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Politik: Lasst uns Einstein suchen

Von Thomas de Padova

Ach ja, heute ein Einstein, das wäre was. Nur, heutzutage hätte es einer wie er schwer angesichts des wissenschaftlichen Massenbetriebs, des rigiden Publikationswesens. Es ist zu befürchten, dass es für jemanden mit seinen besonderen Talenten und seinem Charakter heute schon heroisch und hoffnungslos wäre, überhaupt eine naturwissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen.

Es ist heroisch und hoffnungslos, einer Weltformel nachzujagen. Es ist heroisch und hoffnungslos, die Fachkollegen davon zu überzeugen, dass diese Formel richtig ist. Und es ist noch heroischer und hoffnungsloser, eine solche Formel unters Volk zu bringen. Womit schon einiges über die außergewöhnliche Erscheinung Albert Einsteins gesagt wäre, dem dies mit seiner Speziellen und Allgemeinen Relativitätstheorie gelang und der dann feststellte, dass es eine noch umfassendere Weltsicht geben muss. Das ließ ihm keine Ruhe mehr – bis zu seinem Tode im Jahr 1955.

„Das Wichtigste im Leben ist, nicht aufzuhören, Fragen zu stellen.“ Einstein meinte es damit ernst. Er unterwarf sich keiner Autorität, fragte stets direkt und bis hinunter zu den Grundbegriffen: den physikalischen und auch den moralischen. Sein Genie wirkte mitunter naiv. Aber wenn wir ihn nun, beginnend bei der offiziellen Eröffnung des Einstein-Jahres, in Festakten, Kongressen und Ausstellungen feiern, dann gerade deshalb: weil er mehr als jeder andere Forscher der Moderne die wissenschaftlichen Grundbegriffe verändert hat und nur dadurch aus dem teils bereits Naheliegenden die richtigen Schlüsse ziehen konnte.

Einstein brauchte, wie Kopernikus, kein Teleskop, um zu erkennen, dass die Erde nicht in der Mitte des Alls steht, dass die Geo-Metrie nicht das Maß aller Dinge ist. Ihm reichte das innere Auge, um zu durchschauen, dass die irdischen Maßstäbe für Raum und Zeit, Geschwindigkeit und Energie korrigiert werden müssen. Wir berücksichtigen dies heute unentwegt: wenn wir Satelliten um die Erde kreisen lassen, die langsamen Verschiebungen der Kontinente messen, Autos und Flugzeuge mit Navigationssystemen steuern. Die Relativitätstheorie wirkt direkt in den Alltag hinein.

Einstein konnte dies vor 100 Jahren nicht vorhersehen. Genauso war er von rein theoretischem Interesse geleitet, als er 1905 und 1916 die Grundlagen für den Laser legte. Einstein wollte nur Gewissheit über die Natur des Lichts erlangen. Er war darum bemüht zu verstehen, wie ein Atom auf ein auftreffendes Lichtteilchen reagiert – und schuf dabei zufällig die Voraussetzungen für ein Gerät, das heute in jedem CD-Player steckt, die Abrechnung an der Supermarktkasse beschleunigt und Augenoperationen erleichtert. Selbst die unglaublichsten, verschrobensten Gedankenexperimente der Quantenphysik, hinter denen Einstein „spukhafte Fernwirkungen“ am Werke sah, können seit kurzem eingesetzt werden, um Daten absolut abhörsicher von einem Ort zum anderen zu übertragen.

Ein Großteil der modernen Technik stellt sich bei näherem Hinsehen als unplanbare Folgeerscheinung einer vermeintlich nutzlosen Grundlagenforschung dar. Viele Arbeiten Einsteins sind bereits Beispiele dafür, andere könnten es noch in Jahrzehnten werden. Der historische Blick auf Einstein zeigt uns, dass sich angewandte Forschung und Grundlagenforschung nicht trennen lassen, dass einer Innovationsoffensive ohne eine Stärkung der Universitäten und Forschungseinrichtungen die Basis fehlt.

Mit seinem „Wunderjahr“ 1905 feiern wir eine der größten Denkleistungen der Menschheit. Ausgehend hiervon hat sich der Forschung nach und nach eine ganz und gar kosmische Weltsicht eröffnet, mit neuen Vorstellungen von Raum und Zeit und mit bis dahin unvorstellbaren Energien, die gleichermaßen aus dem Innern der Atome wie aus dem Inneren der Sterne auf die Erde geholt werden. Ein Quereinsteiger und Nonkonformist trug dies in die Forschung hinein. Einer, der den Mut hatte, sich auf sein eigenes Urteil zu berufen, und der, im Gegensatz zu vielen Fachkollegen, neben der Frage des „Wie?“ und des „Warum?“ auch die Frage des „Wofür?“ nicht scheute.

Ja, so einer wäre was. Gerade heute.

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