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Politik: Kurswechsel in der Landwirtschaft: "Jetzt geht es richtig ums Geld"

Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf (58) führt seinen 50-Hektar-Hof in Ostwestfalen seit 1980 nach den Grundsätzen des ökologischen Landbaus. 1984 zog er für die Grünen ins Europäische Parlament ein.

Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf (58) führt seinen 50-Hektar-Hof in Ostwestfalen seit 1980 nach den Grundsätzen des ökologischen Landbaus. 1984 zog er für die Grünen ins Europäische Parlament ein. Er ist einer der profiliertesten Streiter für eine neue Agrarpolitik. Für ihn ist jetzt die "Zeit der Ernte" gekommen, seit sogar der Bundeskanzler "das sagt, was wir seit Jahren fordern".

Sie sind Bauer und Politiker. Was ist derzeit der schönere Beruf?

Im Moment ist die Überraschung in der Politik größer. Aber ich bin auch als Politiker Bauer geblieben. Das ist in der Person nicht zu trennen, in der Tätigkeit schon. Es ist verblüffend, einen Kanzler das sagen zu hören, was wir über Jahre gefordert haben. Wir stehen hinter ihm. Um den Kurs zu halten, auch dann, wenn er einen Schwächeanfall erleiden sollte. Denn bei dem Widerstand, der nun zu erwarten ist, wird das bestimmt kein Spaziergang.

Warum hat es eigentlich 16 Jahre gedauert, bis die Grünen zum ersten Mal ein Landwirtschaftsministerium übernommen haben?

Weil sie Ökologie nicht mit der Ökonomie in Verbindung gebracht haben oder bringen wollten. Ich habe seit langem gesagt, die Grünen sollen sich als ökonomische Partei begründen, nicht ausschließlich als ökologische, weil das ins Zentrum der Auseinandersetzung führt. Das sieht man jetzt ja auch. Die Grünen haben sich vom Rand der Koalition ins Zentrum katapultiert.

Wegen der BSE-Krise reden wir über den ökologischen Landbau, ohne dass das eine mit dem anderen zu tun hat. Sind Sie ein Profiteur der Krise?

In Westfalen sagt man: Sei sittsam, tugendsam und brav. Doch wenn der Wind mal günstig steht, dann sei doch bloß kein Schaf. Jetzt haben wir Ernte. Wenn man die Würde der lebendigen Organismen nicht achtet und das überzieht, wie wir es bei BSE gemacht haben, schlägt die Natur zurück.

Das war jetzt arg wolkig ...

Sollte es auch sein.

Gibt es Hinweise, dass diese Seuche irgendetwas mit industrialisierter Landwirtschaft zu tun hat?

Ja. Dass man Kühe an Kühe gefüttert hat.

Aber der ökologische Landbau ist keine kurzfristige Lösung. Wann müssen die Verbraucher vor BSE keine Angst mehr haben?

Es gibt keine kurzfristige Lösung. Wenn wir die Krise technisch fassen könnten, hätten wir die Diskussion nicht. Wir haben keine Möglichkeit, die Folgen von BSE zu stoppen. Die Menschen, die sich infiziert haben - auch in Deutschland - werden krank werden und sterben. Was hätte getan werden müssen, ist unterlassen worden, auch aus wirtschaftlichen Gründen. Jetzt, nachdem alles getan ist, was zum Schutz der Bevölkerung möglich ist, ist die Wahrscheinlichkeit sich zu infizieren, extrem gering.

Macht die Regierung nicht vielleicht jetzt das Falsche? Eine Gruppe von 42 Agrarökonomen warnt davor, Subventionen umzuschichten aus dem konventionellen in den ökologischen Landbau. Das führe nur zu einem neuen Subventionsloch.

Das sehe ich nicht so, weil ich die Leute kenne, die da warnen. Das sind kluge alte Männer, die immer das wiederholen, was sie seit Jahren vorgebetet haben. Richtig daran ist, dass eine Umschichtung der Mittel auf den biologischen Landbau als Umstellungsprämie Unsinn wäre. Wir müssen im biologischen Anbau den Absatz stimulieren. Ich würde der neuen Landwirtschaftsministerin raten, die Hersteller von Babynahrung öffentlichkeitswirksam zu fragen, warum sie keine ökologischen Grundstoffe verwenden. Hipp hat es vorgemacht. Das Gläschen würde dann 20 Pfennig teurer, aber das wirkt ruckzuck. Und auch im Agraretat der Europäischen Union ist genug Geld für die Umstellung da. Diese Möglichkeit wird nur speziell in Deutschland kaum genutzt.

