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Politik: Links zu sein bedarf es wenig

Von Stephan-Andreas Casdorff

Links ist ein verblasster Mythos. Links zu sein, das ist zumal im Deutschland der Nachkriegszeit, wo es sich von selbst verbot, rechts zu sein, lange das Synonym für Progressivität gewesen, konzeptionellen Aufbruch, mehr Demokratie, mehr Wagemut in dieser Hinsicht. Und auch mehr Gleichheit. Links waren die Guten. Die anderen, das waren die Spießer. Und heute? Ist links heute nur mehr ein „gesäßgeografischer Begriff“ geworden, wie Heiner Geißler, ein Konservativer, früher einmal sagte?

Geißler, der neulich eine Spekulationssteuer gegen das gigantische Weltspekulantentum forderte; die Arbeitnehmer in der Union, die wie vor ihnen zwei Päpste die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital verlangen – rechts oder links? Diese Frage stellen heißt, die SPD herauszufordern. Zur Erklärung herauszufordern, was die Prinzipien ihrer Politik sind. Dass links mehr ist als ein bisschen Keynes, ein bisschen Marx, ein bisschen Smith und viel Moral. Vor allen Dingen Letzteres.

Ob sie wissen, was sie tun? Wie klar ist ihnen, dass es um mehr geht als um sie selbst? Es gibt etwas, das größer ist als wir, sagte Rudolf Scharping, einstmals „Genosse Scharfsinn“, im Moment seiner größten Niederlage, und nur weil er es sagte, ist es ja nicht falsch. Die SPD-Vorderen, Gerhard Schröder, Franz Müntefering, andere, riskieren gegenwärtig den Fortbestand der Sozialdemokratie in ihrer bisher bekannten Form: als Volkspartei. Als Partei fürs Volk. Die Partei, mehr als hundert Jahre alt, steht noch bei 28 Prozent, ihre Werte fallen. Womit ist der Verfall aufzuhalten?

Die Unterscheidbarkeit der großen Parteien wieder herzustellen, die Nivellierung, auf dass sich niemand bei den Unterschieden zu sehr erschrecke, aufzugeben – das ist das Wichtigste, das am nächsten Liegende. Und will doch nicht so recht gelingen. Denn der Ruf nach einer Politik, die „links“ sein möge, anders und attraktiv, bleibt so lange hohl, wie er sich nicht materialisieren lässt. Schröder hat viel dazu beigetragen, diesen Begriff vergessen zu machen, schon von Beginn seiner Kanzlerschaft an. Da sagte er, es gebe keine linke und keine rechte (Wirtschafts-)Politik, nur gute oder schlechte. Seine Zahlen sprechen nur gegen eine gute Politik, nicht gegen die Vorstellung von einer prinzipiell unterscheidbaren.

Das könnte „linke“ Politik sein: Viele Menschen haben weniger als andere. Um zu erreichen, dass sie mehr aus ihrem Leben machen können, muss die Teilhabegerechtigkeit erhöht werden. Was bedeutet, dass der Wert der Solidarität wieder steigen muss. Wer stärkere Schultern hat, trägt mehr. Woraus folgt: Ein System, in dem der Börsenwert von Unternehmen umso höher steigt, je mehr Menschen wegrationalisiert werden, ist nicht progressiv, nicht wagemutig, kein Aufbruch.

Das sagt die SPD als Partei aber nicht. Sie ist sich ihres Werts nicht mehr bewusst. Ihrer Tradition auch nicht. Und ihrer Chance bei der wertkonservativen Mehrheit dieser Republik erst recht nicht.

Werte – ein wichtiges Stichwort. Die Union auf der anderen Seite beginnt schon, ihre Politik zu einer neuen Wende aufzuladen. Mit dem alten Trick, Begriffe zu besetzen. Angela 2010, die sich die Agenda 2010 aneignet; die sich in ihrer Koalition der gesellschaftspolitischen Erfolge der alten bedient, um alles zusammen aufs Konservative und Liberale zu münzen. Und die SPD steht sprachlos daneben. Dass Linke besser reden können, ist wohl auch ein Mythos.

Bis vielleicht auf Gysi und Lafontaine. Ausgerechnet.

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