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Petra Stanat zweifelt an den Berliner Schulreformen

© dpa

Leiterin des Ländervergleichs im Interview: "Positive Effekte einer früheren Einschulung sind nicht erwiesen"

Berlin schneidet beim, bundesweiten Vergleich der Grundschulen sehr schlecht ab. Die Leiterin des Ländervergleichs, Petra Stanat, stellt den Erfolg der Berliner Schulreformen in Frage.

Berlin sah sich mit der Früheinschulung und dem jahrgangsübergreifenden Lernen in einer Vorreiterrolle. Warum schneiden die Grundschüler trotz der Reformen so schlecht ab?

Positive Effekte der Einschulung mit fünf Jahren und von Jül sind durch Bildungsforschung keineswegs erwiesen. Die Annahme etwa, dass ein früherer Beginn der schulischen Lernzeit sinnvoll sein kann, ist zwar plausibel, aber nicht belegt. Beide Reformen erhöhen die Heterogenität der Lerngruppen. Damit umzugehen, ist für Lehrkräfte sehr anspruchsvoll und es fragt sich, ob sie in Berlin dabei ausreichend unterstützt wurden, etwa mit gezielten Fortbildungen. Das gilt auch für das Erreichen der Bildungsstandards. Wenn Vergleichsarbeiten in einer Schule zeigen, dass sie vom Erreichen der Ziele weit entfernt ist, muss sie unterstützt werden – von der Analyse der Ursachen bis zur konkreten Hilfestellung.

Sehen Sie auch ermutigende Ergebnisse für Berlin?

Etwa 61 Prozent der Viertklässler lernen an einer Schule mit Ganztagsangebot, hier ist Berlin mit drei weiteren Ländern Vorreiter. Das ist ein erhebliches Potenzial, das aber auch genutzt werden muss. Ebenso muss man sicherstellen, dass die zusätzlichen Lehrerstunden für Sprachförderung effektiv eingesetzt werden. Hamburg scheint mir da weiter zu sein; dort werden Zielvereinbarungen mit den Schulen getroffen, und die Effekte der Sprachförderung werden überprüft.

Gibt es einen Zusammenhang des schlechten Berliner Abschneidens mit der sechsjährigen Grundschule?

In Ländern, in denen der Übergang zur Oberschule nach der vierten Klasse ansteht, ist der Druck bei allen Beteiligten größer. Das könnte zu Leistungssteigerungen führen. Berlin darf aber die Mindeststandards für die vierte Klasse nicht erst in der sechsten erreichen, damit würde das Land abgehängt. Dies bedeutet nicht, dass der Leistungsdruck durch eine frühere Gliederung erhöht werden muss. Länder wie Finnland zeigen, dass Bildungssysteme auch ohne einen solchen Druck sehr erfolgreich sein können.

Welche Rolle spielt der Anteil von Schülern aus bildungsferner Familien in einer Klasse?

Wo schwierige soziale Lagen und ein hoher Anteil von Schülern mit Zuwanderungshintergrund zusammenkommen, ist es schwerer, gute Leistungen zu erzielen. Dass es aber in Berlin etliche Schulen gibt, denen dies trotz ungünstiger Ausgangsbedingungen der Schüler gelingt, zeigt: Hoch engagierte Schulleitungen und Lehrerkollegien können sehr viel ausrichten.

Was muss passieren, damit mehr Schulen diesen Weg gehen?

Wir brauchen ein neues Bewusstsein im gesamten System. Es darf einfach nicht sein, dass 27 Prozent der Schüler in Mathematik nicht einmal den Mindeststandard erreichen und dass auch Kinder aus bildungsnahen Familien unterdurchschnittliche Leistungen erzielen. Berlin muss endlich erkennen, dass es hier eine richtig große Baustelle hat und alle gesellschaftlichen Kräfte für bessere Bildung an einem Strang ziehen müssen.

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