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Politik: Letztes Mittel Giftgas?

Washington befürchtet, dass Iraks Diktator seine Hauptstadt mit Chemiewaffen verteidigen wird

Droht im Irak eine fürchterliche Eskalation des Krieges durch Massenvernichtungswaffen? Washington schließt diese Möglichkeit offenbar nicht aus. Die irakische Führung soll angeblich Vorbereitungen für den Einsatz chemischer Kampfstoffe getroffen haben. Nach Medienberichten, die sich auf CIA-Kreise berufen, soll die irakische Führung um Bagdad eine Bannmeile gezogen haben. Sollten die US-Truppen diese „rote Linie“ überschreiten, hätten die Republikanischen Garden Saddams freie Hand, Chemiewaffen einzusetzen. Diese Hinweise sollen die Alliierten von irakischen Gefangenen erhalten haben.

US-Außenminister Colin Powell hat am Montag noch vor einem anderen Chemiewaffen-Szenario gewarnt. Die USA hätten Hinweise darauf, dass Saddam Hussein Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzen könnte, um den alliierten Truppen dann die Schuld zu geben. Solche „Überlegungen“ würden derzeit anscheinend in der irakischen Führung angestellt, sagte Powell dem britischen TV-Sender Sky News.

Die Äußerungen erfolgen zu einem Zeitpunkt, an dem die alliierten Truppen nach eigenen Angaben noch keinerlei Massenvernichtungswaffen im Irak entdeckt haben. Für Washington wäre ein Nachweis solcher Waffen ein großer Erfolg: Lieferten sie doch die Begründung des Feldzuges vor der Weltöffentlichkeit. Oder warnt die amerikanische Regierung vor einer Bedrohung, die gar nicht besteht, weil der Irak über keine Massenvernichtungswaffen mehr verfügt? „Wir wissen sicher, dass der Irak zumindest über die notwendigen Trägersysteme verfügt, um chemische Waffen auf alliierte Truppen abzufeuern“, sagt Militärexperte Konrad Freytag dem Tagesspiegel. „Und die Koalition bereitet sich auch auf sowas vor.“ Schließlich sei der Verbleib vieler nach dem Golfkrieg 1991 zur Vernichtung vorgesehener irakischer Kampfstoffe nicht geklärt. Einen Einsatz dieser Waffen kann sich der frühere Nato-Sprecher allerdings nur in einer Situation vorstellen, in der Saddam „nichts mehr zu verlieren hat“.

Derzeit scheint der Diktator vor allem auf einen anderen Trumpf zu setzen: das tief in der islamischen Kultur verankerte Bild des Märtyrers. Sein Regime inszeniert sich als Opfer eines neo-imperialistischen Angriffskrieges, um Kriegsgegner in aller Welt, insbesondere im Nahen Osten, zu mobilisieren. Die offenbar im Kampf um Basra und andere Städte verwendete Guerillataktik passt zu diesem Image besser als der Einsatz von Terrorwaffen. Saddams Dilemma: Er mag hoffen, mit dem Einsatz von Chemiewaffen der Überlegenheit der konventionellen Waffensysteme der Alliierten etwas entgegensetzen zu können. Er könnte militärisch punkten, würde aber politisch verlieren. Denn mit Sicherheit würde seine eigene Bevölkerung stärker unter dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen leiden, als die mit Schutzkleidung ausgestatteten Alliierten.

Dagegen würden die Alliierten von einem irakischen Giftgasangriff politisch profitieren: Der endgültige Beweis für die Fähigkeit und Bereitschaft Saddams zum Einsatz von Massenvernichtungswaffen wäre erbracht. Doch kann sich kein Militärplaner wünschen, dass die eigenen Soldaten dieser tödlichen Gefahr ausgesetzt werden.

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