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Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz (l.) und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) nehmen den Zug zu einer Wahlkampfveranstaltung in Lübeck.

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Landtagswahlen in Schleswig-Holstein: Dem Schulz-Zug droht die Zwangsbremsung

In Schleswig-Holstein könnte die SPD-geführte Landesregierung am Sonntag abgewählt werden. Hat der Schulz-Zug keinen Schwung mehr?

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Der Regionalexpress RE 21631 zwischen Kiel und Lübeck ist zur Feierabendzeit meist gut besetzt, aber das Gedränge im letzten Zugwaggon an diesem Donnerstag hat einen speziellen Grund. Der Grund trägt Glatze, Brille, Bart und trotzige Selbstgewissheit zur Schau. Martin Schulz ist zum Wahlkampfendspurt nach Schleswig-Holstein gekommen, darum haben die Genossen ihm und sich selbst einen echten „Schulz-Zug“ spendiert.

Als Computerspiel begleitet der den SPD-Kanzlerkandidaten seit dem ersten seiner nunmehr 100 Tage, Symbol der glatten Durchfahrt bis ins Kanzleramt. Doch seit der Wahlpleite an der Saar passt das Bild nicht mehr so recht zur Realität. Im hohen Norden fährt zwar der reale Zug mit Schulz im Sonderwagen planmäßig in Lübeck ein. Doch dem symbolischen droht an diesem Sonntag die nächste Zwangsbremsung.

Die SPD-geführte Landesregierung steht auf der Kippe. Die letzten Umfragen sehen die CDU mit zwei, drei Prozentpunkten knapp vor den Sozialdemokraten mit ihrem Ministerpräsidenten Torsten Albig. Für dessen „Küsten-Koalition“ mit den Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) ist damit keine Mehrheit mehr in Sicht. Und bei aller Skepsis gegenüber der Demoskopie – anders als an der Saar sind sich die Umfrage-Institute diesmal in der Tendenz völlig einig.

Die CDU könnte erstmals seit langem ein Bundesland zurückgewinnen

Wie viel Bundestrend in diesen Zahlen steckt, lässt sich nicht zuverlässig messen. Unübersehbar ist aber, wie die Schulz-Welle für die SPD auch bundesweit abebbt und die CDU und Bundeskanzlerin Angela Merkel wieder klar die Nase vorn hat. Das wird zumindest dazu beigetragen haben, dass der CDU-Kandidat Daniel Günther sich auf einmal Hoffnung machen kann, als erster Christdemokrat seit einer halben Ewigkeit ein Land für die CDU zurück zu erobern.

Denn eigentlich grenzen die guten Werte für den jungen Herausforderer an ein Wunder. Im Prinzip ist Schleswig-Holstein mit seinem großen Anteil an Landbevölkerung durchaus christdemokratisches Territorium. Aber seit der Abwahl von Peter Harry Carstensen vor fünf Jahren hatte diesmal die CDU für sich die alte Landestradition gepachtet, auf der Kieler Kleinkunstbühne ein Stück um Kabale und Liebe aufzuführen. In fünf Akten traten immer neue CDU-Vorsitzende stürmisch auf und traurig ab – Christian von Boetticher fiel über eine frühere Beziehung zu einer Minderjährigen, Jost de Jager gab resigniert auf, Reimer Böge schied aus Gesundheitsgründen aus, Ingbert Liebing kapitulierte im letzten Oktober vor dem damaligen Umfragetief. Eher verzweiflungshalber wählte die CDU ihren Fraktionschef Günther zum Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten.

Vom SPD-Kandidaten haben viele noch nie gehört

Der 43-Jährige aus Eckernförde erwies sich als Glückgriff. Redegewandt und schlagfertig, dabei kein Ideologe, bot der studierte Politologe aus Eckernförde dem Ministerpräsidenten Albig zuletzt im Fernsehduell auf Augenhöhe Paroli. Die guten Werte für seine CDU sind um so bemerkenswerter, als die FDP mit ihrem Solo-Star Wolfgang Kubicki mit im Schnitt zehn Prozent zuletzt ebenfalls über ihrem letzten Wahlergebnis von 8,2 Prozent gemessen wird.

Andererseits – im Norden spielt die zweite CDU-Konkurrenz, die AfD, so gut wie keine Rolle. Die „Alternative“ liegt dort schon lange unter dem Bundesdurchschnitt, letzte Umfragezahlen schwankten zwischen fünf und sechs Prozent. Womöglich wird also der Kieler Landtag der erste seit elf Landtagswahlen, in den die Rechtspopulisten nicht einziehen. Das mag mit der Konturlosigkeit des Personals zu tun haben – von dem 41-jährigen Spitzenkandidaten Jörg Nobis haben die meisten Schleswig-Holsteiner noch nie gehört. Vielleicht spielen auch interne Querelen eine Rolle: Das eigene Schiedsgericht hält, wie vor wenigen Tagen bekannt wurde, den Landesvorstand für unrechtmäßig im Amt. Aber vielleicht hat auch einfach der Freidemokrat Kubicki recht: „Wer mich im Land hat, braucht keine Populisten.“

In Schleswig-Holstein herrscht eine regelrechte Wechselstimmung

Inhaltlich konzentrieren beide bürgerlichen Oppositionsparteien ihren Wahlkampf auf landespolitische Punkte, an denen es quietscht im Norden – Verkehrsprobleme zum Beispiel. Im Pendlerland Schleswig-Holstein mit wenigen Autobahnen löst jede Großbaustelle und jede Neubau-Verzögerung immer gleich flächendeckend Ärger aus.

