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Politik: Last Minute

Wie Sachsens Regierungschef Milbradt dem Rentengesetz zu einer Mehrheit verhalf – und Stoiber damit bloßstellte

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Berlin - Manchmal reicht ein kurzes Nicken, und Reformen werden wahr. Unmittelbar vor der Abstimmung über das Rentensteuergesetz im Bundesrat nickt der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) kurz, aber deutlich in Richtung der rheinland-pfälzischen Bank. Die Abgesandten aus Mainz verstanden: Milbradt wird die Hand zum Ja heben. Das hieß, sie mussten auch zustimmen. Denn an Rheinland-Pfalz, so hatte die Mainzer Regierung sich verständigt, dürfe das Gesetz nicht scheitern. Ohne Mainzer Stimmen wäre es gescheitert.

Am Morgen hatten die Länderchefs der Union mit CDU-Chefin Angela Merkel gefrühstückt. Anschließend verkündete Edmund Stoiber: „Wir stimmen gegen das Gesetz.“ Was ja wohl nur heißen konnte: Die Ablehnungsfront der Union steht. Tat sie aber nicht. Selten ist der Bayer so düpiert worden. Stoiber wollte das Gesetz nicht. Schon einmal hatte die CSU ein Vermittlungsverfahren gegen Merkel durchgesetzt, die das Gesetz stillschweigend im Bundesrat passieren lassen wollte. Denn nicht nur ein Verfassungsgerichtsauftrag, auch die katastrophalen Folgen für die Kassen der Länder erzwangen im Grunde ein Ja. Doch auch das nunmehr geänderte Gesetz fand Stoiber nicht überzeugend. Er und nicht zuletzt der Hesse Roland Koch wollten eine zweite Vermittlungsrunde.

Nach dem Frühstück indes war nur klar, dass nichts klar war in der Union. Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff etwa meinte eine Viertelstunde vor der Entscheidung noch, das in der Vermittlung geänderte rot-grüne Gesetz habe eine Mehrheit. Um fünf Minuten später zu vermelden, nein, die Mehrheit sei nicht da. Was war passiert? Vor allen Dingen war passiert, dass Stoiber sich beim Morgenkaffee eine Standpauke hatte anhören müssen. Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus, am Sonntag eine Landtagswahl vor Augen, Saar-Regierungschef Peter Müller, auch er schon halb im Wahlkampf, und Milbradt hatten sich empört. Stoiber habe seine Vermittlung bekommen und dort alles, was er gewollt und gefordert habe – jetzt solle er gefälligst auch zustimmen und den schwarzen Peter nicht den Wahlkämpfern der CDU zuschieben! Er würde die Hand heben, sagte Milbradt, aber Stoiber müsse auch.

Ob der Bayer daraus schloss, wenn seine Hand unten bliebe, werde der Sachse auch tatenlos verharren? Oder wusste er womöglich nicht, was das rot-gelbe Rheinland-Pfalz beschlossen hatte für den Fall, dass man die entscheidenden Stimmen hatte? Einige in der Morgenrunde wussten es. Angesprochen hat es niemand. Und worauf man sich nun eigentlich verständigt hatte – keiner mochte es sicher sagen. Außer Stoiber.

So nahm die Posse ihren Lauf. Milbradt blieb hinterher ungerührt. „Das Gesetz muss durch“, sagte er. Und überhaupt: „Die Pokerei muss ein Ende haben.“ So verhalfen Sachsen, Rheinland-Pfalz und – was schon länger festgestanden hatte – Hamburg dem Gesetz zur Mehrheit.

Stoibers Staatskanzleichef Erwin Huber musste die Scherben kitten. Das „wir“ von Stoiber habe sich „nur auf Bayern und die Mehrheit der Unionsländer bezogen“. Andererseits – das Ja von Sachsen und Rheinland-Pfalz sei schon „überraschend“ gekommen. Aber wenn’s denn überraschend war – warum sprach dann Stoiber schon zuvor nur für die Teilmenge? Der bayerische Ministerpräsident war jedenfalls genervt. Nahezu wortlos brach er sich im Foyer des Bundesrats Bahn durch den Pulk der Journalisten. „Lasst’s mich zum Bundespräsidenten!“ rief er. Dort bekam er das Bundesverdienstkreuz. Der Mainzer SPD-Regierungschef Kurt Beck auch. Aber das stand schon länger fest und hatte nichts zu tun mit dem Vormittag im Bundesrat.

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