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Landtagswahl in Hessen: Im Warteraum

Bloß nicht schon wieder Opposition. Tarek Al-Wazir, grüner Spitzenkandidat, will in Hessen endlich an die Macht. Vielleicht muss er dafür ein Experiment eingehen. Kaum etwas gilt als ausgeschlossen bei dieser Landtagswahl. Auch nicht Schwarz-Grün.

Politik kann wehtun. Sie gehe unter die Haut, sagt man, und dass man ein dickes Fell brauche. All diese Sätze kennt Tarek Al-Wazir natürlich, dafür ist er schon lange genug Berufspolitiker. Vielleicht kennt er sie besser als jeder andere. An einem sonnigen Mittwochnachmittag macht er in Offenbach Wahlkampfstation. Hier ist er groß geworden. Es ist sein Revier. In der Nähe hat er mal einen Boxklub gegründet, eine Schmerzschule für die Jugend gewissermaßen, der Klub existiert bis heute. Innenstadt-Ost. Mühlenviertel sagen die Menschen zu der Gegend, das hört sich netter an, am Ende aber bleibt es: ein sozialer Brennpunkt mit hoher Hartz-IV-Quote, abgewetzten Bordsteinen, ein bisschen Graffiti an den Häuserwänden. Jetzt steht der Mann mit der kleinen runden Brille und dem feinen Gesicht vor dem Kinder-, Jugend- und Kulturzentrum in der Sandgasse einem Fernsehteam Rede und Antwort. Da passiert es: Eine Wespe sticht zu, vor laufender Kamera.

Al-Wazir verzieht keine Miene. Stattdessen sagt er: „Da sieht man, wie gefährlich Schwarz-Gelb ist.“

Schlagfertig ist der Grünen-Spitzenkandidat für die Landtagswahl. Das bekommt gleich darauf auch Jürgen Trittin, sein Pendant für die Bundestagswahl, zu spüren. Im Tischfußball muss er gegen Al-Wazir antreten und hat keine Chance. Al-Wazir gewinnt, mit lädierter Hand.

Diese Landtagswahl ist einfach zu wichtig, um sich von einem Wespenstich beeindrucken zu lassen. Und Al-Wazir ist zu wichtig für diese Landtagswahl.

Er kämpft für Rot-Grün. Zum vierten Mal tut er das. Kaum ein Grünen-Politiker hat unter diesem Kampf so sehr gelitten wie er. Seit 18 Jahren sitzt der 42-Jährige in der hessischen Opposition. Dreimal war er schon Spitzenkandidat seiner Partei. Jedes Mal hat er ein besseres Ergebnis erzielt als zuvor. Für eine Regierungsbeteiligung hat es nie gereicht. Die SPD, so sagen es viele Grüne heute noch, hat die Chancen verspielt.

Diesmal droht ein ähnliches Schicksal. Wieder wird es knapp in Hessen. Dabei lag Rot-Grün mal vorn. Aber erst holte die CDU auf, dann schwächelten die Roten. Jetzt kommen die Grünen im Bund unter Druck – und damit vielleicht auch in Hessen. Wenn am 22. September parallel zur Bundestagswahl der neue Landtag gewählt wird, ist eine Pattsituation zwischen den Lagern nicht ausgeschlossen. Dann beginnt das Spiel, in dem Tarek Al-Wazir die wichtigste Figur ist. Dazu muss man wissen, dass sich Christ- und Sozialdemokraten in Hessen besonders giftig begegnen. Es bringt Al-Wazir in eine komfortable Lage. Er ist nicht an die SPD gebunden, nicht mehr.

Al-Wazir meldet Ansprüche an, Wirtschafts- und Verkehrsminister will er werden für den Fall eines Wahlsieges, er hat Ehrgeiz und keine Lust, noch mal in die Opposition zu gehen. Das hat er schon früh im Wahlkampf klargestellt. Er will seinem Namen endlich alle Ehre machen, heißt „Al-Wazir“ übersetzt doch „der Minister“. Seine eigenen Leute fürchten allerdings, es könnte etwas zu großkotzig rüberkommen, schon vor der Wahl Posten zu beanspruchen. Und die politische Konkurrenz sowohl von SPD als auch CDU empfindet es als Anmaßung, dass ausgerechnet von einem Grünen ein so wichtiges Ressort für sich reklamiert wird.

