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 Gerd Billen (57) ist seit 2007 Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Er gehört zu den Gründern der Verbraucherinitiative und war vor seiner Tätigkeit als oberster Verbraucherschützer 14 Jahre lang Geschäftsführer des Umweltverbands Nabu.

© Mike Wolff

Lebensmittelskandale: „Die meisten halten nicht durch“

Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverband Gerd Billen spricht über Käfigeier und sensible Firmen.

Wie viel Macht haben die Verbraucher?

Verbraucher haben viel Macht. Im Internetzeitalter können sie mit einem Klick den Anbieter wechseln. Leiharbeiter bei Amazon, Textilhandel und Produktionsbedingungen in Bangladesch oder Käfigeier: Es gibt viele Beispiele, wie Verbraucher durch ihr individuelles Einkaufsverhalten den Markt beeinflussen können. Es ist gar nicht wichtig, dass 80 oder 90 Prozent der Verbraucher mitmachen. Handelsunternehmen spüren schon geringe Veränderungen.

Wann ist Verbrauchermacht besonders erfolgreich, oder eben nicht?
Verbraucher haben besonders dort viel Macht, wo sie durch tägliche Entscheidungen Dinge beeinflussen können. Handelsunternehmen reagieren sehr sensibel auf Veränderungsprozesse. Hersteller von Investitionsgütern hingegen lassen sich durch Verbraucherverhalten nicht verändern. Wir sehen in den Kulturen, in denen die Verantwortung von Unternehmen eine größere Rolle spielt, dass Verbrauchermacht besser wirkt. In Deutschland und Schweden etwa, wo auch in den Unternehmen selbst über Nachhaltigkeit nachgedacht wird. Japanische Firmen interessiert das weniger.

Pferdefleisch statt Rindfleisch gehört zu einer langen Reihe von mehr oder minder relevanten Lebensmittelskandalen. Die Aufregung ist groß, ändern tut sich wenig. Warum?
Das liegt daran, dass zunächst viele sagen: Ich kaufe nicht mehr bei Amazon. Oder: Ich kaufe kein Fleisch mehr. Aber die meisten halten das nicht durch. Irgendwann geht die Empörung zurück, und die allermeisten von uns fallen in ihre traditionellen Einkaufsgewohnheiten zurück. Wenn es keine politischen Kräfte gibt, die diesen Ärger bündeln, besteht die Gefahr, dass Themen versanden. Zwischen der Entdeckung eines Skandals und dessen Lösung können Jahre ins Land gehen. Zum Beispiel Dioxin: Große Aufregung, Zehn-Punkte-Pläne, und dann geht das in die Mühlen. Dann stellen Bund und Länder fest, dass die Lösung Geld kostet, zum Beispiel für Lebensmittelkontrollen. Geld soll nicht ausgegeben werden, und dann versandet es. Deshalb ist es wichtig, dass es Verbraucherorganisationen gibt und Verbraucherthemen in den politischen Institutionen stärker verankert werden.

Was wünschen Sie sich?
Ich wünsche mir ein starkes Verbraucherministerium, das anderen Ressorts auch auf die Finger klopfen kann. Aber auch Institutionen, die kontrollieren, ob der Staat seine Versprechen umsetzt. Das Internetportal „www.lebensmittelwarnung.de“ informiert zwar über mögliche Gesundheitsgefahren. Es fehlt aber ein Portal, das über Irreführung, Täuschung oder Betrug aufklärt. Das auf „www.lebensmittelklarheit.de“ zu integrieren, würde sich anbieten, weil Verbraucher hier selbst Beobachtungen melden können.

Wie greift der Verbraucherzentrale Bundesverband das Unbehagen von Verbrauchern auf?
Wir können die Probleme erkennen, Themen durchdringen und aufzeigen, was verbraucherpolitisch nötig ist. In Anbetracht unserer Mittel und bei der Fülle von Themen und Aufgaben können wir das aber nicht immer mit der notwendigen Tiefe tun. Unsere Herausforderung besteht darin, Verbraucher zu aktivieren, sich selbst für ihre Rechte einzusetzen. Verbraucherschutz lässt sich nicht delegieren. Die Verbraucher sollten sich nicht alles gefallen lassen und in ihren Wahlkreisen ihre eigenen Abgeordneten fragen, wie sie ihre Interessen zu vertreten gedenken. Es gibt zu viele Fälle, in denen wir Empörung erleben, aber nicht genug Unterstützung bei der politischen Umsetzung erfahren.

Ein Beispiel?
Ein Beispiel sind die Pläne, Kunden nicht mehr an den Bewertungsreserven ihrer Lebensversicherung zu beteiligen. Im Dezember kamen diese Änderungen fast unbemerkt über das Sepa-Begleitgesetz, das den europäischen Zahlungsverkehr regelt, und konnten erst mit Hilfe des Bundesrats verhindert werden. Jetzt kämpfen wir im Vermittlungsausschuss dafür, dass Kunden ihren Status quo behalten. So ein Huckepackverfahren erschwert unsere Arbeit und eine kritische Auseinandersetzung.

Wann sind Verbraucher ohnmächtig?
Es ist für Verbraucher immer dann schwierig, wenn sie es mit Monopolen zu tun haben. Wenn es Unternehmen ziemlich egal sein kann, was ihre Kunden sagen. In der Vergangenheit galt das oft für die Deutsche Bahn. Sie fühlte sich von ihren Kunden eher belästigt, als dass sie sich für sie interessierte. Heute sind es Unternehmen wie Facebook oder Google, die sich zu wenig darum kümmern, was sich Verbraucher wünschen. Das gibt Verbrauchern oft das Gefühl, ohnmächtig zu sein. Wir müssen uns gemeinsam mit Wirtschaft und Politik dafür einsetzen, dass das nicht so bleibt.

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