegen die PKK gekämpft, mehrfach auch im Nordirak. Auch beim letzten Einmarsch der Türken im Nordirak vor zehn Jahren war er dabei. Sieben Kugeln hat er damals abbekommen, erzählt Cakar und krempelt Ärmel und Hosenbeine hoch, um die Narben zu zeigen. Eine Medaille hat er dafür bekommen, aber keine Rente. Arbeit hat der Staat für ihn auch nicht, und morgen wird sein ältester Sohn zum Wehrdienst eingezogen.

Cakar seufzt und rührt in seinem Teeglas. Vier weitere Kinder hat er und eine kranke Frau. Aber auch ein verzweifelter Bittbrief an seinen früheren Kommandanten hat ihm nicht zu Lohn und Brot verhelfen können. Trotz aller Enttäuschung darüber ist für Cakar klar, auf welcher Seite er steht. „Schließlich ist es nicht der Staat, der sagt: Geht nicht auf die Felder, arbeitet nicht, sonst bringen wir euch um“.

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