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Politik: Linke Mehrheiten

Von Gerd Nowakowski

Jetzt kommt Farbe in den Berliner Wahlkampf. Die rot-rote Koalition hat überraschend nur noch 47 Pro- zent Zustimmung – zu wenig, um zu zweit weiterzumachen. Das könnte spannend werden. Doch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, der seit fünf Jahren auf erstaunlich geräuschlose Weise die Stadt regiert, bleibt gelassen. Er hat alle Optionen. Zwar will die SPD mit dem pflegeleichten Partner von der Linkspartei weiter koalieren. Aber wenn es nicht reicht, dann setzt der Pragmatiker eben auf Rot-Rot-Grün. Zumal die Aussichten für die Opposition mager sind. Der glanzlose Herausforderer Friedbert Pflüger hat nicht aufgeholt; die CDU sackt weiter ab. Deswegen reicht es nicht zu einer bürgerlichen Koalition aus CDU und FDP; und bei Jamaika werden die Grünen nicht mittun. Von einer Neuauflage der großen Koalition wollen wiederum die noch traumatisierten Sozialdemokraten nichts wissen.

Rot-Rot-Grün hätte zwar keine Idee für die Stadt, egal, Hauptsache Mehrheit, das hat Wowereit schon 2001 gereicht. Es war eher Nebenprodukt, dass dem Bündnis mit der PDS die historische Versöhnung der jahrzehntelang geteilten Stadt gelang. Chancen nutzen, das kann Wowereit, kühl, wie er ist; Inhalte ergeben sich dann schon. Rot-Rot-Grün ist deshalb auch ein Projekt für Wowereits bundespolitische Ambition. In der Bundesrepublik gibt es eine gesellschaftliche Mehrheit für die Linke. Es kommt darauf an, ob die SPD diese Option nutzen will, um Alternativen jenseits der großen Koalition zu haben. Tabubruch – warum nicht? Wowereit hat schon einen hinter sich. Er hat es geschafft, in der Hauptstadt eine Regierung zu zimmern, ohne dass die West-Berliner wegen der SED-Nachfolger auf die Barrikaden gingen. Das hätte 2001 niemand gedacht. Selbst der Rest der Republik hat Rot-Rot inzwischen akzeptiert.

Nun also der nächste Tabubruch? Im Bund wären die Vorzeichen umgekehrt. Dort ist Rot-Grün ein eingeführtes Modell, bei dem die Linkspartei als dritter Partner hinzukäme. Hirngespinste? Ist da nicht noch Oskar Lafontaine? Neue Bündnisse, das hat schon Joschka Fischer bewiesen, gelten immer nur so lange als unmöglich, bis es sie gibt. Wowereits Zeithorizont setzt nicht auf einen frühen Bruch der großen Koalition, er hat die Zeit auf seiner Seite. Mit 52 ist er jung genug, auf bundespolitische Aufgaben warten zu können; und die sozialdemokratische Hassfigur Lafontaine ist auf dem besten Weg, sich selbst aus dem politischen Ring zu nehmen.

Da wächst was. In der SPD steht nur Wowereit für einen neuen Weg, mit Wagnis und Kalkül. Das gibt ihm immer mehr Gewicht innerhalb der unruhigen Sozialdemokratie. Und Wowereit verkörpert zugleich eine neue Leichtigkeit, er ist identisch mit dem Lebensgefühl einer veränderten Republik jenseits der bergmännischen Glück-auf-Patina von Franz Müntefering und Kurt Beck. In Berlin hat Wowereit zudem bewiesen, dass man die Linkspartei erfolgreich sozialdemokratisieren kann. Die rauschhaften Bilder der Berliner WM-Dauerparty haben die bundesweite Popularität des Regierenden noch verstärkt. Die leichte und zuweilen selbstironische Weise täuscht, wie kühl Wowereit zu kalkulieren versteht. So sieht neues Führungspersonal für die SPD aus.

Testlabor Berlin. Nicht nur der deutschen Einheit, sondern auch der politischen Farbenlehre. Am 17. September haben die Berliner die Wahl. Und wenn es denen nicht zu bunt wird, irgendwann auch die Bundesbürger. An Wowereit soll es nicht scheitern.

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