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Latino-Wähler könnten die US-Wahl entscheiden: Der Swing des Südens

Sie könnten die Wahl in den USA entscheiden: Die Latinos. 24 Millionen von ihnen sind stimmberechtigt. Vor vier Jahren haben sie große Hoffnungen in Obama gesetzt - aber viele sind jetzt bitter enttäuscht. Das hat sogar Romney zu spät begriffen.

Von Katrin Schulze

Früher war alles besser. Die Tische in seinem Restaurant waren voll und die Möglichkeiten, die sich für Jesus Ovidaz daraus ergaben, scheinbar grenzenlos. Früher wurden die Träume eines kleinen Einwanderers in Amerika wahr. Das Früher von Jesus Ovidaz endete vor ziemlich genau vier Jahren. So jedenfalls geht seine Rechnung.

Vor ziemlich genau vier Jahren wurde Barack Obama Präsident der USA.

Obama – der Name allein reicht, um Jesus Ovidaz zu reizen. Er schnaubt, kneift die Augen zusammen und schlägt mit der Faust auf einen seiner leeren Tische. „Seit er an der Macht ist, hat sich meine Situation drastisch verschlimmert, und nicht nur meine“, sagt Ovidaz. Seine Stimme ist etwas brüchig geworden im Alter, aufregen kann sich der Gastronom aber noch wie ein Junger. So wie er eigentlich schon immer aufmuckt gegen das, was ihn ärgert. Damals in Kuba, heute in den USA. Genauer gesagt in Hialeah, einer Stadt ganz in der Nähe von Miami.

Jesus Ovidaz ist einer von 4,2 Millionen Einwanderern aus Lateinamerika, die in Florida ein neues Zuhause gefunden haben. Er gehört zu der Gruppe in den USA, die so rasant wächst, dass sie im Jahr 2050 ein Drittel der Bevölkerung ausmachen dürfte. Künftige Präsidentschaftskandidaten werden sich für ihre Belange einsetzen müssen, aber schon im Herbst 2012 könnten die beinahe 24 Millionen wahlberechtigten Latinos im Land am Ende entscheiden, wer die USA in den nächsten vier Jahren regiert.

Vor vier Jahren haben sie mehrheitlich für Barack Obama gestimmt. Nun sind viele enttäuscht, dass unter seiner Regie zu wenig passiert ist; wütend, dass so viel nicht wahr wurde von dem, was der Mann, dessen Vater selbst nicht in den USA geboren wurde, versprochen hatte. Ovidaz gehört zu den Enttäuschten – und das, obwohl er wie viele ältere Exilkubaner eigentlich ultrakonservativ ist. Und ultraamerikanisch.

Kuba findet im Leben von Jesus Ovidaz nur noch als Erinnerung statt, keine schöne. Sein zweites Leben ist ihm lieber. Überall hängen im Restaurant amerikanische Flaggen. Das Schild mit der Aufschrift „Chico’s Restaurant“ blinkt über der Eingangstür in den Nationalfarben Weiß, Rot, Blau.

„Ich liebe dieses Land“, sagt er, der ein Bild aufgehängt hat, das alle amerikanischen Präsidenten zeigt. Alle, bis auf den aktuellen. Doch er wird die Ahnung nicht los, dass es ihm hier bald so schlecht gehen könnte wie in seinem ersten Leben. Dass er noch einmal arbeits- und mittellos dastehen könnte.

Wettrennen um ein paar Stimmchen

Mit 73, ein kleiner Bauch wölbt sich unter seinem hellen Hemd, die Haare sind ihm alle ausgegangen, muss Jesus Ovidaz eingestehen: „Es kommt einfach keiner mehr.“ Er schwingt dabei seinen rechten Arm im Halbkreis durch den Laden, als wollte er den zum Verkauf anpreisen. Hinter der Theke langweilen sich ein paar Servicekräfte, und aus dem Radio dudelt Musik, die man wohl nicht hörte, wäre das Lokal mit Menschen gefüllt.

Niemand hat sich in Chico’s Restaurant verlaufen. Nicht zum Frühstück und auch nicht zum Lunch, gestern Abend kam ein Pärchen auf einen Snack und zwei Getränke vorbei. Mehr nicht. „Mehr nicht“, sagt Jesus Ovidaz.

Noch so ein Reizthema, und abermals kracht seine Faust auf den Tisch. „Die Leute haben kein Geld mehr, sie gehen nicht mehr essen. Und bald haben wir deshalb auch kein Geld mehr.“ Er sagt das auf Spanisch. Wie auch die Menükarte die Speisen nur auf Spanisch führt.

