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Politik: Kurzer Prozess

Italiens Staatspräsident will das Immunitätsgesetz durchwinken – weil er erpressbar ist, sagt ein Amtsvorgänger

Es war kurz nach 21 Uhr am Mittwochabend. Soeben hatte die Mehrheit des italienischen Parlaments das neue Immunitätsgesetz verabschiedet, da ließen hunderte von Menschen auf dem Platz vor dem Geb Sude Luftballons in den italienischen Nationalfarben gen Himmel steigen. Unter den Protestierenden befand sich auch der international bekannte Regisseur Nanni Moretti, der erneut von einer „Lex Berlusconi“ sprach, die nur „zu seinen Gunsten im Parlament durchgeboxt wurde und ein schwerer Schlag für unsere politische Kultur ist“. Die Proteste im Parlament fielen dagegen geradezu mickrig aus. Die großen linken Oppositionsparteien zogen zwar bei der Abstimmung wütend aus, aber auch ihre Kommentare blieben blass. Denn selbst Berlusconi-Kritiker in Rom räumen ein, dass eine Immunitäts-Regelung eigentlich zum Standard westlicher Demokratien gehört.

Das neue Gesetz, in Teilen der italienischen Presse als „maßgeschneiderter Schutzbrief“ bezeichnet, sieht vor, dass gegen die Person des Staatspräsidenten, der Präsidenten des Senats und des Parlaments, des Regierungschefs sowie des obersten Richters des Verfassungsgerichtshofes während ihrer Amtszeit nicht prozessiert werden darf. Das Gesetz untersagt aber nicht Ermittlungen gegen diese Personen durch Staatsanwälte. Es gilt für laufende Verfahren und somit im Fall Berlusconi sofort. Am 25. Juni will die Staatsanwaltschaft am Gericht in Mailand für den Angeklagten Silvio Berlusconi eine Haftstrafe von rund 15 Jahren fordern. Berlusconi wird vorgeworfen, Anfang der 80er Jahre römische Richter bestochen zu haben. Da Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi das am Mittwoch in letzter Abstimmung beschlossene Gesetz schnell unterschreiben will, tritt es noch vor dem 25. Juni in Kraft. Der Angeklagte, der während dieses Verhandlungstages anwesend sein wollte, muss nun nicht mehr nach Mailand anreisen. Kaum jemand in Rom glaubt daran, dass der Prozess jemals zu Ende geführt wird. „Kurz vor Beginn seines Amts als europäischer Ratspräsident am 1. Juli“, erklärt Giuseppe Ayala, Ex-Untersuchungsrichter und Senator der Linksdemokraten, „kommt er also mit einem blauen Auge davon“. Führende Verfassungsrechtler weisen darauf hin, dass das Gesetz verfassungswidrig ist, denn es beinhalte, so der ehemalige Staatspräsident Francesco Cossiga, „eine Ungleichbehandlung vor Gericht. Denn warum soll für die Inhaber der fünf höchsten Staatsämter nicht das gleiche Recht zur Anwendung kommen wie für alle übrigen Italiener“? Gegen das Gesetz wollen Bürgervereinigungen sowie eine Gruppe von Verfassungsrechtlern beim obersten Gerichtshof klagen. Vor Ende dieses Jahres wird aber keine Entscheidung fallen.

Für Ex-Staatspräsident Cossiga ist klar, warum sein Amtsnachfolger Ciampi sich bereits für die Unterzeichnung des Immunitätsgesetzes ausgesprochen hat. „Berlusconi setzt ihm die Pistole auf die Brust. Sollte Ciampi dieses Gesetz nicht unterschreiben, würde sich die Regierung berechtigt fühlen, öffentlich zu erklären, wie es vor einigen Jahren zu dem Aufkauf der serbischen Telekom durch die staatliche Telecom Italia kam.“ Er ist davon überzeugt, dass Berlusconi nachweisen kann, dass der damalige Schatzminister Ciampi von der Zahlung eines Schmiergeldes an den Serbenführer Slobodan Milosevic wusste, damit die Italiener das serbische Unternehmen aufkaufen durften.

Thomas Migge[Rom]

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