Aber Al-Wazir ist das egal. Er will seine Fähigkeiten unter Beweis stellen und die seiner Partei. Die Sozialdemokraten fürchten, dass er dafür sogar ein Bündnis mit der CDU eingehen würde. „Wenn es nicht reicht, dann wird es Schwarz-Grün“, sagen die Genossen hinter vorgehaltener Hand.

„Die sind doch alle noch so wie der Dregger damals“

Ihr Spitzenkandidat muss erst mal im Warteraum Platz nehmen. So steht es jedenfalls in altdeutscher Schrift an der braunen Holztür eines heruntergekommenen Bahnhofsgebäudes in Maintal. Thorsten Schäfer-Gümbel, neuer Hoffnungsträger der hessischen Sozialdemokraten, ist durch diese Tür mit ihren verschmierten Scheiben eingetreten. In einer Runde sitzen viele Männer mit grauen Haaren, ein paar jüngere stehen an der holzvertäfelten Wand, rote Gardinen vor den Fenstern. Der Duft von Filterkaffee hängt schwer im Raum. Koalitionsoptionen sind ein Thema, und Schäfer-Gümbel will etwas klarstellen, etwas, das ihn wurmt. „Wer Rot-Grün in die Regierung wählen will, muss SPD wählen, anders wird der Wechsel nicht gelingen.“ Und er schiebt nach: „So einfach ist das.“

Für eine Koalition wirbt Schäfer-Gümbel damit nicht gerade. Dabei haben er und Al-Wazir ein gutes Verhältnis. Doch die Grünen wollen im Frankfurter Nordend, einem alternativ-bürgerlichen Milieu, das Direktmandat gewinnen, dafür werben sie offensiv. Für die SPD ein Tabubruch. Die will die Absetzbewegungen jetzt für sich nutzen. Sie betont Unterschiede in der Schulpolitik, wo sie auf ein klares Ende der verkürzten Gymnasialzeit setzt, während die Grünen auf Freiwilligkeit bauen – wie die CDU.

Schäfer-Gümbel hat sich für diesen Wahlkampf einen Plan zurechtgelegt. Klares linkes Profil und ein bisschen Persönliches. Damit grenzt er sich deutlich von der CDU ab. Das Links-rechts-Schema funktioniert. Das merkt Schäfer-Gümbel auch im Warteraum in Maintal. Als Schäfer-Gümbel etwas zur hessischen CDU sagen will, brüllt ein älterer Genosse: „Die sind doch alle noch so wie der Dregger damals.“ Alfred Dregger, ehemaliges NSDAP-Mitglied, war lange Oberbürgermeister im erzkonservativen Fulda und Vorsitzender der Hessen-CDU. Bei den Sozialdemokraten, das sieht man, haben Vorbehalte historische Gründe.

Auch Al-Wazir hat nichts vergessen. Nicht die Unterschriftenkampagne von Roland Koch gegen die doppelte Staatsbürgerschaft 1999, nicht das Plakat der CDU, auf dem stand „Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen“, das empfand er als verletzend. Jetzt hat er selbst einen Plakat-Tick. „Wieder eins“, sagt Al-Wazir, als er an einem der grünen Großflächenplakate vorbeifährt. „Und noch eines.“ Al-Wazir, meist mit blauer Jeans, Sakko und Hemd unterwegs, führt keine Strichliste, aber registriert jedes Plakat genau. Es sind so viele wie nie: 400 Stück in ganz Hessen. Auf den meisten ist er zu sehen, oft auch Angela Dorn, die neben ihm Spitzenkandidatin ist. Auch so viele Parteizeitungen wie nie wurden gedruckt. Die Grünen legen sich rein in diesen Wahlkampf. Der ganze Aufwand nur für eine Option? Für eine, die auch noch wackelt?

„Erzähl du mal, Volker“

Das sind sie, die Spitzenkandidaten der Parteien in Hessen. Von links: Janine Wissler von der Linken, Grünen-Fraktionschef Tarek Al-Wazir, der SPD-Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel, der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und FDP-Fraktionschef Jörg-Uwe Hahn.
Das sind sie, die Spitzenkandidaten der Parteien in Hessen. Von links: Janine Wissler von der Linken, Grünen-Fraktionschef Tarek Al-Wazir, der SPD-Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel, der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und FDP-Fraktionschef Jörg-Uwe Hahn.

