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Politik: Leben unter Staub

Die Menschen in Bagdad – zwischen Angst und Alltag

Bagdad. Der Geldwechsler Ahmed weiß, wie die Menschen in Bagdad die Lage einschätzen. Denn die Kursentwicklung ist ein guter Indikator für die Stimmung bei den Geschäftsleuten und im Volk. Gerade jetzt, wo die amerikanisch-britische Streitmacht der Stadt immer näher rückt.

Von Panik ist in Bagdad nichts zu spüren. „Der Dinar-Kurs hat sich stabilisiert. Am ersten Kriegstag ist er bis auf 3150 Dinar für den Dollar gefallen. Heute steht er wieder bei 2900“, sagt Ahmed. „Die Leute glauben nicht an ein Ende des Dinar.“ Der dramatische Absturz nach der ersten Bombennacht war offenbar eine Reaktion auf die Einschätzung vieler Händler, dass das Regime von Saddam Hussein sich nicht mehr lange halten könnte. Mit dem Zerfall des Staates, der Inflation im Nacken und den Amerikanern in der Stadt wären dann alle größeren Geschäfte nur noch in Dollar gemacht worden.

Doch derzeit sieht das Leben in Bagdad ganz anders aus. Frauen nutzen die Zeit zwischen den Bombenangriffen, um durch geöffnete Geschäfte zu streifen. Sie wollen größere Vorräte für ihre Familien, die oft zusammen in größeren Gruppen in Häusern abwarten, anlegen. Denn viele Iraker stellen sich auf einen längeren Krieg ein. „Wir suchen Datteln und Käse“, sagt eine ältere Dame, die in einem Geschäft im Zentrum die Regale absucht. Doch die sind fast leer.

„Ich habe noch Ware. Die halte ich aber hinten im Lager“, sagt der Händler später. Vorne in der Auslage könnten Lebensmittel und Haushaltswaren bei einer Bombardierung zerstört werden. Oder der Laden könnte geplündert werden, falls die Schaufensterscheibe bei einem nächtlichen Angriff zu Bruch gehen sollte. Und: Die Ware ist schon jetzt eine gute Geldanlage, weil die Preise im Großhandel deutlich gestiegen sind.

Das irakische Volk hat nach mehreren Kriegen fast schon Routine im Umgang mit Krisenzeiten. Dennoch, eine längere Belagerung der Stadt durch amerikanische Truppen mit andauernden Gefechten in den Außenbezirken ist für die Iraker ein Horrorszenario. „Ein Kessel wäre schlimmer als der Krieg“, sagt ein alter Mann. „Die Menschen haben Angst davor.“ Sollten sich die US-Soldaten den Weg ins Zentrum von Bagdad durch lange, schwere Gefechte und um den Preis vieler ziviler Opfer freikämpfen müssen, würden sie sich wahrscheinlich als Eroberer fühlen, befürchtet er. „Sie werden dann nicht als Befreier kommen.“ Schon jetzt fühlen sich immer mehr Menschen mit den irakischen Kämpfern an der Front verbunden, die inmitten eines starken Sandsturms erbitterten Widerstand leisten.

Auch Bagdad liegt unter einer dicken Staubschicht, die am Mittwoch schon den zweiten Tag in Folge von heftigen Böen über Häuser und Ruinen verteilt wird. Der Sand in der Luft filtert das Sonnenlicht und taucht die ganze Stadt in ein orange-braunes Licht. Palmen biegen sich im Wind und der Staub kriecht bis in die hintersten Winkel. Ein Iraker sagt: „Das Wetter und der Sturm sind genau richtig für den Angriff unserer Beduinenstämme.“

Carsten Hoffmann[dpa]

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