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Politik: Ladenschluss: Es geht nicht um Schrippen (Leitartikel)

Es ist noch keine fünf Jahre her, da liefen Branchenverbände und Gewerkschaften Arm in Arm zum Gesetzgeber. Sie warnten vor einer Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten.

Es ist noch keine fünf Jahre her, da liefen Branchenverbände und Gewerkschaften Arm in Arm zum Gesetzgeber. Sie warnten vor einer Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten. Die Stimmung hat sich gedreht. Eine Verlängerung der gesetzlich erlaubten Öffnungszeiten bis 20 Uhr führte weder zum wirtschaftlichen Ruin von Tante Emma, noch zur Versklavung ihrer Mitarbeiter. Der Handel, unterstützt von Politikern aller Fraktionen, will jetzt noch mehr Freiheit. Und die Gewerkschaften knurren nur noch leise.

Die Arbeitszeiten sind heute längst nicht mehr von acht bis 16 Uhr fix geregelt. Die Bürger sind dankbar, wenn sie auch nach 18 Uhr Parmesan, Staubsauger und Wollsocken kaufen können. Wer hätte das Recht, ihnen dies zu verbieten? Der Handel spürt die Herausforderung von E-Commerce und Factory Outlets. In diesem Wettbewerb trumpfen die Geschäfte der Innenstädte mit der Möglichkeit des Erlebniseinkaufs am späten Abend auf. Das hat zu einer Belebung der Innenstädte geführt.

Keine Frage: Die Liberalisierung des Ladenschlusses vor knapp vier Jahren war ein Erfolg. Wer klagt, eine Dehnung der Öffnungszeiten habe keine nennenswerten Arbeitsplatzeffekte gebracht, dem sei geantwortet: Das stimmt. Doch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme war gar nicht Sinn der Gesetzesänderung. Dass viele Geschäfte weiterhin um 18 Uhr schließen, ist ebenfalls kein Einwand. Schließlich soll der Gesetzgeber niemanden zwingen, sein Geschäft zu öffnen. Und zu einem kollektiven Sterben des Mittelstandes ist es - entgegen anders lautender apokalyptischer Szenarien - auch nicht gekommen. Im Gegenteil: Eher gibt es Indizien dafür, dass Familienbetriebe sich zu allen Tageszeiten ihre Nische suchen. Wer das nicht glaubt und gerade keine Gelegenheit zu einem Spaziergang durch Manhattan hat, braucht nur nach 18 Uhr durch Neukölln oder Kreuzberg zu streichen.

Die Konsequenz all dieser positiven Erfahrungen liegt auf der Hand. Über die Ladenöffnung sollen die Betroffenen selbst entscheiden: Kunden, Einzelhändler und Beschäftigte. Den Staat geht das alles nichts an. Denn der Staat, so lautet das Subsidiaritätsprinzip, ist nur dann gefordert, wenn die Akteure des Marktes nicht imstande sind, sich über ihre eigenen Angelegenheiten zu einigen. Über eine Ausnahme muss man freilich reden: den Sonntag. Es gibt achtenswerte kulturelle und religiöse Traditionen, welche die stetige Wiederholung eines zeitlichen Rhythmus nahe legen. Am siebten Tag sollen die Geschäfte geschlossen bleiben. Pause. Das braucht niemand metaphysisch überhöhen. Aber so lange die Mehrheit der Bürger hierzulande den Sonntag als Ruhetag will - und so sieht es aus -, soll dieser Wille auch in einem Gesetz stehen. Mit Zwang dürfen sie anderen sogar die Freiheit beschränken.

Vor einer dogmatischen Auslegung dieser Regel sei indessen gewarnt. Die frischen Brötchen gibt es jetzt schon sieben Tage lang legal. Das Öffnungsverbot am Sonntag lässt, wie alle Verbote, darüber hinaus Raum für kreative Auslegung. Aus dem Sonntagsangebot der Supermärkte deutscher Bahnhöfe, Flughäfen oder Tankstellen lassen sich mühelos fünfgängige Menüs zubereiten. Das ist eine ziemlich großzügige Auslegung des Tagesbedarfs von Reisenden. Und mit ein wenig Fantasie können auch Feste erfunden werden, die eine Ladenöffnung zulassen. Käme es denn so, dass aus solcher Kreativität einmal ein flächendeckendes Einkaufserlebnis am Sonntag würde, es wäre auch nicht der Untergang des Abendlandes. Bis dahin darf der Gesetzgeber sich aber dagegen stemmen und den Sonntag schützen.

Rainer Hank

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