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Libyen: Aufständische erobern Adschdabija zurück

Die nunmehr einwöchigen Luftangriffe der Koalition gegen Gaddafi zeigen offenbar Wirkung - oppositionelle Kämpfer machen Boden gut. Ein britischer Minister warnt unterdessen vor Angriffen Gaddafis auf den Westen.

Tripolis/Kairo/London - Mit Unterstützung von Kampfflugzeugen der Koalition haben die Aufständischen in Libyen die strategisch wichtige Stadt Adschdabija zurückerobert. Der britische Sender BBC und der arabische Sender Al Dschasira meldeten die Küstenstadt am Samstag „feindfrei“. US-Präsident Barack Obama lobte die „wichtigen Fortschritte“ der Kolition und forderte, den libyschen Diktator Muammar al Gaddafi wegen seines brutalen Vorgehens gegen die eigene Zivilbevölkerung zur Verantwortung zu ziehen. Der britische Justizminister Kenneth Clarke warnte vor möglichen Racheakten des libyschen Machthabers.

Nach schweren Luftangriffen der Bomber der Koalition gegen Stellungen der Gaddafi-Milizen brachten die Aufständischen am Samstag die Stadt Adschdabija wieder unter ihre Kontrolle. Die Truppen Gaddafis hatten die Stadt knapp 160 Kilometer südlich von Bengasi zu Beginn der westlichen Militäroperationen vor einer Woche besetzt. In der BBC und bei Al Dschasira waren Bilder von zerstörten Panzern und Militärfahrzeugen Gaddafis sowie jubelnde Aufständische zu sehen. Die Regimegegner wollten nun auf die 80 Kilometer südwestlich gelegene Stadt Brega vorrücken. Ein libyscher Sprecher hatte bereits in der Nacht zuvor zugegeben, dass die Bombardements der West-Alliierten den Regimetruppen zusetzen. „Die Luftschläge geben den Rebellen Deckung, um auf Adschdabija vorzumarschieren“, sagte Regierungssprecher Ibrahim Mussa in Tripolis. Dies sei „illegal“ und durch die UN-Resolution 1973 nicht gedeckt, auf deren Grundlage der Westen Militäroperationen zum Schutz der Zivilbevölkerung ausführt.

US-Präsident Obama hob „wichtige Fortschritte“ der internationalen Militäraktion gegen das Regime Gaddafis hervor. Aus seiner Sicht habe der Einsatz ein Blutbad in der Zivilbevölkerung verhindert. Weil schnell gehandelt worden sei, „wurde eine humanitäre Katastrophe verhindert und das Leben zahlloser Zivilisten unschuldiger Männer, Frauen und Kinder – gerettet“, sagte Obama am Samstag in einer Radioansprache, die auch im Internet verbreitet wurde. „Gaddafi hat das Vertrauen seines Volkes sowie die Rechtmäßigkeit zur Herrschaft verloren“, sagte Obama. „Die Hoffnungen des libyschen Volkes müssen verwirklicht werden.“ Obama sprach sich dafür aus, Gaddafi für das brutale Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung zur Verantwortung zu ziehen. Zugleich mahnte er ihn, die Angriffe auf Zivilisten zu stoppen. „Diejenigen, die für Gewalt verantwortlich sind, müssen haftbar gemacht werden“, forderte Obama.

Der britische Justizminister Kenneth Clarke warnte vor einem Racheanschlag Gaddafis im Stil des Lockerbie-Attentats. Großbritannien habe „guten Grund“, Gaddafi nicht mehr an der Macht sehen zu wollen, sagte Clarke in einem Interview der britischen Zeitung „The Guardian“. „Die Menschen in Großbritannien haben einen Grund, sich an den Fluch Gaddafis zu erinnern – Gaddafi zurück an der Macht, der alte Gaddafi, der Rache sucht; wir haben großes Interesse daran, das zu verhindern.“ Bei dem Attentat auf einen Pan-Am-Jumbo über dem schottischen Ort Lockerbie 1988 waren 270 Menschen ums Leben gekommen.

In Deutschland stößt die Haltung der Bundesregierung zum Militäreinsatz in Libyen auf scharfe Kritik auch in den Reihen der Union. Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) bewertete die Enthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung zur Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen sogar als schweren Fehler von „historischer Dimension mit unvermeidlichen Spätfolgen“. Der frühere EU-Sonderbeauftragte für Bosnien, Christian Schwarz-Schilling, warf der Regierung „historischen Zynismus“ vor. Bei der Verhängung der Flugverbotszone über Libyen sei es darum gegangen, ein Massaker wie einst im bosnischen Srebrenica zu verhindern. „Da kann man sich nicht einfach zurückziehen.“ Es sei ein großer Fehler, dass Deutschland im Kampf gegen Gaddafi die internationale Solidarität aufgekündigt habe. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach sagte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (Fas), Deutschland hätte an der Seite der europäischen und amerikanischen Partner stehen müssen. Jetzt werde sich Deutschland alle Mühe geben müssen, „die Irritationen auszuräumen, die durch unser Verhalten entstanden sind“. Der ehemalige deutsche UN-Botschafter Gunter Pleuger betonte, das deutsche Abstimmungsverhalten sei eine „klare Abkehr von der multilateralen Politik bisheriger Bundesregierungen“. Nach Einschätzung des SPD-Außenexperten Hans-Ulrich Klose schadet die deutsche Libyen-Haltung dem Ansehen der Bundesrepublik. In der Außenwahrnehmung werde die Stimmenthaltung der Bundesregierung so interpretiert, dass „nur die Deutschen sich wieder mal als nicht ganz verlässlich erweisen“, sagte er im Südwestrundfunk.

In einer am Samstag veröffentlichten Emnid-Umfrage für das Nachrichtenmagazin „Focus“ stellten sich dagegen 56 Prozent der 1000 Befragten hinter den deutschen Libyen-Kurs. 36 Prozent hielten dabei die Enthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat für falsch. (dpa)

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