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Politik: Linke: Armenier instrumentalisieren Genozid-Opfer

Konflikte zwischen Bundestagsfraktion und Zentralrat um türkischstämmigen Abgeordneten Keskin

Berlin - Im Streit um den Bundestagsabgeordneten Hakki Keskin und dessen Haltung zum Völkermord 1915/16 im Osmanischen Reich geht die Linksfraktion auf Konfrontationskurs zum Zentralrat der Armenier in Deutschland. Vizefraktionschef Bodo Ramelow warf den Armeniern vor, auf eine „sachliche Auseinandersetzung“ zu verzichten. Stattdessen werde im Zusammenhang mit linken Abgeordneten von Leugnern des Völkermordes gesprochen. „Das macht deutlich, dass die getöteten Menschen – völlig ohne Augenmaß – noch einmal instrumentalisiert werden sollen“, erklärte Ramelow. Er pochte auf Keskins „Meinungsfreiheit“.

Bevor sich der Vorstand der Bundestagsfraktion am Dienstag mit dem Thema befasst, erreichen die Auseinandersetzungen zwischen dem Zentralrat und der Linkspartei damit eine neue Eskalationsstufe. Fraktionschef Gregor Gysi versicherte: „Die überwältigende Mehrheit der Abgeordneten der Linksfraktion verurteilt den nicht zu bestreitenden Völkermord an den Armeniern 1915/16 durch die Türkei genauso scharf wie die große Mehrheit unserer Bevölkerung und auch viele Türkinnen und Türken.“ Auf den Fall Keskin ging er direkt nicht ein. In einem Briefwechsel mit Gysi hatte der Vorsitzende des Zentralrats, Schawarsch Owassapian, im vergangenen Jahr versucht, die Linksfraktion dazu zu bewegen, sich von Keskin zu distanzieren. Der hat den Völkermord an den Armeniern immer wieder angezweifelt: „Ich weiß nicht, was damals geschehen ist“, betonte Keskin. Auch nach Protesten der Armenier erklärte der frühere Bundeschef der Türkischen Gemeinde in Deutschland seine Haltung: „Wogegen ich mich ausspreche, ist ein unterstellter, gezielter Vernichtungswille des osmanischen Staates“.

Vor Weihnachten rief der Zentralrat der Armenier dann zu einer Faxaktion auf: Damit soll der Ausschluss von Keskin aus der Bundestagsfraktion erzwungen werden. Auch andere den Armeniern nahe stehende Verbände griffen die Linksfraktion an.

Ramelow argumentiert jetzt, dass aus Sicht der Linken die Geschichtsforschung „neben klar belegten Tatsachen auch immer Raum für Interpretationen“ gebe. Die Linksfraktion leugne nicht den Völkermord an der armenischen Bevölkerung im Osmanischen Reich, doch habe dieser Genozid eine Vor- und Nachgeschichte. 1917 hätten armenische und russische Truppen gemeinsam Rache für vorangegangene Gräueltaten genommen, dabei seien mehrere zehntausend unschuldige Türken ums Leben gekommen. „Die Ereignisse des gesamten Zeitraums müssen objektiv, für beide Seiten nachvollziehbar geklärt werden“, forderte Ramelow. „Das geht nur gemeinsam.“ Der Zentralrat der Armenier aber tabuisiere solche Versuche.

Ramelow kritisierte auch Versuche europäischer Parlamente, sich der Aufarbeitung des Themas „zu bemächtigen“. 2005 hatte der Bundestag in einer Resolution die „organisierte Vertreibung und Vernichtung von Armeniern“ verurteilt, auch die beiden PDS-Abgeordneten Petra Pau und Gesine Lötzsch hatten zugestimmt. Im Oktober 2006 stellte die französische Nationalversammlung die Leugnung des Völkermordes unter Strafe. Prinzipielle Leugnungsverbote würden nicht helfen, so Ramelow, stattdessen müssten Türken und Armenier „an einen Tisch, um die Grundlagen einer friedvollen Aufarbeitung zu schaffen“.

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