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Gauweiler

© dpa

Lissabon-Vertrag: Durchaus kompetent

Stimmungsumschwung bei Verhandlung um den Lissabon-Vertrag: Karlsruhe könnte sich vorbehalten, auch künftig EU-Gesetze prüfen zu dürfen.

Der Sturm legte sich am Mittwoch in Karlsruhe. Während die Europafahne, die vor dem Bundesverfassungsgericht neben der Deutschlandflagge hängt, am Dienstag noch von Sturmböen gepeitscht wurde, wehte sie am Mittwoch gelassen in der Sonne. Der Wetterumschwung passte zur Verhandlung im Innern. Hatte die Hälfte des Zweiten Senats den Vertrag von Lissabon am Dienstag noch kritisiert, fand Berichterstatter Udo Di Fabio am zweiten Verhandlungstag sogar Lob für den Reformvertrag. Der Bundestag habe entscheidende Mitspracherechte bei diesem Reformvertrag gehabt – ein historischer Fortschritt und ein „Zugewinn an Freiheit“. Am Vortag hatte Di Fabio noch die gegenteilige Frage gestellt: ob nämlich das Mehr an Kompetenzen für Europa nicht Unfreiheit bringe.

Warum dieser Umschwung, fragten sich am Mittwoch denn auch Prozessbeobachter. In Karlsruhe wies man darauf hin, dass die heftigen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Kompetenzerweiterung der Europäischen Union von Anfang an nicht von allen acht Richtern am Verfassungsgericht geäußert worden seien, sondern nur von der Hälfte. Die genüge aber nicht, um ein Gesetz für verfassungswidrig zu erklären. Fünf Mitglieder des Zweiten Senats müssten das Zustimmungsgesetz des Deutschen Bundestages beanstanden und damit den Vertrag kippen. Ob das passieren wird, ist am Ende der mündlichen Verhandlung eher zweifelhaft.

Einen wichtigen Beitrag zur Karlsruher Prüfung des Lissabon-Vertrags haben die Bundestagsabgeordneten selbst geleistet. Die Positionen des CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler und die der Bundestagsmehrheit standen sich am Mittwoch konträr gegenüber. Während Gauweiler und sein Prozessvertreter Dietrich Murswiek von einer „Entstaatlichung“ des Bundestages durch die neuen Europakompetenzen sprachen, bezeichnete der Grünen-Abgeordnete Jerzy Montag den Reformvertrag als „klare Stärkung“ des nationalen Parlaments.

Unbestritten war, dass die EU nun selbst Strafgesetze zur Terrorismusbekämpfung verabschieden kann. Für Gauweiler ein Übergriff der EU auf nationale Kernkompetenzen. Grünen-Vertreter Montag wies dagegen darauf hin, dass europäische Strafgesetze grenzüberschreitende Kriminalität voraussetzen. Diese schriftlich fixierte Voraussetzung bezeichnete er als „wichtige Klammer“. Lissabon bedeute deshalb einen deutlichen Fortschritt gegenüber der jetzigen Situation, in der Rahmenbeschlüsse und Richtlinien auf der Grundlage unklarer Vorgaben verabschiedet würden.

Di Fabio fragte an die Adresse Gauweilers, ob das Bild der Entstaatlichung des Bundestags möglicherweise eine „Überzeichnung“ sei. Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff erinnerte an die geltende Karlsruher Rechtsprechung, Kompetenzüberschreitungen der Unions-Organe zu überprüfen. Sie fragte, wieso diese Kontrolle nach Lissabon nicht mehr ausreichen solle. Die Frage kann als Hinweis verstanden werden. Das Bundesverfassungsgericht könnte sich sozusagen vorbehalten, einen Fuß in die europäische Tür zu setzen. Auch nach dem Lissabon-Vertrag könnten europäische Gesetze oder Rechtsprechung in Karlsruhe darauf überprüft werden, ob unzulässig in nationales Recht eingegriffen wurde.

Ob das tatsächlich noch möglich sein wird, stellte Dietrich Murswiek als Prozessvertreter Gauweilers allerdings infrage. Der Lissabon-Vertrag weise die Kompetenzüberprüfung dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zu. Karlsruhe könne als unzuständig gelten. Der Zweite Senat wird ab Donnerstag intern beraten. Das Urteil wird frühestens in drei Monaten verkündet.

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