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Hessen Koch

© dpa

Landtagswahl: Die hessischen Landboten

Zwei Busse rasen durchs Land, seit Wochen, darin sitzen „TSG“ Schäfer-Gümbel und Roland Koch, die Spitzenkandidaten der ersten Landtagswahl des Jahres. Unverdrossen der eine, unerbittlich der andere. Und beide wohl Sieger

Roland Koch geht in die Knie. Was SPD, Grüne und Linkspartei in diesem hessischen Winterwahlkampf nicht mehr für möglich gehalten hätten – in Limburg geschieht es auf offener Bühne. Koch beugt Knie und Haupt.

Der geschäftsführende Ministerpräsident macht sich klein – allerdings nur für eine Limburger Karnevalsgröße. Prinzessin Elke I von Limburg zu Oranien-Nassau, im echten Leben CDU-Lokalpolitikerin namens Elke Fehr, hat sich in der Stadthalle gerade die Vorgeschichte des Wahlkampfes zusammengereimt. Und was sie da zu Kochs Begrüßung über die Vorkommnisse des vergangenen Jahres aufgesagt hat, deckt sich offenbar ziemlich genau mit der Sicht der versammelten CDU-Basis, mögen die Verse Ihrer Majestät noch so holpern: „Ypsilanti fand ihr Metzgerlein/ und fiel zum ersten Mal dann rein. Der zweite Versuch, oh Schreck, oh Graus/ er fiel noch viel, viel schlimmer aus. Nun steht sie da, die Wortbruchfrau/ und beklagt ihn laut, ihrn Supergau. Inzwischen staatstragend, souverän/ der Roland Koch ohne jede Häm. Betrachtet sich die Sache still/ mag kommen, was da kommen will.“

So geht das zur Erheiterung des christdemokratischen Publikums noch ein paar Minuten weiter, bis Prinzessin Elke ihren Helden auf die Bühne bittet, wo er die Knie beugen und den Kopf senken muss, damit sie ihm den prinzlichen Orden um den Hals hängen kann. Danach hält Koch vor den 300 CDU-Anhängern – die meisten von ihnen Rentner – noch eine Rede, was aber eigentlich nicht mehr nötig wäre. Das Wesentliche hat Prinzessin Elke schon gesagt.

Staatstragende Koch-CDU gegen wortbrüchige, unzuverlässige Ypsilanti-SPD: Das ist die Grundbotschaft, mit der Roland Koch seit gut zwei Wochen durch Hessen zieht und die ihm bei der Wahl an diesem Sonntag die politische Auferstehung bescheren soll. Draußen vor der Limburger Stadthalle wartet sein schwarzer Wahlkampfbus. Darauf steht in orangefarbener Schrift ein Slogan, den die CDU im ganzen Land hat kleben lassen: „In Zeiten wie diesen.“ Dazu lächelt Roland Koch milde von den Plakatwänden.

Man tut Roland Koch kein Unrecht, wenn man ihn einen Krisengewinnler nennt. Dass er jetzt überhaupt zu Neuwahlen antreten kann, verdankt Koch in der Hauptsache jenen drei Last-Minute-Abtrünnigen in der hessischen SPD-Fraktion, die das rot-rot-grüne Experiment von Andrea Ypsilanti Anfang November jäh stoppten und ihren Landesverband damit in die tiefste Krise seiner Geschichte stürzten. Dann zog auch noch die Finanz- und Wirtschaftskrise herauf, und aus Koch, dem großen Unsympathen der deutschen Politik, dem skrupellosen Wahlkämpfer und Haudrauf, der auch mit fremdenfeindlichen Ressentiments spielt, wenn es ihm dienlich erscheint – aus dieser wenig vetrauenerweckenden Figur also wurde quasi über Nacht wieder der kompetente Herr Ministerpräsident.

Dem „Wiesbadener Kurier“ kam Koch kürzlich sogar vor wie ein „Seelendoktor“, der „Wärme und Zuversicht“ in der Krise verbreite. Das war natürlich maßlos übertrieben: Der Wärmestrom, der vom Kandidaten Koch ausgeht, hält sich noch immer in engen Grenzen, auch wenn Koch sich alle Mühe gibt, weniger hart zu erscheinen. Vor einem Jahr aber wäre ein solche Beschreibung völlig undenkbar gewesen. Damals hatte ein eiskalter Koch den Kampf gegen die Kriminalität jugendlicher Ausländer ausgerufen, um seine schlechten Umfragewerte zu heben und die CDU-Klientel zu mobilisieren. Man muss sich das ins Gedächtnis rufen, um die Ungeheuerlichkeit seines Comebacks ermessen zu können.