© dpa

Al-Wazir ist pragmatisch und ein bisschen genervt. Die SPD als Volkspartei darf große Koalitionen eingehen und es als Akt der Verantwortung verkaufen, aber wehe die Grünen blicken mal auf andere Partner. Die Sozialdemokraten wittern da gerne Verrat. Das stört ihn.

Und wieder eins.

Al-Wazir weiß, dass das Risiko bei Schwarz-Grün vor allem aufseiten der Grünen liegt. Da müsste er schon „nahezu 100 Prozent“ grünes Wahlprogramm in einem solchen Bündnis durchdrücken. Und er weiß auch, dass es in der CDU Hessen immer noch Hardliner gibt. Aber an der Spitze der Christdemokraten steht einer, den auch Al-Wazir nicht als „Schreckgespenst“ bezeichnen würde: Volker Bouffier.

Er ist der Letzte von der Tankstelle. Autobahn A 5 Richtung Norden. In einem eigens angemieteten Raum in der Raststätte Wetterau gründete sich eines der erfolgreichsten politischen Männerbündnisse. Personen wie Roland Koch, Volker Bouffier, Franz-Josef Jung versicherten sich hier gegenseitige Treue und Unterstützung. Alle sind sie etwas geworden. Jung tritt nun noch einmal als Spitzenkandidat der Hessen-CDU bei der Bundestagswahl an, Bouffier ist Ministerpräsident, einer der alten Garde, aber ohne den ganz harten Zungenschlag.

Auf einem Marktplatz in Nidda gibt er an einem frühen Dienstagabend die hessische Version des Merkel’schen Wahlkampfes zum Besten: viel reden, wenig sagen, Kurs halten. Auf dem Marktplatz stehen ein paar Bierbänke, eine schlichte Bühne mit Stehtisch und Rednerpult. Die warme Abendsonne erfüllt den Platz. Am Grill des benachbarten Hotels steht der Koch mit schwarz-rot-goldener Schürze. Familien sind da, Senioren, Menschen, die um diese Uhrzeit schon Feierabend haben.

Volker Bouffier, schneeweiße Haare, läuft winkend durch die Reihen. Er schüttelt ein paar Hände. Seine Frau Ursel begleitet ihn. Sie ist immer an seiner Seite in diesen Tagen – auch auf der Bühne. Denn der „Volker“ soll bekannt werden, nicht der „Bouffier“. Die erste Frage der Moderatorin betrifft das Wetter, die zweite den letzten Familienurlaub. „Erzähl du mal, Volker“, sagt Ursel.

Und Volker erzählt, wie er auch im Urlaub fotografiert werde und einmal gefragt worden sei, ob ihn das nicht nerve, permanent fotografiert zu werden. Man gewöhne sich daran, habe er erwidert. Im Gehen, erzählt der Volker, habe ihm die Person noch zugerufen: „Aber eines muss ich Ihnen schon sagen, Sie sehen dem Bouffier verdammt ähnlich.“

Tatsächlich, der Volker ist dem Bouffier sehr ähnlich. Beide spielen gerne, Volker Basketball und Playstation – und Bouffier das politische Spiel. So ist auch seine Rede, die er mit rauchiger Stimme vorträgt. Er röhrt regelrecht über den Marktplatz, aber es sind keine harten Attacken damit verbunden, nichts Derbes. Von Chancen spricht er stattdessen, die jeder verdient habe, vom Schulfrieden, der geschlossen worden sei, vom Ehrenamt, das er geschützt wissen will. Die Grünen, ja die greift er für den Veggie Day an, für die „Verbotskultur“. Aber das ist nichts Unüberbrückbares.

