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Irgendwie gibt es auch einen Alltag. Ein libyscher Junge am Rande der Freitagsgebete in Bengasi. Foto: Mohammed Salem/rtr

© REUTERS

Libyen: Warten auf den Erfolg

Den Aufständischen im Osten Libyens gehen Geld und Nahrung aus – nicht aber Hoffnung und Geduld.

Drei Monate gehen die Kinder schon nicht mehr zur Schule, die meisten Geschäfte sind geschlossen, immer mehr Familien geht das Geld aus. Nichts ist normal im Osten Libyens, seit seine Bevölkerung am 17. Februar die Herrschaft des Regimes von Muammar al Gaddafi abgeschüttelt hat. Die Wirtschaft ist zum Erliegen gekommen, viele haben ihre Arbeit verloren, andere sind seit Wochen als Kämpfer an der Front oder werkeln als Freiwillige in improvisierten Waffenschmieden. Und der Provisorischen Regierung im Osten Libyens drohe nach Angaben ihres Finanzministers Ali Tarhouni Ende Mai das Geld auszugehen.

Schon jetzt kann sie ihre Angestellten nicht mehr voll bezahlen, viele arbeiten freiwillig. Die Rohöllager im Hafen von Tobruk sind leer, der Nachschub aus den Ölfeldern stockt. Die wichtigen Verladehäfen von Brega und Ras Lanuf sind wieder unter Kontrolle des Gaddafi-Regimes. Selbst in den Stromkraftwerken der Cyrenaika wird der Brennstoff langsam knapp, auch wenn es bisher noch nicht zu größeren Ausfällen kam. Denn die Häfen der Rebellen liegen still, lediglich einige Hilfsschiffe machen von Zeit zu Zeit am Kai fest. Und der Abgang von Diktator Muammar al Gaddafi ist trotz sechs Wochen Nato-Bombardement nicht in Sicht.

Und so richtet sich die östliche Rumpfnation inzwischen auf eine längere Übergangsphase ein. In den nächsten Tagen soll ein Tanker aus Europa neuen Sprit bringen. Experten des UN-Welternährungsprogramms bereiten Transporte vor, damit dem Osten nicht die Lebensmittel ausgehen. Und die Libyen-Konferenz in Rom verschaffte der Führung der Aufständischen in puncto Staatsfinanzen eine wichtige Atempause. Bis zu zwei Milliarden Euro aus dem weltweit beschlagnahmten Vermögen des Gaddafi-Regimes sollen im nächsten halben Jahr in die Kassen des Provisorischen Nationalrats umgeleitet werden, damit dieser Lebensmittel und Medikamente kaufen, seine Angestellten bezahlen und die Wirtschaft wieder zum Laufen bringen kann. Allein in den USA sind gut 20 Milliarden Euro eingefroren, in Europa ebenfalls 20 Milliarden, rund um den Globus schätzen die Rebellen die Summe auf mindestens 110 Milliarden Euro. Gaddafis Getreue reagierten hell empört. Libyen sei laut internationalem Recht nach wie vor ein souveräner Staat, und jegliche Verwendung von eingefrorenem Vermögen sei wie „Piraterie auf hoher See“, schimpfte der stellvertretende Außenminister Khaled Kaim.

Die Führung der Aufständischen aber weiß, dass sie dringend etwas mehr Normalität in das Leben der Bevölkerung bringen muss. Denn auf dem militärischen Feld gibt es kaum Fortschritte. Keine Seite ist in der Lage, die Oberhand zu gewinnen. Eine Verbesserung von Training und Bewaffnung der Rebellen braucht Zeit. „Es ist egal, ob das Ganze noch einen Tag dauert, einen Monat oder ein Jahr“, erklärte der Chef der Übergangsregierung, Mahmoud Jabril. „Nach all dem Blutvergießen gibt es sowieso keinen Spielraum mehr für eine Versöhnung mit dem gegenwärtigen Regime.“ Gleichzeitig präsentierte er einen ersten politischen Fahrplan für die Zeit nach Gaddafi. Innerhalb von acht Monaten nach der Entmachtung des Diktators soll es ein Referendum geben über eine neue Verfassung sowie anschließend Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Bürgermeister und kommunale Stadträte will die Übergangsregierung mit Unterstützung der Vereinten Nationen bereits in naher Zukunft wählen lassen.

Noch aber ist die Stimmung zuversichtlich in Bengasi, Al Baida und Tobruk – auch wenn das Durchhaltevermögen der Menschen auf eine harte Probe gestellt wird. „Wir beklagen uns nicht, wenn es Unannehmlichkeiten gibt“, meint ein Lehrer, der vor einer Bank in einer langen Schlange nach Bargeld ansteht, während Umstehende zustimmend nicken. „Wir wissen, dass dies hier irgendwann vorbei ist. Dann aber haben wir alle eine bessere Zukunft.“

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