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Politik: Lieder gegen den Schmerz

Der Krieg hat in den USA das Interesse am Feldzug 1991 wieder geweckt. In Talkshows erzählen frühere Gefangene

Wenn es ganz schlimm wurde, hat sie gesungen. „Es ist seltsam, welche Lieder mir einfielen", sagt sie. Es waren Ohrwürmer, Melodien aus „Evita", „Cats" und „Jesus Christ Superstar". Rhonda Cornum saß in ihrer Zelle mit zwei gebrochenen Armen und sang vor sich hin. Ihre Wunden schmerzten. Hinzu kam die Erniedrigung. Cornum war sexuell belästigt worden. Doch das Singen half ihr. Einige Momente lang konnte ihre Seele woanders sein als ihr Körper. An einem Ort, der irgendwie behütet war.

Acht Tage lang saß Cornum in irakischer Kriegsgefangenschaft. Das war vor zwölf Jahren, im Golfkrieg 1991. Sie gehörte zu einem Hubschrauber-Team. Über dem Süden des Irak wurde ihr „Blackhawk"-Helikopter abgeschossen. Fünf US-Soldaten waren sofort tot. Drei wurden gefangen genommen. Gemeinsam mit einem 20-jährigen Kameraden fand sich die damals 36-jährige, schwer verletzte Frau auf der Ladefläche eines Lastwagens wieder. Eine Kugel steckte in ihrer Schulter, ein Knie war zertrümmert, beide Arme gebrochen. „Wenn sie mir jetzt den schweren Fluganzug ausziehen", dachte sie, „fallen meine Arme ab." Die Arme fielen nicht ab.

Cornums Geschichte beschäftigt die Amerikaner heute mehr denn je. Erneut sind US-Soldaten in irakische Kriegsgefangenschaft geraten. Und deren Gesichter kennt jeder. Allerdings wird das Video, auf dem zu sehen ist, wie die Soldaten verhört werden, in den USA nicht gezeigt. Keine Fernsehanstalt durchbricht diese freiwillige Selbstbeschränkung. Doch ausgeblendet werden die Gräuel des Krieges keineswegs. Viele ehemalige Kriegsgefangene kommen derzeit zu Wort. Ihre Erzählungen sind drastisch. Sie reden von Angst, Panik, Hilflosigkeit – und Hoffnung. 1991 gerieten 21 US-Soldaten in irakische Kriegsgefangenschaft, zwei davon Frauen.

Es war in den frühen Morgenstunden, als Cornums Hubschrauber abstürzte. „Ich lag auf dem Boden, konnte mich kaum bewegen. Dann sah ich fünf irakische Soldaten. Einer hielt eine Pistole an meinen Kopf. Ich war sicher, dass er gleich abdrücken würde." Stattdessen beugte sich der Soldat zur ihr herunter und nahm ihr den Helm ab. „Wenn ich fliege, trage ich mein Haar offen, damit keine Spangen von innen gegen den Helm drücken", sagt Cornum. „Als mein langes braunes Haar zu sehen war, waren die Iraker überrascht. Eine Frau! Damit hatten sie nicht gerechnet."Mehr als 200 000 Frauen dienen in der US-Armee, sie stellen immerhin 19 Prozent der gesamten Luftwaffe. Seit 1973, dem Ende der allgemeinen Wehrpflicht, hat die Bedeutung der weiblichen US-Soldaten erheblich zugenommen. Nach und nach wurden sie in immer mehr Bereichen akzeptiert. Im Jahre 1988 beschloss das Pentagon zwar, Frauen im Kriegsfall aus direkten Kämpfen herauszuhalten, doch bereits sechs Jahre später wurden diese Bestimmungen zum größten Teil revidiert. Karrieren in der Armee sind in den USA oft mit besonderen Leistungen im Kriege verbunden. Frauen nicht an die Front zu lassen, würde ihre Aufstiegschancen schmälern.

Von Kritikern dieser Regelung wird am häufigsten die Befürchtung geäußert, Frauen könnten in Kriegsgefangenschaft vergewaltigt werden. Unter den amerikanischen Kriegsgefangenen, deren Bilder vor gut einer Woche um die Welt gingen, befindet sich eine Frau. Es ist die 30-jährige Shoshana Johnson, eine allein erziehende Mutter eines zweijährigen Kindes. Bislang hat das Internationale Rote Kreuz keinen Zugang zu ihr.

Rhonda Cornum erinnert sich klar an ihre Zeit in den Händen der Iraker. Als sie mit offenem Haar auf der Ladefläche des Lastwagens saß, verletzt und blutend, fing ein Bewacher auf einmal an, sie zu küssen. „Ich war weder wütend noch ängstlich, sondern dachte nur, das ist aber seltsam." Als nächstes dachte sie, „der küsst nicht gut". Dann überlegte sie, „wie kann jemand in einer solchen Situation so etwas tun wollen". Der Mann öffnete ihre Jacke und befummelte sie. Wehren konnte sie sich nicht, beide Arme waren schließlich gebrochen. Also schrie sie ihn an. Das half dann.

Cornum hat ein Buch über diese Zeit geschrieben. Es heißt „She went to War". Veröffentlicht wurde es bereits 1992. Doch erst jetzt, wo ihr Schicksal nicht mehr bloß als ein Vergangenes wahrgenommen wird, sondern auch als ein Gegenwärtiges, das viele andere Frauen betrifft, stoßen Cornums Erinnerungen auf öffentliches Interesse. Insgesamt, sagt Cornum, habe sie Glück gehabt. „Ich wurde weder gefoltert noch vergewaltigt." Zu einigen ihrer Bewacher gelang es ihr sogar, ein persönliches Verhältnis herzustellen. „Ich glaube, der Durchschnitts-Iraker will dasselbe wie der Durchschnitts-Amerikaner", sagt sie. „Er will Ernährung und Ausbildung für seine Kinder, er will ein normales, anständiges Leben führen." Macht es ihr diese Einsicht schwieriger, auf Iraker zu schießen? „Wir schießen nicht auf Menschen, sondern auf den Gegner", antwortet sie.

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