Es mag paradox klingen, aber in der anglophilen Welt des Jesus Ovidaz kommt Englisch kaum vor. Seine Tochter Liz ist die Einzige im Restaurant, die Englisch beherrscht und für ihren Vater übersetzt, falls es einmal nötig sein sollte. 44 Jahre lang brauchte Vater Ovidaz die Sprache der USA nicht, so lange lebt er schon hier. Den Großteil davon in Südflorida, wo es ganze Städte gibt, in denen man es mit Spanisch weit bringt.

Hialeah ist so eine Stadt, 95 Prozent der etwa 200 000 Einwohner haben ihre Wurzeln in Südamerika. Mal wählen sie hier links, mal rechts, mal demokratisch, mal republikanisch. Immer aber geht es eng zu. Das macht den 21. Wahlbezirk zum politisch wichtigsten in ganz Florida.

Wer die Hispanics hier für sich einnehmen kann, hat die Wechselwähler im wichtigsten Wechselwählerstaat der USA für sich gewonnen. Das ist für die Präsidentenwahl womöglich ausschlaggebend. So ist am Mittwoch der Republikaner Mitt Romney in Hialeah und Miami, gefolgt vom Demokraten Barack Obama am Donnerstag, Freitag und Samstag tourt Romney durch den nördlichen Teil Floridas nach Sarasota und Tampa, für Obama bleibt Orlando. Sonntag kehrt Romney abends kurz nach Miami zurück, für Montag hat sich erneut Obama angekündigt. Es ist ein Wettrennen – um die paar Stimmchen, die am Ende den Unterschied ausmachten könnten. Im Moment führt Romney in den Umfragen knapp.

Aus dem riesigen Saal der Universität von Florida lärmt es schon zwei Stunden bevor Romney auf die Bühne steigt. Eine Band spielt karibische Partymusik, zu der ein paar Menschen vor der Bühne Samba tanzen. „Juntos con Romney“ steht Weiß auf Blau zwischen den Girlanden – "Gemeinsam mit Romney". Dabei dürfen zuerst Marco Rubio, der Sohn kubanischer Einwanderer, der es beinahe zum Vizekandidaten gebracht hätte, und Romney-Sohn Craig sprechen. Beide begrüßen die Gäste auf Spanisch und Craig Romney trägt eine hübsche Anekdote aus der Kindheit vor, die den reichen Präsidentschaftskandidaten zu einem volksnahen, aufopferungsvollen Bürger werden lässt. Die Menge jubelt. „Romney, Romney.“

Jesus Ovidaz wollte sich das eigentlich nicht entgehen lassen, aber dann ist er lieber im Restaurant geblieben, falls doch noch jemand vorbeischaut. Die Geschichte, die Mitt Romney an diesem Tag erzählt, von den Chancen, die sich jedem in diesem Land bieten, sie hätte ihm sicherlich gefallen. Irgendwie ist es ja seine, Ovidaz’ eigene Geschichte.

1968 war es, als sein amerikanischer Aufstieg – tatsächlich – als Tellerwäscher in einem New Yorker Restaurant begann. Beinahe ein Jahr hatte er zuvor in Kuba im Gefängnis verbracht, bevor er ausreisen durfte. „Auf einmal hatte ich Möglichkeiten“, sagt Ovidaz. „Wer gearbeitet hat, hatte auch Geld und konnte sich hocharbeiten. Sich etwas leisten.“

„Die Jobs, die die übernehmen, will doch kein anderer machen.“

Acht Jahre später zog er in den Süden, weil er sich ein gutes Geschäft versprach, und weil es hier noch mehr von seiner Sorte gab. Zunächst arbeitete er als Kellner, dann als leitender Angestellter. Als das Geld ausreichte, eröffnete er sein eigenes Lokal. 24 Stunden, sieben Tage in der Woche hat Chico’s Restaurant seither geöffnet, Ovidaz selbst ist zwölf Stunden täglich vor Ort. Er arbeitet, Geld verdient er nicht, im Gegenteil.

Seit kaum noch Gäste zum Essen kommen, zahlt er drauf, und Jesus Ovidaz aus Hialeah, Florida, ist nun der lebende Beweis dafür, wie brüchig diese Verheißung geworden ist: ein besseres Dasein in einem besseren Land. Dafür, dass es jeder, unabhängig seiner Herkunft, schaffen können muss, dass die Nation mit jedem Einwanderer ein kleines Stückchen reicher und nobler werde.

