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Politik: Lieben Sie Deutschland, Herr Fischer?

Was ist denn zurzeit so schlimm an der Außenpolitik, dass Sie sich so sehr auf die Innenpolitik und den Wahlkampf freuen?Außenpolitik ist eines der faszinierendsten Metiers für einen Politiker, zumal wenn er in der Verantwortung ist und mitgestalten kann.

Was ist denn zurzeit so schlimm an der Außenpolitik, dass Sie sich so sehr auf die Innenpolitik und den Wahlkampf freuen?

Außenpolitik ist eines der faszinierendsten Metiers für einen Politiker, zumal wenn er in der Verantwortung ist und mitgestalten kann. Aber es ist nicht das zentrale Thema des Wahlkampfs. Und man muss in der Außenpolitik vorsichtig formulieren, man spricht als Außenminister nicht für sich, sondern für das Land. Das ist eine andere Dimension politischer Auseinandersetzung als das Handgemenge der Innenpolitik.

Die größten Sorgen machen Sie sich im Moment aber in der Außenpolitik.

Wir haben eine schwierige außenpolitische Lage seit dem 11. September, die uns sehr fordert, hinzu kommt die Eskalation im Nahen Osten und die Neuordnung Europas.

Beunruhigt es Sie nicht, dass es global noch nie so wenig "checks and balances" gegeben hat wie heute? Die USA stehen unkontrolliert als einzige Supermacht da.

Ich bin nicht beunruhigt. Ich sehe nur, was ist. Und da stehen die Europäer heute vor zentralen Herausforderungen in dieser sich neu ordnenden Welt. Seit dem 11. September hat sich das sehr dynamisiert. Wie Europäer und Deutsche darauf reagieren, das ist auch die Frage an den Kanzler und den Kanzlerkandidaten. Das eine, was die EU dringend braucht, ist die Überwindung der europäischen Spaltung durch die Integration und die Osterweiterung. Das zweite ist, dass diese EU demokratisch funktionsfähig wird, das ist die Verfassungsfrage, und das dritte ist die Rolle Europas in der Welt.

Was muss Europa noch tun, um für die Amerikaner wieder ein ernst zu nehmender Sparringspartner zu werden?

Sparringspartner sind dazu da, verprügelt zu werden. Ich weiß nicht, ob das eine reizvolle Perspektive ist, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.

Dürfen Sie, aber eine Antwort ist das nicht.

Nein. Wir brauchen nicht beunruhigt sein, sondern wir müssen den europäischen Integrationsprozess voranbringen. Und wenn ich mir gegenwärtig gerade mal wieder anschaue, welche Bedeutung bei uns das Nationale auch in der Innenpolitik wieder zu bekommen droht, dann graust es mir. Wenn bei der Osterweiterung die scheinbar oder tatsächlich noch offenen Fragen aus der Geschichte jetzt plötzlich im deutsch-tschechischen Verhältnis, im ungarisch-slowakisch-tschechischen Verhältnis eine Rolle spielen, dann sieht man natürlich auch, wie wichtig das europapolitische Engagement ist.

Und bis Europa so weit ist, machen die USA, was sie für richtig halten, ohne "checks and balances".

Die USA verfügen in ihrer Gesellschaft über einen inneren Mechanismus, eine politische Pendelbewegung, die sich immer zur Mitte hin bewegt. Ich halte nichts davon, Europa negativ über die USA zu definieren. Europa muss sich positiv aus sich selbst definieren.

Glauben Sie, dass Edmund Stoiber überhaupt eine andere Europapolitik betreiben könnte?

Er würde eine andere Politik machen, auch eine andere als Helmut Kohl. Edmund Stoiber hat andere europapolitische Überzeugungen, er will nicht die volle Integration, sondern nur ein Europa der Vaterländer. Mit Stoiber und weiteren Rechtsregierungen in der Union würde das ein anderes Europa werden.

Ist Stoiber so euroskeptisch wie der Kanzler?

Unsinn.

Etwa noch schlimmer als der Kanzler?