Auf einmal scheint alles wieder möglich für diesen eisernen Roland, der die CDU-Spendenaffäre überlebt hat und nun wohl auch noch die Niederlage vom Januar 2008 in einen Sieg verwandeln wird. Eine schwarz-gelbe Mehrheit in Wiesbaden, ein späterer Wechsel in die Bundesregierung, eines Tages vielleicht sogar die Kanzlerschaft. Auch deshalb stellt sich die Frage, was Koch aus den vergangenen zwölf Monaten eigentlich gelernt, was er verinnerlicht hat.

Auf dem Bus von Thorsten Schäfer-Gümbel prangt kein Slogan. „So was können wir uns nicht leisten. Wir müssen einen normalen Reisebus mieten“, heißt es aus seinem Beraterkreis. Und so fährt der SPD-Spitzenkandidat am Montag vergangener Woche – es sind noch 13 Tage bis zur Wahl – gewissermaßen inkognito von Wiesbaden nach Frankfurt zu einem Treffen mit Eisenbahn-Gewerkschaftern von „Transnet“.

Drinnen im Bus aber erleben die Journalisten einen unverdrossenen Bewerber. Der 39-jährige Brillenträger, von den Genossen „TSG“ genannt, verfügt über die Gabe der Selbstironie, er kann über sich lachen, und er macht von dieser Fähigkeit gern und oft Gebrauch. Das ist vielleicht seine größte Stärke in einem Wahlkampf, in dem es der SPD und ihrem Kandidaten ansonsten so ziemlich an allem mangelt. An Geld, an Zeit, an einer siegesgewissen Basis. Vor allem aber an öffentlichem Interesse für die eigenen Themen. Dass Hessen nach zehnjähriger Amtszeit von Koch im Wettbewerb der Länder längst nicht mehr „vorn“ steht, etwa in Sachen Bildung, wie Schäfer-Gümbel bei seinen Auftritten unablässig beklagt – wer will das schon wissen? Der Wahlkampf wird diesmal nicht von Kochs Regierungsbilanz beherrscht, sondern von zwei großen Ws, gegen die Schäfer-Gümbel kaum ankommen kann: Wirtschaftskrise und Wortbruch.

Seit der Vizevorsitzende der SPD Hessen Süd im November in einer Hau-Ruck-Aktion aufs Schild gehoben wurde, verfolgt ihn eine Frage: Wie ist es heute um sein Verhältnis zu jener Frau bestellt, die von der Hessen-SPD bis vor kurzem noch rauschhaft verehrt wurde, und der er ein getreuer Unterstützer war? Die Frage überlagert alle Angriffe auf Koch, sie demotiviert die sozialdemokratischen Wahlkämpfer und kann die Partei jederzeit noch tiefer spalten.

In Frankfurt vor der „Transnet“-Geschäftsstelle wartet Matthias Körner in der Kälte auf den schmucklosen Schäfer-Gümbel-Bus. Körner ist beim DGB-Hessen für Kampagnen zuständig. Er ist gekommen, um den Sozialdemokraten zu unterstützen, aber er gibt sich keinen Illusionen hin. „Schäfer-Gümbel kann machen, was er will, immer geht es um Ypsilanti“, sagt der Gewerkschafter.

Vielleicht wäre es besser gewesen, der Spitzenkandidat hätte klar mit seiner Vorgängerin gebrochen, hätte auf ihren Rückzug vom Landes- und Fraktionsvorsitz noch vor der Wahl bestanden. Stattdessen ging er nur ein wenig auf Distanz. Das Risiko schien ihm zu groß, im Wahlkampf die Unterstützung der Ypsilanti-Anhänger in der SPD zu verlieren. Schäfer-Gümbel ist vorsichtig, er hat es mit einer verstörten Partei zu tun, und er gibt sich keine Mühe, die Lage zu beschönigen: „Die einen sind enttäuscht, weil wir es mit den Linken überhaupt versucht haben. Und die anderen, weil es nicht funktioniert hat.“

Ypsilanti scheint die Absetzbewegungen ihres früheren Zuarbeiters inzwischen als Verrat zu empfinden. Beim Neujahrsempfang der Hessen-SPD in der Gießener Kongresshalle spricht die amtierende Vorsitzende zehn Minuten lang, ohne seinen Namen auch nur ein einziges Mal zu erwähnen. Ein paar Tage später sieht man Schäfer-Gümbel und Ypsilanti im Wiesbadener Landtag getrennt aus Beratungen der SPD-Wahlkampfkommission kommen: der eine freundlich lächelnd auf dem Weg zu einem Fernsehinterview im Fraktionssaal, die andere – Mahlzeit – mit säuerlicher Miene auf dem Weg in die Landtagskantine.

