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Politik: Lateinamerika im Linkstrend

2006 wird in zehn Ländern gewählt. Die großen Themen: Die Dominanz der USA und die Korruption

Von Michael Schmidt

Berlin - In Washington blickt man gespannt auf Lateinamerika. Denn: Der Südkontinent bereitet sich auf ein Superwahljahr vor. Zehn Länder, von Chile bis Mexiko, werden bis Ende 2006 ihren künftigen Präsidenten bestimmen, die meisten auch ein neues Parlament wählen. 85 Prozent aller Lateinamerikaner werden in den kommenden zwölf Monaten an die Wahlurnen gerufen. Dabei könnte die antiamerikanische Linke weiter gewinnen.

Nach dem Fall der Militärdiktaturen und der Welle der Re-Demokratisierung in den Neunzigern ist das der aktuelle Großtrend in Lateinamerika. Drei Viertel Südamerikas werden bereits von links der Mitte regiert. Venezuela, Chile, Argentinien, Brasilien, Uruguay – jetzt auch Bolivien. Und 2006 könnten Mexiko, Nicaragua und Peru hinzukommen. Nun ist Links nicht gleich Links. Das reicht vom marktwirtschaftlich-orientierten Pragmatismus eines Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilien bin hin zum populistisch radikalen Nationalismus eines Hugo Chávez in Venezuela. Aber gemeinsam ist allen die Ablehnung des vom Internationalen Währungsfonds diktierten neoliberalen Reformkurses der Neunziger. Denn nach wie vor leben 40 Prozent der 550 Millionen Lateinamerikaner unter der Armutsgrenze. Gemeinsam ist allen die Kritik an den USA und der Wunsch nach Emanzipation vom großen Nachbarn wie auch die Verachtung der korrupten Eliten daheim.

In Chile geht deshalb die Sozialdemokratin Michelle Bachelet als Favoritin in die Stichwahl um die Präsidentschaft am 15. Januar. In Costa Rica gilt die Wahl des Sozialdemokraten, Friedensnobelpreisträgers und früheren Staatschefs Oscar Arias von der Nationalen Partei der Befreiung (PLN) am 5. Februar bereits als sicher – die konservative Regierungspartei PUS hat noch keinen Kandidaten nominiert. In Peru deutet alles auf ein Kopf-an-Kopf- Rennen zwischen der rechtsgerichteten Lourdes Flores und dem linken Offizier und Ex-Putschisten Ollanta Humala am 9. April hin. Favorit für die Nachfolge von Vicente Fox im derzeit konservativ regierten Mexiko ist am 2. Juli der charismatische Manuel López Obrador von der linken Partei der Demokratischen Revolution. Der frühere Bürgermeister von Mexiko-Stadt dürfte einen pragmatischen Linkskurs einschlagen. In Nicaragua versucht der frühere Präsident und linke Sandinistenführer Daniel Ortega das vierte Mal in Folge, die 1990 verlorene Macht wiederzuerlangen. Ecuadors gestürzter Präsident Lucio Gutierrez wurde im Oktober 2005 nach seiner Rückkehr aus dem Exil festgenommen. Er will seinen Wahlkampf aus einem Gefängnis in Quito führen. In Brasilien muss Präsident Lula da Silva nach schweren Korruptionsskandalen in seiner Arbeiterpartei um seine Wiederwahl im Oktober fürchten. Ende des Jahres dann will sich Präsident Chavez in Venezuela mit guten Gewinnaussichten zur Wiederwahl stellen.

Gegen den Trend läuft die Entwicklung in Kolumbien . Bei den Wahlen am 26. Mai kann der konservative Präsident Álvaro Uribe, ein treuer Verbündeter der USA, mit bis zu zwei Drittel der Stimmen auf eine Wiederwahl hoffen.

Die Parlaments- und Präsidentenwahlen in Haiti sollten – nach mehreren Verschiebungen – am 8. Januar der Auftakt für das Superwahljahr sein. Doch wegen organisatorischer Probleme gibt es einen erneuten Aufschub – um unbestimmte Zeit. Seit dem Sturz von Präsident Aristide im Februar 2004 wird das Land von einer Übergangsregierung verwaltet, die unter dem Schutz von UN-Truppen steht. Der Wahlausgang ist völlig offen.

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