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Politik: Langer Weg zurück

Bush und Blair suchen nach einer Strategie, ihre Soldaten aus dem Irak abzuziehen

Der innenpolitische Druck auf US-Präsident George W. Bush und den britischen Premier Tony Blair wächst, ihre Truppen im Irak zu reduzieren und den schrittweisen Abzug einzuleiten. Die Regierung des Irak dagegen fordert, die US- geführte Koalition müsse auf absehbare Zeit bleiben. Armee und Polizei seien noch nicht stark genug, um den Kampf gegen Milizen und Aufständische ohne ausländische Unterstützung zu gewinnen. Auch am Mittwoch forderten irakische Einheiten die Unterstützung der US-Luftwaffe an, als sie beim Versuch, den Anführer einer Extremistengruppe festzunehmen, beschossen wurden. Iraks Premier Nuri Maliki bezeichnete die US-Militärhilfe hinterher als Fehler.

Bush sagte am Mittwoch in Washington, er würde „die Truppen morgen nach Hause bringen, wenn die Lage es erlaubt“. Die USA würden aber erst abziehen, wenn Irak selbst die Sicherheit garantieren könne.

Auf dem Papier sind die irakischen Sicherheitskräfte – 277 000 Soldaten und 115 000 Polizisten – zusammen dreimal so stark wie die US-Truppen im Irak (130 000). Seit über einem Jahr sagt die Bush-Regierung, deren Ausbildung mache gute Fortschritte; der Moment, in dem irakische Kräfte die Verantwortung für die Sicherheit im Land übernehmen könnten, stehe kurz bevor. Doch dieser Optimismus wird korrigiert durch Berichte, wonach irakische Einheiten immer noch nicht voll trainiert oder ausgerüstet und nur bedingt kampffähig seien. Am Dienstag sagten General George Casey, US-Kommandeur im Irak, und US- Botschafter Zalmay Khalilzad, es werde noch zwölf bis 18 Monate dauern, bis der Irak die Verantwortung tragen könne.

Amerika verliert allmählich die Geduld mit der Regierung des Irak. Es verbreitet sich der Eindruck, auch dreieinhalb Jahre nach der Eroberung Bagdads scheuten die Iraker vor der vollen Verantwortung zurück. Denn dann müssten sie mehr gefährliche Aufgaben im Kampf übernehmen und gegen die Unterwanderung von Armee und Polizei durch radikale Schiiten und Sunniten vorgehen. Das würde die zerbrechliche politische Koalition gefährden, auf die sich Premier Maliki stützt.

Geburtshelfer des Irak nach dem Ende der Herrschaft von Saddam Hussein wollen die USA sein, nicht aber auf Dauer Ersatzarmee und Polizei, die für alles den Kopf hinhalten muss. Im Oktober sind bereits 89 US-Soldaten gefallen; es ist der blutigste Monat seit 2003. Seit Wochen gehen amerikanische und irakische Kräfte in Bagdad verstärkt gegen Todesmilizen und sektiererische Gewalt vor. Um diesen Kampf zu gewinnen, wird sogar eine kurzfristige Aufstockung der US-Truppen debattiert. Zwei Wochen vor der Kongresswahl ist das politisch heikel. Im Wahlkampf versprechen beide Seiten den Einstieg in den Ausstieg. Kriegsgegner stellten jetzt eine Seite ins Internet, auf der sie Unterschriften aktiver Soldaten gegen den Irakeinsatz sammeln wollen. Es sei „Zeit, dass die Soldaten nach Hause kommen“.

Die USA verlangen von Maliki nun einen Zeitplan, nach dem irakische Kräfte mehr Aufgaben übernehmen müssen. Maliki kündigte an, er wolle mehr tun, um das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. „Nur der Staat hat das Recht auf Bewaffnung“, sagte er am Mittwoch. Er bestritt aber, dass er einem US-Zeitplan zugestimmt habe. Bush hatte auf die Frage, ob es noch in seiner Amtszeit, die im Januar 2009 endet, zum Abzug kommen werde, kürzlich gesagt: „Komplettabzug jedes einzelnen Soldaten? Nein.“

Unter Druck steht auch Bushs Verbündeter Tony Blair. Der Chef der britischen Streitkräfte, General Richard Dannatt, kritisiert die Strategie. Die Präsenz der Truppen im Südirak trage mehr zum Konflikt bei als sie nutze. Die Briten verlieren ebenfalls die Geduld. 72 Prozent glauben zwar, dass der Irak nach einem Abzug in Chaos und Bürgerkrieg abgleiten werde, aber 62 Prozent fordern den Abzug „so bald wie möglich“. Blair betonte am Mittwoch im Unterhaus: „Wir werden nicht abziehen, bevor irakische Kräfte die Aufgaben übernehmen können. Das wäre Verrat am irakischen Volk.“ Am Montag hatte Blair Iraks Vizepremier Barham Salik bei dessen Besuch in London gesagt, er werde nicht die Nerven verlieren.

Tatsächlich sucht auch Blair nach einer Exitstrategie. Zugleich fürchtet er die politischen Folgen eines Kurswechsels, nachdem er Bush über mehrere Jahre eng zur Seite stand. Außenministerin Margaret Beckett sagte zu Wochenbeginn der BBC, der Irak könne sich als „außenpolitische Katastrophe“ für Großbritannien erweisen. Sie rückte vom unbedingten Ziel eines geeinten Irak ab und schloss auch eine Teilung des Landes zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden nicht aus – „wenn es das ist, was die Iraker wollen, und wenn sie es für machbar halten“.

Der britische Irak-Kommandeur General Richard Shirreff plant für Anfang 2007 den Abzug von 3000 der insgesamt 7000 Soldaten. Verteidigungsminister Des Browne sagt, der Irak könne binnen zwölf Monaten die volle Verantwortung übernehmen. In Amarah im Süden machen die Briten beunruhigende Erfahrungen. Im August übertrugen sie die Macht an Iraker. Am Wochenende kamen bei Kämpfen verfeindeter Schiitenmilizen dort mehr als 30 Menschen ums Leben.

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