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Politik: Kuscheln mit der Koalition

Von Ursula Weidenfeld

Es ist ein neuer Ton, und es ist ein überraschender Ton, der der neuen Bundesregierung aus der Wirtschaft entgegenschallt. Viel Richtiges will der Bundesverband der Deutschen Industrie im Programm der großen Koalition ausgemacht haben. Konstruktive Begleitung versprechen die Spitzen der Industrie- und Handelskammern der neuen Kanzlerin. Mit der Bereitschaft zu einer starken Partnerschaft grüßen die Automobilhersteller, Unternehmer signalisieren, die Reichensteuer bezahlen zu wollen, selbst Einzelhändler zeigen sich seltsam langmütig in ihrer Hoffnung auf die Belebung der Binnennachfrage.

So viel Zuspruch wie für Merkel – trotz einer angekündigten Mehrwertsteuererhöhung, trotz Reichensteuer, trotz eines kaum ausgeprägten wirtschaftspolitischen Profils – hätte sich Altbundeskanzler Gerhard Schröder nicht einmal für seine Agenda 2010 erträumen dürfen, geschweige denn für ein Programm wie dieses. Ein Konzept, das Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze verspricht; das Wirtschaftswachstum und mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze benötigt, um zu funktionieren. Ganz offensichtlich aber suchen die Wirtschaftsverbände und Lobbys aus anderen Gründen die Nähe der neuen Regierung. Sie wählen bei ihren Grußadressen nicht den bisher üblichen Wir-sind-immer-bei-den- Siegern-Stil, sondern die eher defensive Auch-wir-sind-Bürger-dieses-Landes- Haltung.

Man kann vermuten, dass alles andere angesichts einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag, einer überwältigenden Dominanz der beiden Regierungsparteien im Bundesrat politisch wenig aussichtsreich ist. Sicher ist außerdem, dass die meisten Manager, Unternehmer und Verbandschefs hoffen, am Ende werde es zu den angekündigten Steuererhöhungen doch nicht kommen. Auch die Erwartung, dass es bei der in Aussicht stehenden Unternehmensteuerreform allemal besser sein wird, mit der Regierung zu argumentieren als gegen sie, spielt eine Rolle. Denn klar ist: Die Möglichkeiten der Einflussnahme im politischen Entscheidungsprozess werden geringer, und sie konzentrieren sich künftig auf einen deutlich kleineren Personenkreis als bisher. Es hat vermutlich nicht viel Zeit gebraucht, um das auch den Automanagern beizubringen, die sich vor wenigen Tagen noch wutschnaubend über den Koalitionsvertrag gebeugt hatten. Was diese Regierung im kleinen Kreis beschließt, wird wohl auch im Parlament und im Bundesrat beschlossen bleiben.

Doch es scheint auch außerhalb dieses Kalküls Bewegung zu geben. Unternehmer wie Manager global agierender Unternehmen versuchen seit einiger Zeit, an allen Orten der Welt gute Bürger der Regionen zu sein, in denen sie arbeiten. Langsam, aber sicher scheinen sie zu erkennen, dass man davon den Standort Deutschland nicht ausnehmen kann – auch wenn man die politische Agenda des Landes zu Recht für ein bisschen schwach hält.

Zum Umsteuern braucht man allerdings einen Anlass. Und der scheint mit dem Regierungswechsel da zu sein. Für die Bundeskanzlerin ergibt sich daraus kein ungetrübter Anlass zur Freude. Je weiter Angela Merkel der Wirtschaft entgegenkommt, desto weiter entfernt sie sich im Zweifel von ihrem Koalitionspartner SPD. Auf den Beifall der Wirtschaft wird die Regierungschefin manches Mal gerne verzichten wollen, wenn ihr am Bestand ihrer Koalition gelegen ist.

Klug ist der Kuschelkurs der Wirtschaft gegenüber der neuen Kanzlerin auch nicht unbedingt. Denn aus einer politischen großen Koalition ergibt sich noch lange kein Zwang zum Großen Konsens, im Gegenteil. Die Wirtschaftspolitik dieser Regierung, so wie sie sich im Koalitonsvertrag andeutet, braucht eine starke außerparlamentarische Stimme der Vernunft. Das ist die Aufgabe für die Wirtschaftsverbände, die Gewerkschaften, die Sachverständigen und die Expertengremien in den kommenden Jahren. Wer will, dass die große Gesundheitsreform im kommenden Jahr, die Rentenreform 2007 und die Unternehmensteuerreform im Jahr 2008 zu Stande kommen und gelingen, der darf sich jetzt nicht selbst die Zähne ausreißen.

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