Er hat das Wort von der „Ausschließeritis“ geprägt

Interessant ist vor allem das, was er nicht erwähnt, Schwarz-Gelb zum Beispiel. Die FDP wird wohl sicher, aber knapp in den Landtag einziehen, und Bouffier weiß, dass er mehr Optionen braucht. Und die schwarz-grüne Option hätte Vorzüge – vor allem für ihn. In einer großen Koalition könnte Bouffier vom eher jugendlich wirkenden Thorsten Schäfer-Gümbel überragt werden. Es wäre für Bouffier ein Abschied auf Raten. Aber Schwarz-Grün könnte ihn auch bundespolitisch noch mal interessant machen – vor allem, wenn es funktioniert.

Erfahrung haben sie in Hessen mit solchen Bündnissen: In Frankfurt am Main regiert es seit einigen Jahren. Auch in Darmstadt, nur ist es dort ein grün-schwarzes. Ein erfahrener Christdemokrat, der die Raststätte Wetterau auch gut kennt und seit Jahrzehnten im Landtag sitzt, sagt: „In der Bildungspolitik kann ich mir eher vorstellen, mit den Grünen zu verhandeln als mit der SPD.“ Auch er betont, dass es schwierig ist. Vielleicht sogar unwahrscheinlich. So fordern die Grünen beispielsweise ein striktes Nachtflugverbot am Frankfurter Flughafen. In dieser Frage liegen sie allerdings auch mit der SPD überkreuz.

In Hessen wird man bei Beteuerungen, warum dieses oder jenes Bündnis nun wirklich nicht gehe, besonders hellhörig. Hier gab es die erste rot-grüne Koalition auf Landesebene mit Holger Börner und Joschka Fischer, auch das wurde vorher ausgeschlossen. Der erfahrene Christdemokrat schiebt beim Gehen hinterher. „Es könnte spannend werden – nach der Wahl.“

In Hessen schließt keiner irgendetwas aus. Auch Schwarz-Grün nicht. Al-Wazir hat das Wort von der „Ausschließeritis“ nach dem gescheiterten Versuch der Ex-Vorsitzenden der SPD-Hessen, Andrea Ypsilanti, Rot-Rot-Grün zu schmieden, nachdem sie es zuvor ausgeschlossen hatte, geprägt. Aber hessische Christdemokraten mit hessischen Grünen? Das wäre, als würde man Grüne Soße mit Handkäs’ kombinieren. Trifft da doch die Keimzelle der grünen Bewegung mit dem letzten Hort des Konservativen zusammen. Es sind manchmal nur Partikel, kleine Spuren einer schwarz-grünen Annäherung, aber sie fügen sich zusammen.

Wieder ein Plakat.

So wie in Büdingen, Wetteraukreis, in der Mitte Hessens. In dem Ort hat der Landesverband der Partei „Die Rechte“ seinen Sitz. Ein besonders großes Integrationsproblem haben sie hier nicht. Aber die jungen Menschen treibt das Thema um. Sie haben Al-Wazir gebeten, an einer Diskussion in der Aula des Wolfgang-Ernst-Gymnasiums teilzunehmen. Der kann darüber viel erzählen als Sohn einer Sudetendeutschen und eines jemenitischen Studenten. Er besitzt beide Pässe, wobei der jemenitische abgelaufen ist, auch weil er im Leben von Al-Wazir keine Rolle mehr spielt. Neben ihm sitzt Peter Tauber auf dem Podium, lokaler CDU-Bundestagsabgeordneter. Beide duzen sich. Sie streiten sich über Pässe, Formalien, aber es herrscht auch Einigkeit. „Es muss Regeln geben, an die man sich hält“, sagt Al-Wazir, als es um Jugendkriminalität geht. Er ist mehr Moderator als Angreifer. Über Tauber sagt er später: „Das ist keiner von den Bösen.“ Dabei ist Tauber so etwas wie ein Nachfolger von Manfred Kanther, denn der hatte diesen Wahlkreis, der damals noch etwas anders zugeschnitten war, auch schon direkt gewonnen. Und Kanther ist in den Augen von Al-Wazir definitiv ein Böser.

Al-Wazir zieht seine Kreise. Immer unterwegs mit einem grünen Opel, Hybrid natürlich. Er hat nur noch eine Bitte zum Schluss. Bloß nicht wieder so eine schwarz-grüne Geschichte. „Das ist Quatsch.“ Aber, Sie haben selbst … „Ich habe doch gar nichts gesagt.“

Und wieder eines.

Erschienen auf der Dritten Seite.

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