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Libyen: "Ich will, dass Gaddafi gehenkt wird"

Bei den Aufständischen in Libyen macht sich langsam wieder Zuversicht breit. Sie können Gaddafi besiegen. Davon sind sie überzeugt. Eine Reportage aus Bengasi.

Die Gedanken von Mustafa Nabboos kreisen immer um die gleiche Frage – war es das wert? Vor sechs Wochen, zu Beginn der Revolution, hatte der 70-Jährige seinen jüngsten Sohn Mohammed am Telefon angeschrieen. „Lehne dich nicht zu weit aus dem Fenster, du bist jung, du hast Familie, eine hochschwangere Frau“. Immer wenn danach die Nummer des Vaters auf dem Display seines Handys auftauchte, reichte Mohammed das Telefon wortlos an seinen Freund Zuhair weiter. Sollte der doch den Vater beruhigen. Für ihn gab es nichts mehr zu diskutieren. „Niemand konnte ihn aufhalten, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte“, sagt sein Vater – und heute schwingt Stolz in der Stimme mit.

Mo, wie ihn seine Freunde nannten, war Mitinitiator des Rebellen-Fernsehens von Bengasi, das zunächst im Internet als Livestream zu sehen war und vor kurzem zum ersten Mal per Arab-Sat in der ganzen Region auf Sendung ging. Seitdem gibt es sechs Stunden Programm täglich, zum Auftakt wurden Geständnisse von Gaddafi-Soldaten ausgestrahlt, die in einer Kaserne von Bengasi gefangen sind.

Doch da war Mitproduzent Mohammed Nabboos bereits tot, abgeknallt von in der Stadt versteckten Gaddafi-Scharfschützen, die losschlugen, als vor einer Woche die Panzer und Raketenwerfer des Regimes angriffen. Eine Kugel traf den 28-Jährigen in die Brust, die zweite ins rechte Auge. Die letzten Bilder auf seiner Kamera zeigten zerstörte Häuser im Westen der Stadt, die er für seinen Sender „Freies Libyen“ gedreht hatte.

Und jetzt steht auch vor dem Haus der Familie Nabboos ein Trauerzelt, wie bei so vielen Familien aus Bengasi und den anderen Städten, in denen Muammar Gaddafi Krieg gegen sein eigenes Volk führt. Die Männer unterhalten sich bei Tee und Kaffee mit gedämpften Stimmen, während Vater Mustafa jedem neuen Gast schweigend die Hand drückt. „Wir bezahlen unsere Freiheit mit dem Leben unserer Kinder“, sagt er nach einer Weile. „Sie opfern ihr Leben, damit ihre Generation nicht noch einmal 40 Jahre Diktatur erleiden muss.“ Der alteingesessene Unternehmer von Bengasi besitzt einen Vergnügungspark mit Kunsteisfläche, Badelandschaft und Go-Kart-Bahn. An dem Sieg der Revolution hat er keinen Zweifel. „Es gibt kein zurück mehr“, sagt er.

Nach dem „schwarzen Samstag“, als Gaddafis Panzer und Söldnerbusse plötzlich auf den Stadtbrücken auftauchten und der Revolution um ein Haar ihr Licht ausgeblasen hätten, macht sich langsam wieder Zuversicht breit. Der westliche Lufteinsatz zeigt militärisch Wirkung, die moralische Rückendeckung der internationalen Gemeinschaft beflügelt. Am Samstagmittag rasten erstmals wieder Heerscharen hupender Autos auf der schnurgeraden Küstenstraße von Bengasi in Richtung nach Adschdabija, nachdem sich die Kunde verbreitet hatte, Gaddafis Truppen seien nach dreitägigen harten Gefechten vertrieben worden. Auf den Ladeflächen der Pick-Ups Richtung Heimat schmiegten sich zuvor geflohene Bewohner erleichtert an ihre Koffer. Dazwischen kreuzten Kleinlaster mit Mehlsäcken, Krankenwagen und Tankzüge, während auf der Gegenfahrbahn in Richtung Bengasi erschöpfte Kämpfer und erbeutete Geschütze rollten sowie ab und zu ein Tieflader mit einem modernen Panzer, den Gaddafis Leute bei ihrer panischen Flucht zurückgelassen hatten.

