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Politik: Länderfreunde in Karlsruhe

Bei einem Scheitern der Föderalismusreform könnte der Bundestag der große Verlierer werden

Berlin - Die Kritiker der Föderalismusreform in der SPD-Bundestagsfraktion lassen bis zum Schluss nicht locker. Ohne Änderungen keine Zustimmung, so ihre Forderung. Auch die Zugeständnisse der Ministerpräsidenten in der Vorwoche genügten nicht: Die Bildungs- und Umweltpolitiker der SPD wollen mehr. In der Umweltpolitik fordern sie einen noch klareren Vorrang für den Bundestag, als die Reform ohnehin vorsieht. Und in der Bildungspolitik wollen sie die Macht des Bundes ausdehnen – obwohl Bildungspolitik Ländersache ist und eigentlich die Zuständigkeiten klarer gefasst werden sollen. In der Hochschulpolitik sollen die Fördermöglichkeiten des Bundes umfangreicher ausfallen. Zudem möchten die SPD-Bildungspolitiker, unterstützt von Grünen, Linkspartei und einem Teil der FDP, auch schulpolitische Kompetenzen für den Bund, die er bisher nicht hat.

Das lehnen die meisten Länder ab. Doch war bis zuletzt unklar, ob angesichts der wackligen Mehrheit der Koalition im Bundestag die Spitzenrunde von Union und SPD am Sonntagabend das Projekt Föderalismusreform nach nahezu vier Jahren Beratung absegnen würde. Die nötige Zweidrittelmehrheit im Bundestag liegt bei 410 Stimmen, Schwarz-Rot hat 448 Abgeordnete. Die Zahl der möglichen Abweichler in der SPD-Fraktion wird mit bis zu 60 angegeben.

Ein Scheitern der Föderalismusreform hätte freilich über die Koalitionspolitik hinaus Konsequenzen. Bliebe es beim Status quo, könnte der Bundestag zum großen Verlierer werden, die Länder dagegen könnten mehr gewinnen als mit der Reform. Das hängt mit der letzten Verfassungsreform von 1994 zusammen. Schon damals wollte man die Länder stärken und änderte das Grundgesetz, damit der Bundestag Gesetzesmaterien an die Landtage delegieren konnte. Denn obwohl das Grundgesetz auf vielen Feldern ein pragmatisches Hin und Her zwischen Bund und Ländern vorsieht – Juristen nennen das „konkurrierende Gesetzgebung“ –, erwies sich die Konstruktion als Einbahnstraße Richtung Zentralismus. Was der Bund an sich gezogen hatte, gab er nicht mehr her. Der Bundesrat hatte oft nichts dagegen, denn mit dem Machtzuwachs des Bundestags erweiterte sich auch das Mitspracherecht der Ministerpräsidenten in der Länderkammer – auf Kosten ihrer Landesparlamente.

Die Reform von 1994 blieb lange Zeit wirkungslos. Der Bundestag delegierte nicht, der Bundesrat forderte nichts. Dann kam das Bundesverfassungsgericht. Es legte von 2002 an das Grundgesetz in mehreren Fällen (Altenpflege, Ladenschluss, Juniorprofessur) gemäß der Verfassungsreform von 1994 aus und entschied deutlich zugunsten der Länder. Die Möglichkeiten des Bundes, Dinge im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung zentral zu regeln, wurden eingeschränkt: Nur wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern in erheblicher, das Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickeln oder eine gravierende Rechtszersplitterung droht, ist der Bund jetzt noch gefragt. Den Ländern wird eine stärkere Rolle im föderalen System zugemessen. Eine Folge der Karlsruher Urteile ist, dass der Bund weitaus klarer und detaillierter begründen muss, warum eine bundeseinheitliche Regelung wirklich nötig ist. Oft wird das angesichts der strengen Kriterien der Verfassungsrichter nicht möglich sein. Manche Juristen sehen sogar die Gefahr der Versteinerung der Gesetzgebung: dann nämlich, wenn der Bundestag nicht an die Länder delegiert, aber selber gar nicht mehr regeln kann.

Klar ist, dass mit der Reform von 1994 die Länder die Möglichkeit haben, sich über Klagen in Karlsruhe Zuständigkeiten vom Bund zurückzuholen. Bislang waren sie zurückhaltend, aber das könnte sich nach einem Scheitern der Föderalismusreform ändern. Die Staatskanzleien dürften entsprechende Prüfungen schon in den Schubladen haben. Nicht zuletzt die Sozialpolitik und die Arbeitsmarktpolitik könnten dafür in Frage kommen. Viel Zeit für Streit über die neue Reform bleibt nicht mehr: Am 30. Juni soll nach der Planung der Bundestag abstimmen, für 7. Juli ist die Abstimmung im Bundesrat geplant.

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