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Politik: Lieber Klassenkampf als Generationenkrieg

Die alten Genossen haben keinen Krach mit den Jungen – aber sie sehen ihre Leistung durch die SPD missachtet

Von Antje Sirleschtov

Wer 70 ist, demonstriert bekanntlich nicht mehr. Nicht mit Transparenten, und auch nicht verbal. Und doch haben die alten Genossen ihren Kampf noch nicht aufgegeben. Ganz im Gegenteil. Zwei Tage lang diskutieren rund 300 SPD-Mitglieder der „Arbeitsgruppe 60 plus“ in dieser Woche in Halle über die aktuelle Politik ihrer Bundesregierung. Und schon am Mittwochnachmittag war klar: Es geht bei diesem Bundeskongress wahrlich nicht um die Finanzierung von künstlichen Hüftgelenken oder die überzogene Anspruchshaltung der Enkelgeneration. Es geht den Rentnern vor allem um die Politik der großen Jungs, der Schröders und Scholzens in Berlin.

„Die Chancen des demografischen Wandels“ haben die älteren Genossen ihr Treffen genannt, und wenn Niels Annen, der Chef der SPD-Jugendorganisation anwesend gewesen wäre, dann hätte er sicher mit Applaus rechnen können. Denn „wir haben keinen Generationenkrieg“, wie es die stellvertretende Bundesvorsitzende der AG 60 plus, Ruth Brand (75), sagte. So wie sie spürten überall in Deutschland alte Menschen, dass es ihren Kindern und Enkeln gar nicht darum gehe, Oma die Rente streitig zu machen. „Die haben ja selbst nichts zum Zubuttern und genügend eigene Probleme am Hals.“ Ob es die alltäglichen Sorgen junger Familien bei der Vereinbarkeit von Kindern und Beruf betrifft oder die Schwierigkeit, einen Ausbildungsplatz zu bekommen: Der Kongress der älteren Genossen hat keine offene Rechnung mit den Jüngsten in der Gesellschaft, die es wortreich und mit politischen Drohungen zu begleichen gilt.

Was die Alten aber umtreibt, und da nehmen sie kein Blatt vor den Mund, das ist die „Missachtung unserer Lebensleistung durch die SPD-Regierung“, wie es ein Delegierter aus Nordrhein-Westfalen sagte. Jahrzehntelang hätten die Genossen für eine Gesellschaft gekämpft, in der die Starken etwas von ihrem Wohlstand abgeben, um den Schwachen zu helfen. Nun demontiere ausgerechnet die eigene Parteiführung diesen Sozialstaat. Wenn die Regierung einen finanziellen Beitrag der Rentner für Reformen anmahnt und SPD-Generalsekretär Scholz mehr Bildung statt Rente fordert, empfinden die Alten das als „Verrat an sozialdemokratischen Traditionen“. Wenn der Kanzler die Festigung der Sozialsysteme anstrebe, sagen sie, dürfe dies nicht in erster Linie auf Kosten von Alleinstehenden, Arbeitslosen und Rentnern geschehen. „Mehr Gerechtigkeit innerhalb der Generationen“, heißt deshalb eine Forderung im Antragsbuch des Kongresses. Gemeint ist damit, dass Wohlhabende, ob jung oder alt, stärker als bisher zur Kasse gebeten werden, um die Sozialsysteme zukunftsfest zu machen. Eine ganze Reihe der Anträge lehnt deshalb weitere Einschnitte in die Leistungen von Gesundheits-, Pflege- und Rentensystem ab, fordert aber die Einbeziehung von Beamten, Selbstständigen und Kapitalvermögen.

Kernforderung dieses fünften Kongresses der AG 60 plus ist das Beibehalten des Renteneintrittsalters von 65 Jahren. Viele Probleme der Rentenkassen wären schon zu mildern, wenn die Firmen beim Versuch, sich von Mitarbeitern über 55 Jahren zu trennen, mehr Widerstand spürten, meinen die alten Genossen. Einmischen wollen sie sich viel stärker als bisher, bei Wohlfahrtsverbänden, in Kommunen und in der großen Politik. Sie fordern mehr Chancen für Ältere, in den Parlamenten tätig zu werden. Und einen Sitz im Bundesvorstand ihrer eigenen Partei.

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