Albig hat das zu spüren bekommen. Eine regelrechte Wechselstimmung herrscht nicht zwischen Flensburg und Plön. Aber von dem Amtsbonus ist auch nichts zu spüren, der in den letzten Landtagswahlen durchweg den Ministerpräsidenten unabhängig vom Parteibuch zugute kam. Dabei hat sein Regierungsbündnis in den letzten fünf Jahren weitgehend geräuschlos gearbeitet. Auch die oft giftige Konkurrenz ist Vergangenheit, die Albigs Vorgänger mit dem Landesparteichef und SPD-Vize Ralf Stegner ausfechten mussten.

Nur die Grünen profitieren absehbar von dem Dreierbund

Trotzdem profitiert von dem Dreierbund absehbar nur einer. Der kleinste Partner, der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), wird es nicht, auch wenn der gegen die üblichen politischen Stürme gefeit ist. Die sozialdemokratisch ausgerichtete Mini-Partei unterliegt als Vertretung der starken dänischen Minderheit im Raum um Flensburg nicht der Fünf-Prozent-Klausel. Ein Sitz im Landtag steht ihr damit automatisch zu; manchmal heimst sie Proteststimmen von anderen ein und reicht sogar knapp an die Sperrmarke heran wie 2012 mit 4,6 Prozent. Diesmal dürfte der SSW ein wenig darunter bleiben.

Etwas weniger stark als bei den 13,2 Prozent der letzten Wahl messen die Demoskopen auch die Grünen. Angesichts des rasanten Abschwungs, den die Ökoparteiaktien gerade bundesweit erleben, sind die etwa 12 Prozent schon wieder eine Sensation. Sie verdanken sich einem einzigen Mann. Robert Habeck, bei der Urwahl nur knapp gescheiterter Fast-Spitzenkandidat der Bundesgrünen, ist wahrscheinlich Deutschlands einziger grüner Umweltminister, dem selbst CDU-Agrarier nur zaghaft an den Karren fahren. „Wenn die SPD ein bisschen schwächelt, dann müssen wir eben noch ein bisschen zulegen“, hat er kürzlich gesagt. Wahrscheinlich ist er auch der einzige Grüne in Deutschland, bei dem das derzeit nicht frivol wirkt.

Albig will im Norden das bisherige Bündnis fortsetzen

Ob „ein bisschen zulegen“ reicht? Fraglich. Albig verkündet am Freitag im ARD-„Morgenmagazin“ tapfer, dass er sein jetziges Bündnis fortsetzen will. Aber wie die Dinge stehen, fügt er sicherheitshalber an: „Natürlich haben wir einen Plan B.“ Wie der aussehen soll, bleibt vorerst sein Geheimnis. Die Linke spielt im Land keine Rolle und dürfte außerparlamentarische Opposition bleiben.

Dass sich Kubickis FDP auf eine Ampel einlassen würde, gilt als unwahrscheinlich. Für die Freidemokraten hat das Überleben im Bund, also der Wiedereinzug in den Bundestag alleroberste Priorität. Dafür braucht die FDP verärgerte Merkel-Wähler vom rechten Rand der CDU. Die aber würden kaum bei der Stange bleiben, wenn ihre Stimme plötzlich eine sozialliberale Landesregierung installieren helfen würde.

So spricht vieles dafür, dass nach dem Wahlsonntag in Kiel über eine große Koalition gesprochen wird. Oder womöglich sogar über ein schwarz-grün-gelbes Jamaika-Bündnis.

Für Günther und seine Chefin im Kanzleramt wäre jeder Einstieg in die nächste Regierung ein schöner Erfolg, selbst wenn Albigs SPD sich noch knapp vor die CDU schieben sollte. Annegret Kramp-Karrenbauer hat mit dem Erfolg in Saarbrücken die suggestive Macht des Schulz-Zugs gebrochen; in Kiel und nächste Woche in Düsseldorf reicht aus Sicht der Bundestagswahlkämpferin Merkel ein anständiges CDU-Ergebnis völlig aus, um ihre Chancen zu wahren.

Der Mann im Regionalexpress hingegen muss auf Sieg setzen. Nach der Panne an der Saar könnte Schulz Schub aus dem Norden dringend brauchen für die Abstimmung in seiner Heimat Nordrhein-Westfalen. Denn so wie der Hype den Hype am Leben hält, zeugt die Niederlage gern mal weiter Niederlagen.

Martin Schulz will von solcher Logik verständlicherweise nichts wissen. In den ersten 100 Tagen seit seiner Ausrufung zum Kanzlerkandidaten sei die SPD von 20 auf 29, 30 Prozent geklettert, sagt er bei der Fahrt von Kiel nach Lübeck. „Wenn in den nächsten 100 Tagen die Entwicklung so weiter geht, bin ich zufrieden.“ Da scheint es wieder durch, das Bild vom Zug, der unaufhaltsam auf sein Ziel zurollt. Das will er allerdings heute verstanden wissen: Mit dem Begriff verbinde er die 16.000 Neumitglieder, die in die SPD eingetreten sind, seit Sigmar Gabriel an ihn übergeben hat: „Das hat schon eine gewisse Fahrt aufgenommen.“

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