Am Eingang von Adschdabija, das zuletzt einer Geisterstadt glich, sitzt Attia Mussa Mabruk auf einer leeren Raketenkartusche und betrachtet zufrieden die staubige Siegesparty. Das Maschinengewehr auf den Knien, den Patronengurt umgehängt, neben sich eine paar trockene Fladenbrote und eine angebrochene Packung mit Streichkäse. Er ist seit 16 Jahren Soldat und hat das ganze Vor und Zurück miterlebt. Seit aber die ausländischen Jagdflieger Gaddafis Panzer angreifen, scheint sich das Kriegsglück zu wenden. Die Ex-Soldaten unter den Rebellen erfahren vorab über ihren Militärrat von den nächtlichen Zielen, sorgen dafür, dass junge Freiwillige dann nicht auf dem Schlachtfeld herumlaufen. Nach dem Bombardement „erledigen wir dann den Rest“, sagen sie. Überall liegen die verkohlten Karkassen von Gaddafis Kriegsmaschinerie aus russischen Panzern, Truppentransportern und Raketenwerfern. Teilweise sind ihre zehn Zentimeter dicken Stahlhäute von den Flugbomben aufgeschlitzt wie mit einem Messer. Zum ersten Mal sind die Truppen des Regimes offenbar unumkehrbar auf dem Rückzug – auch wenn niemand mit einem schnellen Sieg über Gaddafi rechnet.

So haben sich die Aufständischen kürzlich entschlossen, ihren Provisorischen Nationalrat in eine Übergangsregierung umzuformen. Erster Regierungschef ist Mahmud Jibril, Gaddafis ehemaliger Planungsminister. Neben ihm sind bisher die Ressorts Finanzen und Außenpolitik besetzt, das wichtige Amt des Verteidigungsministers ist jedoch noch offen. Der befreite Ostteil Libyens braucht eine geordnete Verwaltung und die internationale Gemeinschaft einen eindeutigen Ansprechpartner, heißt es in der Führung der Opposition, die jeden Tag an einem anderen Ort tagt.

Auch das militärische Training der Freiwilligen ist inzwischen fester Bestandteil des Lebens geworden. Auf dem ehemaligen Gelände der Revolutionären Garden stehen Dutzende junger Männer um eine Abschussrampe für Grat-Raketen herum. Andere lernen das Zielen mit einem vierzig Jahre alten Kanonenrohr nordkoreanischer Produktion. Die eine Kurbel ist für hoch und runter, das andere für links und rechts, erklärt der Unteroffizier. Auch, dass die Rakete umso weiter fliegt, je steiler man den Abschusswinkel einstellt. Eine Woche dauert der theoretische Schnellkurs, scharf geschossen wird erst an der Front. Ein Dutzend Ausbilder sitzt derweil am Rande des Platzes unter einer Palme und verschnauft bei einer Zigarette. Alle sind über sechzig, weiße Haare, weiße Bärte – ehemalige Fallschirmspringer Gaddafis. Jetzt bringen sie den Jungen bei, wie man mit einer Kalaschnikow schießt, sich im Gelände versteckt und mit Uraltgeschützen feuert.

Drei ihrer gefangenen Feinde liegen im Galaa-Krankenhaus auf der Intensivstation, rund um die Uhr bewacht. Der Lynchtod wäre ihnen sicher, wenn die Bevölkerung davon erführe. Wanis Ibrahim hatte sich gerade noch aus seinem brennenden T-72-Panzer retten können, als ihm eine Rakete beide Beine und den rechten Arm zerschmetterte. Der 30-Jährige war Bauer in Sirte, der Heimatstadt Gaddafis, bevor er sich für dessen Elitetruppen anheuern ließ. Der ganzen Einheit war von den Offizieren eingetrichtert worden, Agenten aus Tunesien und Ägypten hätten in Bengasi die Jugendlichen aufgehetzt, die danach raubend und mordend die Bevölkerung terrorisierten.

Khaled Badr schlendert derweil vor dem Justizpalast, dem Nervenzentrum der Opposition, mit einer französischen Flagge herum. Gäbe es im Osten Libyens ein Politbarometer, Nicolas Sarkozy wäre unangefochten auf Platz eins der Beliebtheitsskala. Sogar das neue Fußballstadion von Bengasi wollen seine libyschen Fans auf den Namen des französischen Präsidenten taufen lassen. „Warum versteht uns Frau Merkel nicht“, fragt der junge Ölingenieur. „Sie konnte nur deshalb Bundeskanzlerin werden, weil es in Ostdeutschland eine demokratische Revolution gab. Wir wollen das Gleiche – eine demokratische Revolution.“ Die erste Empörung über Deutschlands Haltung hat sich zwar gelegt, doch gut sind die Menschen nicht auf Berlin zu sprechen. „Wir werden uns das merken“, sagt ein anderer. „Wir werden unsere Freiheit erkämpfen und dann Deutschland auf die schwarze Liste setzen.“

Der trauernde Vater Mustafa Nabboos hat dagegen ganz anderes im Sinn. Einmal ist er bisher Muammar Gaddafi persönlich begegnet, als der Diktator auf einer Ausstellung den Pavillon seiner Firma besuchte. Damals durfte er kein Wort sagen, nur andächtig zuhören. „Ich will, dass Gaddafi gefangen, vor Gericht gestellt und gehenkt wird“, fordert er. Und ich will ihm nur eine einzige Frage stellen: „Warum hast du das alles gemacht - waren 42 Jahre nicht genug?“

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