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Lissabon-Vertrag: Köhlers "Nein" bremst den EU-Express

Bundespräsident Horst Köhler hat seine Unterschrift zur Ratifizierung des EU-Reformvertrags vorerst verweigert - er konnte nicht anders. Deutschland ist im Moment weit davon entfernt, die "europäische Lokomotive" zu sein.

Der Paukenschlag von Horst Köhler in Sachen Lissabon-Vertrag war erwartet worden. Juristen der Bundesregierung waren sich am Dienstag rasch einig: Der Bundespräsident musste die Unterzeichnung der Ratifikationsurkunde des EU-Reformvertrages trotz der bereits erfolgten großen Zustimmung von Bundestag und Bundesrat vertagen, wollte er nicht schnurstracks in einen offenen Konflikt mit Karlsruhe geraten.

Dem Staatsoberhaupt hätte sonst auf Antrag der Lissabon-Kläger aus dem Bundestag eine einstweilige Anordnung gedroht. Das Bundesverfassungsgericht hatte Köhler nur knapp eine Woche Zeit gelassen, um sich zu äußern. Der Präsident tat das dann so, dass er noch alle Hände frei hat für seine rechtliche Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Ratifikationsgesetzes selbst. "Das ist ein normales Verfahren", wird in der Bundesregierung versichert.

Klagen in Karlsruhe

Völkerrechtlich verbindlich für Deutschland wäre der Lissabon-Vertrag erst, wenn die Ratifikationsurkunde mit der Unterschrift des Bundespräsidenten in Rom hinterlegt ist. Dass dies auf jeden Fall erst nach einem Urteil aus Karlsruhe zu den Klagen der Abgeordneten Peter Gauweiler (CSU) und Diether Dehm (Linke) geschehen würde, hatte die Bundesregierung schon vor Wochen intern klar gemacht.

An diesem Punkt setzt auch die Köhler-Kritik der Europapolitiker aus dem Bundestag an. Der Bundespräsident, sagen sie, hätte frühzeitig seinen Spielraum nutzen und den Vertrag unterzeichnen sollen, um so "ein Signal für Europa" zu setzen. Dazu war allerdings die Zeit sehr knapp. Der Bundesrat hat am 23. Mai das Abkommen zur Reform der EU-Institutionen abschließend gebilligt. Der endgültige Gesetzestext lag im Präsidialamt erst am 18. Juni vor. In kaum 10 Tagen lässt sich ein solches Groß-Vertragswerk kaum rechtlich abschließend würdigen.

Die Lissabon-Uhr tickt

Dass das oberste Gericht jetzt so aufs Tempo drückt, wird in Berlin allerdings auch positiv gesehen. "Das Gericht ist offenbar ernsthaft bemüht, den europäischen Zeitplan nicht durcheinander zu bringen", heißt es in Regierung und Bundestag. Bis Ende Juli haben die Richter die Frist für die Stellungnahmen der Prozessbeteiligten gesetzt. Bis Ende August könnten sie eine erste interne Antwort darauf formuliert haben. Ob es dann zu einer mündlichen Anhörung in Karlsruhe kommt, ist noch offen. In jedem Fall könnte ein Urteil noch in diesem Jahr erfolgen, hoffen die Optimisten in Parlament und Regierung.

Auch politisch tickt die Lissabon-Uhr. Denn diesmal ist die politische Situation eine völlig andere als bei der EU-Verfassung 2006, als schon mal Klagen unter anderem von Gauweiler gegen eine Verlagerung von Kompetenzen auf die EU die Ratifizierung stoppten. Jetzt gibt es den erklärten Willen aller Regierungen der EU-Länder, trotz des Neins der Iren die Umsetzung der EU-Reform voranzutreiben. Das wird nicht einfach: Polens Präsident Lech Kaczynski hat den Vertrag aus innenpolitischen Gründen erst einmal auf Eis gelegt.

"Jetzt sind wir im hinteren Waggon gelandet"

Deshalb will Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eigentlich weiter zu den EU-Lokomotiven gehören. "Jetzt sind wir im hinteren Waggon gelandet", klagt dagegen der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU). Er und andere Europa-Kenner studieren nun aufmerksam Reden von Verfassungsrichter Udo di Fabio zur europäischen Integration. 2006 hatte der Richter, der nun auch über den Lissabon-Vertrag urteilen muss, in der Berliner Humboldt-Universität seine EU-Philosophie dargelegt.

Darin stehen Sätze wie: "Die Balance zwischen Vertiefung und Erweiterung der EU ist schon lange gestört." Und: "Es ist die Einsicht gewachsen, dass immer mehr Rechtssetzung von einer Wohltat zur Plage geworden ist." Das könnte darauf deuten, dass Karlsruhe scharfe Grenzen für die weitere europäische Entwicklung ziehen wird. Di Fabio sagte aber auch: "Europa ist ein Erfolg." Auch deshalb gehen die Befürworter des Lissabon-Vertrags im Bundestag mit großer Zuversicht in dieses juristische Nachspiel.

Frank Rafalski[dpa]

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