In SPD-Kreisen heißt es, Ypsilanti sei unzufrieden mit Schäfer-Gümbels Wahlkampfführung. Die frühere Spitzenkandidatin beklage sich darüber, dass Themen wie Bildung und Energiewende, mit denen sie vor einem Jahr Koch um ein Haar aus dem Amt gehebelt hatte, zu kurz kämen. Auch hadere sie noch immer mit Schäfer-Gümbels Eingeständnis, der Fehler der Hessen-SPD habe in dem „Wortbruch“ bestanden, entgegen den Zusagen vor der Wahl doch mit der Linkspartei zu paktieren. Damit mache sich Schäfer-Gümbel einen Kampfbegriff der Konservativen zu eigen. Sie habe lediglich „ein Versprechen nicht halten können“, wird Ypsilanti zitiert.

Es ist in den letzten Wahlkampftagen nicht ganz klar, wie es weitergehen wird mit Ypsilanti, Schäfer-Gümbel und der hessischen SPD. Wahrscheinlich wird Ypsilanti den Landes- und Fraktionsvorsitz abgeben, möglicherweise liebäugelt sie mit einer Bundestagskandidatur im Jahr 2013. Ob Schäfer-Gümbel nach dem 18. Januar für längere Zeit die Nummer 1 der hessischen SPD werden kann, hängt vom Wahlergebnis ab. Niemand erwartet einen Sieg von ihm, aber zu schwer darf die Niederlage nicht ausfallen. In der Nähe von zwanzig Prozent wird es eng.

Fanfaren-Klänge in der Documenta- Halle in Kassel: Lautsprecher blasen eine ohrenbetäubende Hymne in den meterhohen, schneeweißen Saal. Angela Merkel und Roland Koch, bejubelt von 1600 Besuchern, halten Einzug. Es ist ein beeindruckender Auftritt vor beeindruckender Kulisse. CDU- Generalsekretär Michael Boddenberg macht den Einheizer. Der gelernte Metzgermeister ruft die CDU-Anhänger auf, bis zum 18. Januar zu kämpfen, „mit Mann und Maus“ und „bis zum Umfallen“. Dann spricht Koch. Über die Wirtschaftskrise, vor allem aber über Ypislantis Wortbruch und die Gefahr von Rot-Rot-Grün. Spätestens jetzt wird klar, dass er ganz der alte Lagerwahlkämpfer geblieben ist

Wir oder die – Roland Koch sieht auch nach einjährigem Interregnum als geschäftsführender Ministerpräsident keine Notwendigkeit, mit jener Mentalität zu brechen, die Hessens Politik seit Jahrzehnten bestimmt und Phänomene wie schwarze Kassen oder gebrochene Koalitionsversprechen letztlich erst möglich gemacht hat. Für ihn hat das eine mit dem anderen ja auch nichts zu tun. „Rot-Rot-Grün hat eine hohe Abschreckungswirkung“, stellt Koch beim Abendessen im Hotel nach dem Auftritt in der Documenta-Halle fest, und fügt hinzu: „Wir dürfen in der Mobilisierung unserer Wähler nicht erschlaffen.“

Konfrontation, immer wieder Konfrontation: Es ist, als komme Roland Koch ohne scharfe Abgrenzung nicht aus, als hänge seine politische Existenz davon ab. Wenn man ihn anspricht auf seinen inneren Drang zur Polarisierung und die damit verbundene Ablehnung seiner Person in Teilen der Bevölkerung, sagt Koch Sätze wie diese: „Probleme muss man entscheiden, nicht zur Seite legen. Ich muss nicht der liebe Landesvater sein, der niemandem wehtut. Ich will mit hoher Geschwindigkeit Entscheidungen durchsetzen, das führt übrigens auch zu den hohen Kompetenzwerten. Wenn das nicht mehr ginge, müsste ich etwas anderes machen.“

Noch zwei Tage bis zur Wahl. Die letzte Umfrage sagt der SPD 24, der CDU 41 und der FDP 15 Prozent voraus. Gut möglich also, dass es an diesem Sonntag zwei Gewinner gibt. Koch, der zu Beginn des Superwahljahres die ersehnte „bürgerliche Mehrheit“ zustande bringt. Und Schäfer-Gümbel, der einen Totalabsturz der SPD verhindert und deshalb die Führung der Partei beanspruchen kann.

Als der Sozialdemokrat nach den Beratungen der Wahlkampfkommission vergangene Woche im Landtag sein Fernseh-Interview gibt, bittet ihn das Team, für die Kamera noch einmal in den Fraktionssaal zu laufen. Der Kameramann sagt dann einen Satz, der auch für Koch gelten könnte: „Echte Profis machen alles zweimal.“

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