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Hessen-Neuwahlen

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Linkspartei: Extremismus im Praxistest

Nachlese: Die Dissertation der SPD-Rebellin Carmen Everts – sie hat ihr Nein zu Ypsilanti begründet

Berlin - Der Entschluss, sich den Linken zu verweigern, ist bei Hessens SPD-Abweichlern in den letzten Tagen und Wochen gereift, sagen sie. Bei Carmen Everts liegt er acht Jahre zurück. Ihre „tiefen Bedenken“, so verkündete sie am Tag ihres Vetos, gründeten auf ihrer Doktorarbeit, die damals erschien: „Politischer Extremismus. Theorie und Analyse am Beispiel der Parteien REP und PDS“.

Andrea Ypsilanti muss das Werk übersehen haben, als sie das Amt des Ministerpräsidenten ins Auge fasste. Es hätte ihr einiges erspart. Darin untersucht Everts den Extremismusbegriff, über den in der politischen Theorie heftig und, wie es sich für Extremismus gehört, gelegentlich mit Krawall gestritten wird. Wer sich hier für eine Fakultät und einen Betreuer entscheidet, nimmt erste Positionen ein. Bei Everts war es der Politologe Eckhard Jesse von der TU Chemnitz.

Ist die Linke „antiemanzipatorisch, antipluralistisch, antiparlamentarisch, antiindividualistisch“?

Zuletzt war Jesse im Mai aufgefallen, als er sich zum Streit um den designierten Thüringer CDU-Kultusminister Peter Krause einließ, der in den Medien als rechtsextrem verortet wurde. So war Krause als Redakteur für das rechte Wochenblatt „Junge Freiheit“ tätig gewesen, das Jesse in der „Leipziger Volkszeitung“ zum „Kern des demokratisch-konservativen Spektrums“ zählte, mit nur „einigen Facetten nach Rechtsaußen.“ Ein „Antikommunist durch und durch“, nahm er Krause in Schutz und fand es „schlimmer“, dass die ehemalige DDR-Volkskammerabgeordnete Marion Walsmann Justizministerin in Thüringen werden sollte. Krause musste zurückziehen, Walsmann amtiert. Als Gutachter vor dem Bundesverfassungsgericht zum NPD-Verbot musste sich Jesse Kritik gefallen lassen, er verharmlose die Gefahren von rechts. Mit seinen Publikationen bewegt er sich im Grenzbereich von „Historisierung“ des „Dritten Reichs“ und Revisionismus.

So gerät ein Extremismusforscher mitunter selbst in den Geruch, Extreme zu pflegen. Carmen Everts verteidigt einen wertenden Extremismusbegriff, der weniger nach dem Verhältnis von Mehr- und Minderheit fragt, sondern nach Einstellungen und Absichten der Protagonisten. Hier erkennt sie zwar Unterschiede zwischen den Republikanern und der PDS. Noch mehr aber überzeugen sie, wie Jesse, Gemeinsamkeiten von links und rechts: „Antiemanzipatorisch, antipluralistisch, antiparlamentarisch, antiindividualistisch“ lautet die Diagnose. Beide Parteien verträten ein autoritäres Staatsverständnis und entwickelten ein bloß taktisches Verhältnis zu Demokratie und Rechtsstaat. Ihre Dissertation erklärt sie zur „Besinnung auf Grundwerte“, und verschreibt sie, jetzt mehr Programm als Studie, ganz der „Stärkung des zivilgesellschaftlichen Minimalkonsenses“.

"Beachtliche Aggressivität gegen Abweichler und Feinde"

Häufige Kritik an der Extremismusforschung ist, sie bestätige die Machtverhältnisse, erkläre nicht, wie aus abgelehnten Minderheiten Mehrheiten werden können. „Die PDS hat in Teilen durchaus Entwicklungsmöglichkeiten hin in die demokratische Linke“, analysierte Everts damals – nur am Rande. Sie blieben ungenutzt, meint Everts heute. Stattdessen sieht der Praxistest mit dem Extremismus nun überraschend anders aus: So hält der von Everts zitierte Berliner Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke es für typisch extrem, wenn „eine beachtliche Aggressivität gegen Abweichler und Feinde“ entwickelt werde, „häufig im Rahmen von Verschwörungstheorien“. Da nun Parteiausschluss und Polizeischutz für die Verweigerer diskutiert werden, ist Raum für eine neue Analyse: Wie extremistisch ist Hessens SPD?

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