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Politik: Lichter gegen das Dunkel

Vor zehn Jahren bildeten 400 000 Menschen eine Kette gegen Fremdenhass – noch heute sind viele vom Erfolg überrascht

Von oben gesehen und mit Abstand betrachtet wirkt es wie ein Gemälde: Als sei da jemand einfach mit einem Leuchtstift durch den halbdunklen Stadtplan der Stadt München gefahren und habe einen Lichterstreif auf dem Papier hinterlassen. Um ein Zeichen zu geben: Hier war ich. So jedenfalls hat es aus der Hubschrauberperspektive ausgeschaut an diesem Nikolaustag vor nunmehr zehn Jahren, als sich in der Stadt wie aus dem Nichts auf einmal 400 000 Menschen mit Lichtern in der Hand versammelten, Schlag 17 Uhr – um ein Signal zu setzen: Hier bin ich.

Und dann war die Stimmung auf dem Trottoir in Bayern nicht weniger euphorisch und glänzend, als sie sich aus der Luft ausgenommen hat, denn diese 400 000 Menschen, die 1992 nach den rechtsradikalen Ausschreitungen in Mölln, Rostock und Solingen gegen Fremdenhass und für Toleranz demonstrierten, gegen das Gebrüll und für das Schweigen, hatte keine Partei aufgefordert. Kein Verband hatte sich engagiert, keine Organisation geholfen. Die Münchner Lichterkette, wie sie genannt wurde, verdankte ihr Entstehen einer Idee von Wenigen. Aus dem Gedanken aber wurde ein Anliegen von vielen.

Ein bisschen sieht man es den damaligen Initiatoren noch einmal an, wie überrascht sie auch zehn Jahre später noch sind, dass sich damals die Menschen derart zahlreich mobilisieren ließen, als Christoph Fisser, Gil Bachrach und Giovanni di Lorenzo sich jetzt vor dem Mikrofon der Moderatorin Amelie Fried im Pierrot-Zelt auf dem Münchner Tollwood-Winterfestival treffen. Es ist auch ein ganz klein wenig Rührung dabei, die von den Dreien aber sofort beiseite geredet wird, denn die Lichterkette war zwar ein einmaliges Ereignis, hatte aber Folgen.

Später am Abend wird der heutige Oberbürgermeister Christian Ude noch einmal eindrucksvoll davon berichten, wie sich nach der Lichterkette eine andere Stimmung in der Stadt entwickelte – und einigermaßen dauerhaft. Das war das eine. Das andere ist, dass der vor zehn Jahren gegründete, gerade mal zwanzig Personen umfassende Verein Lichterkette einen großen Förderkreis gewonnen hat, viele Freunde und viele Sponsoren. Deswegen kann der Verein, der sich selbst niemals eine lange Lebensdauer prophezeit hätte, unter anderem Preise vergeben für unterschiedliches soziales Engagement.

Darüber hinaus ist es für die Lichterkette nicht leicht, weiterhin auf sich aufmerksam zu machen, auch das wurde am Freitagabend unter dem Motto „Die Macht der Ohnmacht“ ehrlicherweise nicht verschwiegen. Der Schriftsteller Axel Hacke will es fortan im Namen des Vereins mit einem Projekt versuchen, das sich „Deutschstunde“ nennt und darauf zielen soll, die mangelnde sprachliche Integration von Einwanderern besser zu unterstützen. Im Übrigen endet der Abend mit einer Lesung des schon immer an Lichterketten-Aktivitäten beteiligten Schauspielerensembles Iris Berben, Katja Riemann, Veronica Ferres, Axel Milberg und Friedrich von Thun.

Weniger Diderot und Enzensberger als Passagen aus einigen um geistige Waffenbrüder werbenden Militaria-Magazinen rücken die Veranstaltung ins global Katastrophische, wo sie eher nicht hingehört. Aber dann muss der unermüdliche musikalische Begleiter Konstantin Wecker nur zweimal richtig mit dem Fuß aufstampfen, in den Bösendorfer-Flügel greifen und „Questa nuova realta“ singen – und hat sofort wieder die ganze alte Straße voll auf seiner Seite.

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