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© X01258

Kurdenpolitik: Sprung über den Schatten

Die Türkei lässt erste PKK-Rebellen unbehelligt aus dem Irak in ihre Heimat zurückkehren.

Einer der entlegensten Orte der Türkei wird zum Mittelpunkt einer der wichtigsten politischen Entwicklungen, die das Land in den vergangenen Jahren erlebt hat. Die Übergangsstelle Habur an der Grenze zwischen der Türkei und dem Nordirak könnte schon bald das Ziel von mehreren tausend Anhängern der PKK-Kurdenrebellen werden, die nach Jahren im irakischen Exil in ihre Heimat zurückkehren wollen. Für die rund 250 Mitglieder der im Nordirak verschanzten PKK-Führung arbeitet Ankara an einer anderen Lösung: Die PKK-Chefs sollen Asyl in Europa erhalten.

Die freiwillige Rückkehr von 34 unbewaffneten PKK-Anhängern aus dem Nordirak in die Türkei und ihre anschließende Freilassung durch eigens nach Habur entsandte Richter Anfang der Woche markiert nach Einschätzung der Regierung in Ankara den Beginn einer breiteren Rückkehrwelle, an deren Ende die Auflösung der Kurdenguerilla stehen könnte. Innenminister Besir Atalay, der verschiedene geplante Angebote der Regierung zur friedlichen Beilegung des Kurdenkonflikts koordiniert, schätzt, dass in Kürze weitere 150 Kurden aus dem Nordirak nach Habur kommen könnten.

Der türkische Nachrichtensender NTV meldete am Mittwoch, in den nächsten Tagen werde zudem eine erste Gruppe von 16 PKK-Anhängern aus europäischen Ländern in die Türkei zurückkehren; seit dem Beginn des PKK-Aufstandes 1984 sind hunderttausende Kurden nach Europa geflohen.

Ein Vierteljahrhundert nach dem Beginn des PKK-Aufstandes geraten die Rebellen in ihren nordirakischen Verstecken immer stärker unter Druck, weil die irakischen Behörden sie dort nicht mehr dulden wollen. Gleichzeitig leitet die türkische Regierung neue Reformen ein, die es der PKK erschweren sollen, die Kurden für eine Fortsetzung des bewaffneten Kampfes zu gewinnen. Auch der militärische Druck auf die Rebellen bleibt stark. Nach unbestätigten Berichten wurden PKK-Stellungen im Nordirak in den letzten Tagen erneut von türkischen Kampfjets bombardiert.

Unterdessen wurden in Habur die ersten PKK-Heimkehrer von mehreren tausend Anhängern der Kurdenpartei DTP gefeiert wie Helden. An der Grenze herrsche Feiertagsstimmung, berichteten türkische Zeitungen am Mittwoch. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sprach von einem Zeichen der Hoffnung.

Die Heimkehrer von Habur waren mit ihrer Aktion einem Aufruf des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan gefolgt, doch laut Presseberichten könnte Erdogans Regierung die Heimkehr mit eingefädelt haben. Insgesamt werden sich in den nächsten Monaten möglicherweise mehrere tausend PKK-Mitglieder und -Sympathisanten aus dem Irak in Habur melden, berichtete die regierungsnahe Zeitung „Yeni Safak“. Die meisten können damit rechnen, wie die ersten Heimkehrer nach einer Befragung durch die Justiz auf freien Fuß gesetzt zu werden.

Dabei spielt nicht nur der Buchstabe des türkischen Gesetzes eine Rolle, das reuigen PKK-Mitgliedern Straffreiheit zusichert. Die Justiz macht bei den kurdischen Rückkehrern von ihrem Auslegungsspielraum Gebrauch – und zwar zugunsten der Betroffenen, was in der Türkei keineswegs selbstverständlich ist.

Bei der Rückkehrwelle vom Wochenende zeigten sich die zuständigen Richter sogar mit Blick auf jene acht aktiven PKK-Kämpfer nachsichtig, die zusammen mit 26 türkisch-kurdischen Flüchtlingen aus dem Nordirak an die Grenze gekommen waren. Auch die Kämpfer wurden freigelassen, nachdem sie darauf verzichteten, Öcalan als „kurdischen Volksführer“ zu bezeichnen: Ins Protokoll der Vernehmung wurde ein einfaches „Abdullah Öcalan“ eingetragen.

Dass die sonst so unnachgiebige türkische Justiz über ihren Schatten sprang, wird von türkischen Nationalisten kritisiert, aber von der Regierung und auch von der PKK begrüßt. Der amtierende PKK-Chef Murat Karayilan sprach im Hauptquartier der Rebellen in den nordirakischen Kandil-Bergen von einem möglichen Wendepunkt des Kurdenkonflikts. Nun müsse die Regierung weitere Schritte unternehmen.

Diese Schritte sind offenbar bereits in Vorbereitung. Laut „Yeni Safak“ sollen Karayilan und andere Führungsleute der PKK nach Schweden und Norwegen gebracht werden, während sich das Gros ihres Fußvolkes auf den Heimweg in die Türkei macht. Schon vor einigen Monaten hatte die türkische Regierung bestätigt, dass sie mit den Europäern in diesem Zusammenhang in Kontakt stehe. Nun könnte der Zeitpunkt der Umsetzung näher rücken.

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