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Bernd Riexinger (57) führt seit Juni gemeinsam mit Katja Kipping die Linkspartei. Der frühere Funktionär der Gewerkschaft Verdi stammt aus Baden-Württemberg. Bei der Bundestagswahl im Herbst 2013 will er selbst nicht kandidieren.

© Mike Wolff

Linken-Chef Bernd Riexinger: "Mehr Unruhe wäre definitiv gut"

Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger will die SPD von einem Glaubwürdigkeitsproblem befreien - indem sie sich auf ein Linksbündnis einlässt.

Von Matthias Meisner

Herr Riexinger, sind Sie ein guter Zuhörer?

Ja, auf alle Fälle.

Kurz nach Ihrer Wahl zum Linken-Vorsitzenden haben Sie eine „Kunst des Zuhörens“ angekündigt. Nun hat sich die Linke nach Dauerstreit und dem turbulenten Parteitag im Juni in Göttingen zwar beruhigt, aber sie verschafft sich auch kaum noch Gehör. Woran liegt das?

Das sehe ich etwas anders. Wir haben uns in der Euro-Krise als wirklich einzige Oppositionspartei profiliert. Wir haben Themen gesetzt, Millionärssteuer, Renteneinheit, Kampf gegen Steuerflucht. Die Linke geht nach den stürmischen Gründungsjahren in eine neue Phase. Wir sind auf dem Weg von der Protestlinken zur Veränderungslinken. 2005 und 2009 haben uns viele wegen unseres Neins zu einer falschen Politik gewählt. Heute wollen sie zu Recht wissen, was wir konkret bewegen. Wir positionieren uns neu als Ideenwerkstatt für den sozialen Fortschritt und als Motor für einen Politikwechsel. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber der Weg stimmt.

Lässt sich mit der Euro-Krise Wahlkampf machen? Ist das Thema beim Bürger nicht viel zu angstbesetzt?

Es kommt darauf an, die Erfahrungen der Bürger mit der Krise zu verbinden. Lohndumping, Mietwucher, prekäre Beschäftigung, das alles hat ja auf die eine oder andere Weise mit der Spekulation an den Finanzmärkten zu tun. Wir führen keinen Angstwahlkampf, sondern einen Gerechtigkeitswahlkampf.

Müsste es in Deutschland mehr soziale Unruhen geben, so wie etwa in Griechenland oder in Spanien?

Mehr Unruhe wäre definitiv gut. Aber in Deutschland kommt die Krise anders an, schleichender. Anderswo steigen Armut und Massenarbeitslosigkeit rasant. Hier wird alles scheibchenweise dosiert, Lohnabbau, Rentenkürzung, Prekarisierung. Das macht den organisierten Widerstand schwerer. Ich habe aber vor allem die Befürchtung, dass die sozialen Unruhen in den anderen Ländern eine antideutsche Richtung bekommen. Die Tendenz ist da. Ich habe in Athen gesehen, wie verzweifelt die Leute sind. Das ist beunruhigend, weil dann eine destruktive Dynamik entsteht.

Bei der Bundestagswahl 2009 kam die Linke auf 11,9 Prozent. Warum steht sie noch immer so schlecht da?

Unmittelbar nach Göttingen lagen wir in den Umfragen zwischen vier und sechs Prozent. Mancher schrieb, die Partei müsse um den Einzug in den Bundestag bangen …

… viele Ihrer Abgeordneten haben das befürchtet …

Sagen wir: einige. Aber es geht aufwärts, wenn auch nach meinem Geschmack zu langsam. In den Umfragen werden wir inzwischen durchgängig zwischen sieben und acht Prozent taxiert.

Wird die Linke noch hinreichend als Protestpartei wahrgenommen?

Wir behalten ein starkes Standbein als Protestpartei. Bei den jüngsten Demonstrationen des Bündnisses Umfairteilen stellten wir neben der Gewerkschaft Verdi den größten Block. Aber es stimmt: In unserem Land ist das keine Massenbewegung. Das liegt sicher auch an der Rolle der Gewerkschaften. Sie müssten viel offensiver sein.