Der Kanzler ist nicht euroskeptisch, überhaupt nicht. Ich habe Gerhard Schröder in all den Jahren erlebt. Wenn Sie sich die europapolitische Bilanz von ihm anschauen, dann müssen Sie uneingeschränkt feststellen, ohne ihn hätte es keinen Konvent gegeben, keine Einigung bei der Agenda 2000, keine Einigung in Nizza und vieles andere mehr.

Sie würden der These widersprechen, dass Stoiber, wenn nicht vieles besser, so doch fast nichts anders machen würde?

Dieser These stimme ich überhaupt nicht zu. Er würde garantiert die Dinge schlechter machen. Schauen Sie sich doch die Bilanz der letzten vier Jahre Kohl an und vergleichen Sie sie mit unseren Resultaten: Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit, Rentenreform, Steuerreform, Solidarpakt II, Atomausstieg, Ökosteuer, neue Verbraucher- und Landwirtschaftspolitik.

Sie wollen wirklich die Agoniephase von Kohl mit der Euphoriephase von Rot-Grün vergleichen, um die Wähler zu beeindrucken?

Wir hatten keine Euphoriephase, das war alles harte Arbeit. Es begann im ersten Jahr mit dem Staatsangehörigkeitsrecht. Dagegen wurde Fundamentalopposition gemacht. Es endet mit der Fundamentalopposition heute beim Einwanderungsgesetz. Union und FDP haben sich in der Opposition noch nicht wirklich erneuert.

Wenn Ihre Bilanz so gut ist: Hat Rot-Grün mehr hinter sich als vor sich?

Es geht doch nicht um Rot-Grün, sondern ob wir für unser Land schon so weit sind, ob wir die notwendige Erneuerung geschafft haben. Was wir dringend anpacken müssen: Unsere Gesellschaft muss die Nachrangigkeit der jungen Generation überwinden. Wenn ich nach Frankreich schaue, was dort für Kinder geleistet wird, für die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf, da können wir uns etwas abschauen. Wenn dort ein Kind auf die Welt kommt - ich will es mal überspitzt formulieren - ist die ganze Gesellschaft so ausgerichtet, bis ins Steuersystem hinein, dass dem Kind gesagt wird: Wir freuen uns, dass es dich gibt. Während bei uns gesagt wird: Nett, dass es dich gibt, nun guck mal, wie du zurecht kommst.

Auch Edmund Stoiber ist sehr für Kinder.

Aber was tut er? Ich behaupte, ohne den Aufstand der Eltern wird nichts passieren. Vor den Wahlen erzählen alle was, nach den Wahlen wird das dann wieder vergessen, so lange sich die jungen Eltern das gefallen lassen. Und was die Union angeht: Die haben doch ein völlig anderes Bild von Gesellschaft. Die möchten, dass die Frau zuhause bleibt. In Bayern ist die Kinderbetreung doch deswegen so schwach, weil die da eine ideologische Familienpolitik betreiben.

Wo liegt denn die ideologische oder kulturelle Differenz zwischen Ihnen und der Union?

Die Unterscheidbarkeit ist doch völlig klar. Für uns steht die nachhaltige Modernisierung im Zentrum, also nicht nur die gerechte, sondern auch die nachhaltige. Das ist nicht einfach nur ein grüner Spruch, sondern strategisch hochwichtig. Die wunderbaren Wachstumszahlen sehr großer Volkswirtschaften wie der Chinas werden dazu führen, dass mit einer Verzögerungsphase der Verbrauch von Energie und Ressourcen dramatisch zunehmen wird. Die USA setzen in der Energiepolitik auf eine Expansion des Angebots. Das heißt, Energie soll billig bleiben, das Angebot erhöht werden. Europa - das steckt hinter der transatlantischen Protokolldifferenz über das Klimaabkommen von Kyoto - setzt darauf, Energie zu verknappen. Damit steigern wir die Effizienz der technischen Entwicklung und zugleich unsere Wettbewerbschancen.

Die kulturelle Differenz zu Union und FDP beschränkt sich auf die Ökologie wie eh und je?