Sie sind also dagegen, jetzt den Öko-Landbau stärker zu subventionieren?

Ich bin dagegen, Betriebe mit hohen Prämien in die Umstellung zu bringen, die dann womöglich keinen Markt haben. Weil wir dann eine Konkurrenz bekommen, die dieselben Mechanismen auslöst, die wir aus der konventionellen Landwirtschaft kennen.

Was müsste sich noch ändern?

Den großen Betrieben werden bisher ihre Absatzsorgen abgenommen. Müssten diese Betriebe dafür das Risiko selbst tragen, dann hätten wir viele Probleme nicht gehabt. Wer für den Weltmarkt produzieren will, soll das tun, aber ohne staatliche Hilfe. Wir wollen die staatlichen Beihilfen an Arbeitskaft und Umwelt binden. Das würde die Landwirtschaft insgesamt ökologisieren.

Wie wollen Sie diese Höhe von Subventionen weiter rechtfertigen?

Nach meiner Einschätzung geht nicht zu viel Geld in die Landwirtschaft und in den ländlichen Raum. Es geht in verkehrte Kanäle. Aber wenn man meint, dass dieser agrarindustrielle Prozess für die Erzeugung gesunder Lebensmittel schädlich ist, muss man mit öffentlichen Mitteln gegenhalten. Auch wenn viele meinen, die beste Agrarpolitik wäre, die Mittel zu streichen. Das wäre bei dem Unsinn, der in den vergangenen Jahren passiert ist, vielleicht auch besser gewesen.

Und der Bauernverband will warten, bis die die BSE-Krise vorbei ist. Aber der Kanzler steht dagegen.

Der Kanzler hält den Finger in die Luft und spürt, woher der Wind weht. Das ist auch seine Aufgabe. Er hat gut reagiert und er hat nach seiner Kritik an der Agrarindustrie gemerkt, dass 90 Prozent der Leute gesagt haben: Das ist doch richtig. Ich habe mich gewundert, dass der Kanzler so konsequent blieb. Aber das hatte mit seiner Regierung zu tun. Sieben Minister waren bereits gegangen. Er musste eine gesellschaftliche Diskussion anzetteln, damit nicht darüber diskutiert wurde, ob das schon eine Kanzlerkrise ist. Da hat er die Landwirtschaft entdeckt. Er hat die Diskussion damit bestimmt, von sich abgelenkt und steht so auf der Fortschrittsseite. Wie lange das hält, hat mit der Sache wenig zu tun. Aber für den Bauernverband ist das keine ideologische Frage. Hier geht es richtig um Geld. Das ist ein Verteilungskampf. Die Umschichtung der Mittel in Strukturpolitik für den ländlichen Raum bringt eine dauerhafte Veränderung. Da hört für den Bauernverband der Spaß auf.

Müssen diese 400 000 Rinder denn wirklich geschlachtet werden?

Nein. Das dient nicht der BSE-Bekämpfung. Es ist unglaublich, diese Tiere zu vernichten. Wir haben trotz des Hungers in der Welt schon so viele Lebensmittel vernichtet. Es sind Tiere, die man testen kann und sollte. Tiere, die wir essen könnten.

Marktentlastung bedeutet doch nichts anderes als den Schutz einer Branche.

Hier besteht sogar die Gefahr, dass die alten, falschen Interventionsmechnanismen wieder greifen. Aber es geht nicht nur um Preisstabilisierung. Die Schlachthöfe holen die alten Kühe nicht mehr von den Höfen. Es klemmt einfach. Da hat der Staat eine Pflicht, einzugreifen. Dann muss man die getesteten Tiere entweder einfrieren und wieder auf den heimischen Markt bringen. Oder wir schicken es in die Hungergebiete der Welt, aber unter der Maßgabe, dass es nicht wieder subventioniert die heimischen Märkte zum Zusammenbruch bringt.

Das funktioniert aber nicht. Es wird zu viel Milch produziert, dabei fallen zu viele Kälber an, das ergibt zu viel Rindfleisch.

Dann muss eben weniger erzeugt werden. Wer produziert, muss das Risiko tragen. Der Fleischkonsum wird weiter zurückgehen. Darauf werden sich die Bauern einstellen. Halb so viel Rindfleisch: teurer, aber wertvoller.

Sie sind Bauer, Politiker. Was ist derzeit der

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