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Linke: Die Genossen verstehen sich nicht

Die Linken-Reformer beschimpfen Vorsitzende Gesine Lötzsch und Klaus Ernst als Oberlehrer.

Von Matthias Meisner

„Einseitige Schuldzuweisungen“ seien „fehl am Platze“ – so hatte sich die Linkspartei direkt am Montag nach der Wahl in Berlin verständigt. So steht es in der Sofortinformation über die Parteivorstandssitzung. Jetzt sieht der Reformerflügel der Partei, der die Regierungsbeteiligung stets verteidigt hat, die Absprache gebrochen. Denn in einem Rundbrief der Parteichefs Gesine Lötzsch und Klaus Ernst an Funktionäre heißt es: „Wir brauchen eine ehrliche Bilanz der zehnjährigen Regierungszeit.“

Lötzsch und Ernst schreiben weiter, das Abschneiden sei enttäuschend gewesen. „Ohne einer ausführlichen Analyse vorzugreifen, ist jetzt schon klar, dass unsere Wahlkampagne gegen höhere Mieten durch die kommunalen Wohnungsgesellschaften konterkariert wurde.“ Mieterhöhungen für über 19 000 Haushalte in der Hauptstadt im Wahlkampf seien „für uns als Mieterpartei ein Schlag in die Magengrube“ gewesen. Debatten über die eigene Rolle wollen die Vorsitzenden dagegen verschoben wissen. Erst nach dem Programmparteitag Ende Oktober in Erfurt sei die „Zeit, eine konstruktive, sachliche und kritische Bilanz der Arbeit des Parteivorstandes zu ziehen“.

Die Reformer keilten in ihrem Newsletter zurück. Die Genossen in Berlin hätten „einen besseren und solidarischeren Umgang miteinander verdient als oberlehrerhafte Anmerkungen der Parteivorsitzenden“. Der Brief sei „geeignet, einige Irritationen auszulösen“. Der Berliner Stefan Liebich machte das Schreiben am Dienstag in der Sitzung der Bundestagsfraktion zum Thema. Ernst versicherte dort Teilnehmern zufolge, es sei ihm ausdrücklich nicht darum gegangen, alle Schuld beim Landesverband abzuladen. Doch müsse geklärt werden, warum die Linke nach Regierungsjahren bei Wahlen immer schlechter abschneide als zuvor.

Die Auseinandersetzung belegt das große Misstrauen unter Genossen. Vize- Parteichefin Halina Wawzyniak ging am Mittwoch mit dem Politikstil auch der Linken ins Gericht. In einem Aufsatz, den sie mit anderen Netzpolitikern verfasste, nennt sie den Erfolg der Piratenpartei ein „Bekenntnis für einen Wechsel der politischen Kultur“. Dagegen prangert sie die „tradierte Verfasstheit der etablierten Parteien“ an: „Hierarchien, geschlossene Diskussionsräume, geheime Verhandlungen, interne Newsletter und informelle Diskussions- und Entscheidungswege laufen dem Anspruch nach Transparenz und Beteiligung per se entgegen, sind aber konstitutiver Bestandteil auch unserer Partei.“ Wawzyniak sagte, viel zu oft würden Positionen der Linken „als Dogma verkündet“. Wer mag, darf dies als Kritik auch an Parteichef Ernst und seinen Vorgänger Oskar Lafontaine und deren Parteiverständnis verstehen.

Ob sich die Forderungen nach mehr Offenheit durchsetzen werden, ist fraglich. Der linke Parteiflügel ist gegenwärtig viel besser organisiert als die Reformer. Unter der Parole „Kurs halten!“ haben sich Lafontaine, Sahra Wagenknecht und andere vernetzt, um die Strategie der Linken zu bestimmen. Lafontaine immerhin reagierte auf den Piraten-Erfolg in Berlin – und ließ seinen Internetauftritt von einer jungen Genossin aus dem Saarland neu gestalten. Auf der Startseite des Exvorsitzenden, der immer wieder für ein Comeback gehandelt wird, prangt nun sein Name in der gleichen Typographie wie im offiziellen Parteilogo, und ebenso wie dort findet sich über dem „i“ ein nach links zeigender roter Wimpel.

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