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US-Präsident Barack Obama hat seine letzte Rede an die Nation gehalten.

© Reuters/Evan Vucci/Pool

Letzte "State of the Union": Obama ruft US-Bürger zu Einheit und Zuversicht auf

US-Präsident Obama wendet sich in seiner letzten Rede an die Nation an die Enttäuschten, die mit dem politischen System schon fast abgeschlossen haben. Es ist Appell an die, Donald Trump zuströmen.

Es ist seine letzte Rede an die Nation, Barack Obama ist im Amt grau geworden. Ins Repräsentantenhaus schlendert er an diesem Abend immer noch mit dem lockeren Auftritt eines Sportfans in die Basketball-Halle. Aber wenn der 44. US-Präsident seiner Präsidentschaft noch eine historische Bestimmung geben will, einen Namen, der die Zeit übersteht, dann ist das hier seine letzte große Chance. Das Gewicht der Erwartungen muss hoch sein. Man sieht es ihm nicht an.

Eines sollte sein Vortrag indes wirklich werden: eine Rede an die Nation. Mit einem „Ich glaube an Sie“, lässt er diese später enden, „deshalb stehe ich heute mit dem Vertrauen darin hier, dass der Zustand unserer Nation stark ist“ - ein englisches Wortspiel mit dem Namen der Rede „State of the Union“. Danach kommt nur noch „Gott segne Amerika.“ 

Vom Kapitol in Washington aus, landesweit ausgestrahlt und zugleich auch gestreamt, trat Obama am späten Dienstagabend zum siebten Mal vor die versammelten Häuser des US-Parlaments, um über das verstrichene Jahr Rechenschaft abzulegen. Er sprach über einige Erfolge, er malte neue Herausforderungen aus, er versprach noch für sein letztes Amtsjahr neue Initiativen und hatte einige Überraschungen mitgebracht.

Aber durch weite Strecken seiner Rede zog sich die Ansprache an diejenigen, die sich vom politischen System in Washington abgewandt haben. Obama forderte die US-Amerikaner hier auf, sich nicht „von Angst“, sondern „von Zuversicht“ regieren zu lassen.

Keine historische Rede

Noch vor 1913 hatte die Tradition der Rede an die Nation in leiser Vergessenheit geruht. US-Präsidenten nach George Washington und John Adams hatten ihren jährlichen Rechenschaftsbericht nur schriftlich beim Kongress eingereicht, wie Historiker Gil Troy recherchiert hat. Erst Präsident Wodrow Wilson erkannte Anfang des 20. Jahrhunderts, welches Potential in einer Rede an die Nation liegt.

Und 1936 war es dann Franklin D. Roosevelt, der die Rede auf neun Uhr am Abend (Ostküstenzeit) verlegte, um möglichst viele Amerikaner an ihren Radios zu erreichen. 1941 richtete er an der Stelle die US-Bürger auf den Zweiten Weltkrieg aus. Seit dem haben die US-Präsidenten den Abend im Kapitol in Washington genutzt, ihrer Amtszeit historischen Glanz zu verleihen. Hat Obama seine Chance genutzt, eine historische Rede zu halten?

Eine historische Rede war das nicht. Nicht vergleichbar mit Roosevelts „New Deal“ oder Ronald Reagans „Revolution“. Das behauptet im Anschluss auch keiner der Kommentatoren. Vor allem eines dürfe er nicht abliefern, waren diese sich vorher einig gewesen: einen „Waschzettel“, also eine Liste, eine Aufzählung.

Obama hat in den vergangenen Monaten nicht damit gespart, seine Erfolge aufzuzählen, von der Rettung der Automobilbranche bis zur Gesundheitsreform. Mit nur wenigen Ausflügen in das Reich seiner politischen Erfolge hielt sich Obama im Kapitol an den guten Rat. Seine Rede war vielmehr den Zeiten angemessen, statt historisch zu sein. „Amerika ist auch früher schon durch Zeiten großen Wandels gegangen“, sagte Obama, und verwies auf Kriege, die große Depression oder der Zustrom von Immigranten. „Jedes mal waren da diejenigen, die uns gesagt haben, die Zukunft zu fürchten; die versprochen haben die glorreichen alten Zeiten wiederzurückzubringen“. Doch jedesmal habe Amerika die Furcht überwunden und sich neu erfunden.

Es klang wie ein Appell, nicht dem Verführer zu folgen, der Angst zu erliegen, sondern nach vorne zu blicken. Wie eine direkte Bezugnahme auf Donald Trump.

Man bekämpfe die Terrormiliz "Islamischer Staat" nicht, „indem man die Lüge wiederholt, dass der IS die Repräsentanz einer der größten Weltreligionen ist". Es klinge nur im Fernsehen gut, sich für das Flächenbombardement von Zivilisten stark zu machen (wie Trump es getan hat). Es sei auch keine Frage „politischer Korrektheit“  es zurückzuweisen, wenn „Politiker Muslime beleidigen“.  Demokratie leide, „wenn nur die extremsten Stimmen Gehör finden“. Nur der Name des Demagogen aus der Welt des Business selbst fiel nicht.

Wie eine Antwort klang dennoch der Appell Obamas, „unseren Politikbetrieb wieder in Ordnung zu bringen“. Und da wurde es für einen Moment doch historisch. Das sei vielleicht das Wichtigste, das er am heutigen Abend sagen wolle. „Zu viele Amerikaner fühlen sich im Moment so“, konstatierte Obama, „dass das System zugunsten der Reichen oder den Mächtigen oder speziellen Interessen funktioniert“. Und dass unter ihm, Obama, der Zwist zwischen den Parteien schlimmer statt besser geworden sei, „ist eines meiner wenigen Bedauern meiner Amtszeit“. Das war eine seltene Bekundung eines amtierenden Präsidenten. Und es zeigt, wie sehr sich der Präsident und die Demokraten um die tatsächlich übergroße Ablehnung des „System Washington“ sorgen.

Obama nahm sich die Zeit, konstruktive Menschen aller Generationen, Berufe, aller Herkunft oder Überzeugung zu nennen. Denn das seien die Menschen, die ihn optimistisch stimmten. Ein Versuch, die Menschen zu gewinnen, anstatt sie Trump oder auch den anderen Republikanern zu überlassen, die seit Monaten kaum weniger auf dieses „Washington“ schimpfen.

An der Seite von Michelle Obama, auf der Galerie links des Rednerpults, blieb am Dienstagabend ein Stuhl leer: „für die Opfer von Schusswaffengewalt, die keine Stimme mehr haben“. Laura Bush hatte mit derselben Geste die Opfer der Anschläge vom 11. September 2001 gewürdigt. Eine Geste, die Obama an das Ende einer Woche stellte, die er dem Kampf gegen die laschen Waffengesetze gewidmet hatte. In seiner Rede selbst war er nur ein einziges auf die Opfer eingegangen.

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