Keineswegs. Dasselbe gilt für die Frage der Europäisierung dieser Gesellschaft, für das Zuwanderungsgesetz, auch die doppelte Staatsangehörigkeit. Wir sind eine Modernisierung, eine Erneuerung, eine historische Herausforderung angegangen, die noch nicht vollendet ist und die wir gerne vollenden möchten.

Welchen Wahlkampf erwarten Sie von Stoiber?

Wenn ich mir die Zuwanderungsdebatte anschaue, dann könnte das, fürchte ich, ein Wahlkampf werden, der stark mit nationalen, um nicht zu sagen nationalistischen und ausländerfeindlichen Tönen geführt wird.

Sind Sie sich ganz sicher, dass noch mehr Europa und noch mehr Integration die Leute nicht überfordert?

In Deutschland ist die jeweilige Regierung europapolitisch immer vorangegangen - seit Adenauer. Das hat unser Land dramatisch zum Positiven entwickelt. Und wenn wir uns davon verabschieden würden, würden wir unsere eigenen Interessen unglaublich beschädigen.

Eine Verlangsamung der Integration kommt nicht in Frage?

Angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, ist die Frage nicht, ob wir uns länger Zeit lassen können, sondern eher, ob wir schneller vorangehen müssen. Davon muss man die Bürger überzeugen, anstatt mit ihren Ängsten Wahlkampf zu machen.

Roland Koch plädiert für einen aufgeklärten Patriotismus ...

Wohin ich gehe, so lange ich mich mit unserem Land identifiziere - und das tue ich mit seinen guten wie mit seinen schlechten Seiten - werde ich als Deutscher gesehen, stehe ich für Deutschland, stehe ich für die deutsche Geschichte.

Ein Patriot?

Ist ein weltoffener Deutscher kein Patriot? War es nicht eine patriotische Tat vom Bundeskanzler und der Bundesregierung, die Frage der Sklaven- und Zwangsarbeiter nach all den Jahrzehnten zu beantworten? Ist es nicht patriotisch, wenn wir hier geborenen Menschen endlich die Möglichkeit bieten, selbstverständlich Deutsche zu werden? In Deutschland haben Sie auf der einen Seite einen CDU-Rechtsaußen in der Innenpolitik, der auf den schönen Namen Marschewski hört, auf der anderen Seite haben Sie unseren Cem Özdemir. Zwischen den beiden Einwanderungen, der polnischen und der türkischen, liegen vielleicht hundert Jahre. Zwischendurch kamen noch die Fischers aus Ungarn. Ist es da denn nicht auch eine patriotische Tat, dass die zweite, dritte, vielleicht demnächst die vierte Generation von Türken Deutsche werden können? Patriotismus muss doch nicht heißen, dass man Stammtische bedient und möglichst lärmend die eigenen Fahnen schwenkt. Ist nicht derjenige der Patriot, der mit einer gewissen Selbstverständlichkeit seine nationale Identität hat, aber weiß, dass wir sie nur im gemeinsamen Europa zum Tragen bringen können und sollen? Ich habe einfach ein anderes Verständnis von Patriotismus.

Lieben Sie Deutschland?

Für mich ist Deutschland immer mein schwieriges Vaterland und wird es bleiben. Ich habe kein anderes, ganz einfach.

Sie fühlen sich also doch als Patriot?

Im Sinne von Heinrich Heine ja, im Sinne von Roland Koch, nein.

Patriotismus heißt aus der Sicht von Koch, sich seines Vaterlandes nicht zu schämen.

Ich habe mich selten für Deutschland geschämt, wohl aber für die schrecklichen Teile seiner Geschichte. Wer an den Stätten des Schreckens unserer Geschichte war, und dort die ganze Last gespürt hat, der kann kein ungebrochenes Verhältnis zu Deutschland haben. Dennoch, ich finde Deutschland ... wie gesagt, es ist mein Land, ich will das gar nicht anders. Es gibt ein wunderbares amerikanisches Lied: This land is your land, this land is my land - von Woody Guthrie. Das alles wollen wir doch nicht Herrn Koch überlassen.

Was ist denn zurzeit so schlimm an der Außen

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