Das klingt selbst nobel. Nicht wahr, Señor Ovidaz? „Nein, nein. Früher war das so. Heute kommen zu viele Leute ins Land. 85 Prozent von ihnen sind nicht nett, und sie machen viel kaputt“, sagt Ovidaz.

Nichts beschäftigt die Hispanics hier in Florida so sehr wie die Immigrationspolitik der Regierung. Klar, es geht ihnen auch um die Bildung und das Gesundheitssystem, aber noch mehr reden sie über die Einwanderer. Und die Arbeitslosigkeit, die unter den Hispanics höher ist als im landesweiten Durchschnitt. Für einige wie Jesus Ovidaz ist beides direkt miteinander verbunden. „Die vielen neuen Einwanderer nehmen hier die Jobs weg“, sagt der Alteinwanderer.

Wenn Gustavo Bardales so etwas hört, fängt er hämisch an zu lachen und sagt dann mit kehliger Stimme: „Die Jobs, die die übernehmen, will doch kein anderer machen. So sieht es aus.“

Bardales und Ovidaz kennen sich nicht. Dabei ist Bardales nur wenige Meilen von Chico’s Restaurant entfernt in derselben Branche beschäftigt, als Manager des Latino Café. Und doch ist er, der Jüngere, der aus Honduras in die USA kam, ziemlich weit weg. Gedanklich, wirtschaftlich. Ovidaz kritisiert jene, für die Bardales steht. Und Bardales dürfte Ovidaz deswegen für engstirnig halten. „So sind viele der Kubaner hier“, sagt er.

Klein sind Bardales’ dunkle Augen im runden Gesicht, klein vor Erschöpfung. Die grau-schwarze Arbeitskleidung mit dem goldenen Namensschild hat er nach Feierabend gegen eine Bluejeans und ein armeegrünes Hemd getauscht. 14 Stunden hat er heute wieder geschuftet. Mitten im Bankenviertel liegt das Café und ist voll. Plätze sind nur gelegentlich am Tresen zu bekommen. Doch zusätzlich zu diesem Job hat sich der 36-Jährige die Arbeit bei einer Hilfsorganisation aufgehalst. Die kümmert sich um Neuankömmlinge.

Pflicht zur "Selbstdeportation"?

Alle Einwanderer müssten auf dieselbe Weise behandelt werden, findet Gustavo Bardales, wie die Kubaner, die vor dem Sozialismus fliehend automatisch eine Aufenthaltsgenehmigung in den USA bekommen. Doch für jeden Einzelnen muss er kämpfen in seinem ehrenamtlichen Nebenjob. Wohnungssuche, Papierkram, ein Job und irgendwann, wenn’s gut läuft, vielleicht auch mal die offizielle Erlaubnis zum Dableiben.

Vor vier Jahren stimmte Gustavo Bardales auch deshalb für Barack Obama, weil der ein neues Einwanderungsgesetz versprach. Bis heute ist nur ein kleiner Teil in Kraft gesetzt, wonach den Jüngeren der zwölf Millionen Illegalen im Land eine Aufenthaltserlaubnis in Aussicht gestellt wird. Romney wehrte sich solange dagegen – und sprach sogar von „Überfremdung“ und einer Pflicht zur „Selbstdeportation“ – bis er begriff, wie schlecht dies bei den vielen Hispanics, die er braucht, um Präsident zu werden, ankommt.

Viele von ihnen leben im östlichen Teil von Hialeah. Dort, wo orangefarbene eingeschossige Gebäude mit dunklen Holztüren stehen. Wer in ihnen wohnt, hat nicht viel. Wer es einen Schritt weiter geschafft hat, verkauft an den großen Straßenkreuzungen von Hialeah mitunter Blumen, Süßigkeiten oder Getränke.

Zehn Jahre ist es her, dass Gustavo Bardales seine Eltern und sämtliche Verwandte in Honduras zurückließ. Seither war er fünfmal in der Heimat. Sehr vermisst er sie und die ärmlichen Verhältnisse dort nicht. In den USA fing er als Autoschlosser an, dann baute und verkaufte er Swimmingpools. Später kellnerte er. Zuletzt hat er sich innerhalb von acht Monaten im Latino Café zum Manager hochgearbeitet.

Mit Frau und Sohn wohnt Gustavo Bardales in einem besseren Viertel Hialeahs. In einem kleinen Reihenhäuschen mit kleinem Vorgarten. „Ich würde alles wieder so machen, wenn ich die Wahl hätte“, sagt er. „Vieles hat sich in den USA nicht erfüllt, aber mir geht es besser.“ Früher war nicht alles besser.

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