Sie selbst waren jahrelang Verdi-Funktionär. Wieso ist das Verhältnis von Linkspartei und Gewerkschaften noch immer so verkrampft?

Es ist zumindest widersprüchlich. Wir haben an Terrain gewonnen in den unteren und mittleren Funktionärsschichten. Aber die Spitzenfunktionäre schielen mehrheitlich immer noch vor allem auf die Sozialdemokratie. Es ärgert mich, wenn Berthold Huber oder auch der DGB-Vorsitzende Michael Sommer öffentlich für eine große Koalition im Bund plädieren. Damit blockieren sie einen Politikwechsel.

Katja Kipping und Sie haben der SPD und den Grünen Avancen gemacht mit Blick auf eine Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl. Bedauern Sie, dass es dafür nach der Wahl von Peer Steinbrück zum SPD-Kanzlerkandidaten keine Chancen mehr gibt?

Wir stehen zu unserem Angebot. Nur mit der Linken wird es in Deutschland eine Politik der sozialen Gerechtigkeit geben. Dazu gehören Selbstverständlichkeiten wie armutsfeste Renten, Löhne, von denen die Menschen leben können, eine sanktionsfreie Mindestsicherung, keine Kriegseinsätze – und, um das alles zu finanzieren, eine Umverteilung von oben nach unten. Viele haben gesagt, Herr Riexinger, sie formulieren Ausschlusskriterien. Ich sage: Die SPD hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn sie Selbstverständlichkeiten wie den Mindestlohn oder armutsfeste Renten als unerfüllbar bezeichnet.

Die SPD kann sich Koalitionen mit allen vorstellen – nur nicht mit der Linken.

Die SPD – und auch die Grünen – betrügen den Wähler, wenn sie eine soziale Politik versprechen und uns ausgrenzen. Es ist völlig aussichtslos, dass diese beiden Parteien im Herbst allein auf eine Regierungsmehrheit kommen.

Gibt es etwas, was Sie an Steinbrück beeindruckt?

Sein heroisches Selbstbewusstsein, obwohl es beim Sachverstand hapert. Er hat die Finanzkrise nicht vorausgesehen und tritt doch auf als der Chefökonom.

Und was gefällt Ihnen an Angela Merkel?

Sie hat eine kluge Art der Verhandlungsführung. Dafür zolle ich Respekt, obwohl ich ihre Politik verheerend finde.

Die Strategie der SPD, die Linke im Westen überflüssig zu machen, scheint aufzugehen. Nach der Niederlage in Nordrhein-Westfalen droht das nächste Debakel bei der Landtagswahl in Niedersachsen. Ist der Parteiaufbau West gescheitert?

Ich bin ziemlich optimistisch, dass wir in Niedersachsen im Landtag bleiben. Wir brauchen halt nur Zeit: Die Linke ist eine sehr junge Partei. Wir sind erst dabei, ein gefestigtes sozio-kulturelles Milieu aufzubauen, das uns regelmäßig wählt. Die Grünen haben 30 Jahre gebraucht, um ein solches zu erobern. Bei der Bundestagswahl werden wir im Westen flächendeckend über fünf Prozent liegen.

Haben sich gerade im Westen zu viele Sektierer in der Linken organisiert?

Die Erfahrungen in ganz Europa zeigen, dass die Zukunft auf der Linken nicht geschlossenen Kaderparteien gehört, sondern linkspluralistischen Parteien. Da hat unsere Parteigründung einen Trend gesetzt. Selbstverständlich muss sich linke Politik immer an den Menschen orientieren und darf nicht nur kleine Gruppen ansprechen. Wir müssen für die Mehrheit der Bevölkerung sprechen, auch wenn diese uns noch nicht wählt.

Gregor Gysi will nicht gleichberechtigt mit Sahra Wagenknecht an der Spitze in den Bundestagswahlkampf ziehen. Wieso blockieren wichtige Funktionäre Ihrer Partei sich gegenseitig?

Wir werden im Wahlkampf das Gegenteil beweisen. Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht werden im Bundestagswahlkampf gemeinsam mit vielen anderen für die Linke werben. Wir haben viele gute Köpfe, und das ist gut so.

Das Gespräch führte Matthias Meisner.

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