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Martin Delius.

© dpa

Live-Ticker zum Piraten-Parteitag in Bochum: Nach Piraten-Chaostag: Delius und Schlömer fordern ständige Mitgliederversammlung im Netz

Die Piratenpartei will auf ihrem Parteitag in Bochum die Weichen für die Bundestagswahl im kommenden Herbst stellen. Der erste Tag geriet aber sehr zäh - weshalb Pirat Delius eine bekannte Forderung wieder neu in die Diskussion einbringt. Was sonst noch geschah, können Sie in unserem Live-Ticker nachlesen.

Was geschah am ersten Tag auf dem Bundesparteitag der Piraten in Bochum? Lesen Sie hier die Geschehnisse nach:

19:55: Und doch noch nicht Schluss. Im leeren Foyer stolpert die Tagesspiegel-Crew noch in Bernd Schlömer, den Bundesvorsitzenden der Partei, hinein. Gleich die Frage: "Wie stehen Sie nach diesem Tag zur ständigen Mitgliederversammlung?"

Schlömer sekundiert Delius: "So wie jetzt geht es nicht weiter." Und auch Schlömer stellt sich ein zweigeteiltes Modell vor - einen jährlichen Parteitag zur Personalwahl, inhaltliche Entscheidungen zukünftig im Netz: "Es ist wichtig, sich zu sehen, die Mitglieder wollen das auch." Eine konstruktive Debatte sei jedoch im echten Leben bei steigender Mitgliederzahl zunehmend nicht mehr möglich.

Dann endet das Gespräch jäh: Wie bereits bei der Aussprache zwischen Vorstand und Basis am Vorabend beendet das Hauspersonal mit Wucht die Veranstaltung - und schickt auch den Parteichef mit Bochumer Direktheit vor die Halle.

Für uns Zeit, sich nun endgültig in die Nacht zu verabschieden - von einer Partei, der morgen noch einige Grundsatzentscheidungen, auch zur Frage der ständigen Mitgliederversammlung, ins Haus stehen könnten. Oder doch nur wieder das Ringen um die Geschäftsordnung.

19:53: Zum Abschluss des Tages noch ein Ganggespräch mit Martin Delius, Pirat im Berliner Abgeordnetenhaus. Der ist auch nicht wirklich zufrieden mit diesem von Geschäftsordnungsschlachten zerfahrenen Parteitag und sagt: "Das bestärkt mich in meiner Ansicht, dass wir eine ständige Mitgliederversammlung brauchen."

Heißt: Delius möchte inhaltliche Fragen zukünftig grundsätzlich im Netz klären, nur über Personal auf Parteitagen abstimmen lassen - und zwar, nach Vorbild der Grünen, im Urwahlverfahren: "Wir brauchen auch zukünftig kein Delegiertensystem, wenn wir diesen mutigen Schritt wagen. So geht es aber nicht weiter."

Einwände, die in der Vergangenheit häufiger geäußert wurden, wonach bei Online-Abstimmungstools wie dem Liquid Feedback der Zweiklang von Anonymität und Überprüfbarkeit nicht zu gewährleisten ist, lässt Delius nicht gelten: "Die ist auch bei sonstigen Wahlverfahren nicht hundertprozentig gegeben. Und im Zweifel ist Legitimität nichts Schlechtes."

Mit etwas Glück könnte das Thema morgen, zumindest in Ansätzen, auf die Tagesordnung kommen. Vorerst war es das aber auch von uns aus Bochum, wo - nach einigem Hin und Her - fünf Anträge zumindest in Teilen verabschiedet worden sind und die Piraten sich, als ersten wichtigen Schritt, Wirtschaftspolitisches ins Grundsatzprogramm geschrieben hat. Gute Nacht und bis morgen!

18:46: Hier finden Wiederholungen der Wiederholung der Abstimmung statt. Sie blicken nicht mehr durch? Machen Sie sich nichts daraus. Aktuell wird beantragt, Modul 2 zum Thema Rente, das schon verabschiedet war, noch einmal abzustimmen - und dieses Mal die Stimmen genau auszuzählen. "Bitte keine Geschäftsordnungsschlachten" mehr, heißt es von der Versammlungsleitung.

Dieser Ruf scheint aber ungehört zu verhallen. Die Piraten präsentieren sich als Partei, die lieber Satzungsschlachten führt, als Inhalte zu präsentieren. Am Ende aber bleibt es zumindest bei Modul 2: Die Abstimmung wird nicht wiederholt.

18:44: Jetzt herrscht wenigstens Klarheit in punkto Inklusion. Denn nachdem es Aufregung um den Passus zur Wahrung "nationaler Identitäten" und vor allem die unklare Abstimmung gegeben hat, haben nun alle noch einmal abgestimmt und diesmal wurde auch richtig ausgezählt. Und siehe da, von einer Zweidrittelmehrheit, die zur Annahme nötig ist, keine Spur mehr. Stattdessen ist der komplette Antrag nun doch abgelehnt mit 50,4 Prozent.

Stephan Urbach mahnt genervt: "Überlegt doch bitte vorher, was ihr abstimmen wollt!"

18:06: Und nun wird's sogar was mit einem rudimentären Grundsatzprogramm zur Rentenpolitik: Der Antrag 118 fällt als Ganzes zwar durch, bei der modulweisen Abstimmung werden die ersten beiden Module jedoch beschlossen. Dann folgt aber ein Geschäftsordnungsantrag, der die Abstimmung zum soeben beschlossenen Bekenntnis zur Inklusion in Frage stellt.

Die Abstimmung soll wiederholt werden - weil die Piraten sich mit dem Antrag eventuell ein Kuckucksei ins Nest gelegt haben: Neben dem Bekenntnis zur Wahrung und Pflege gesellschaftlicher Eigenheiten, Mentalitäten und Sprache sollen auch "nationale Identitäten" bewahrt und gepflegt werden. Eine für einige offenbar zu verfängliche Formulierung. Eine erneute Abstimmung des Antrags sorgt für Kontroversen - die von der Versammlungsleitung festgestellte Zwei-Drittel-Mehrheit wollen nicht alle gesehen haben.

Während die Debatte darüber läuft, geben wir gern einen Service der Partei weiter: Eine Übersicht über die angenommenen Anträge und Module mit Links zu den Anträgen im Volltext finden Sie hier - vorbehaltlich natürlich, dass einmal angenommene Anträge nicht wieder zurückgedreht werden. Bei den Piraten ist heute alles möglich.

17:34: Es geht doch: Ohne große Umstände haben die Piraten Positionen zu Wissenschaft und Forschung sowie zu Inklusion beschlossen. Spektakuläres ist nicht darunter, aber immerhin hat man nun auf diesen Feldern etwas vorzuweisen. Nun aber könnte es wieder etwas umständlicher werden: Die Diskussion zum Thema Rente ist eröffnet - die Rednerliste ist sehr lang, die Materie kompliziert.

17:13: Der Chef steigt in den Ring: Bernd Schlömer ergreift das Wort und holt ein Meinungsbild ein, ob der nächsten Bundesparteitag im Frühjahr 2013 zu einem Programmparteitag oder zu einem Wahlparteitag werden soll. Formal gibt es diese Möglichkeit für ihn gar nicht, aber Schlömer lässt sich davon nicht stören.

Er greift zum Mikro, fragt nach, und als die Versammlungsleitung knurrt, sagt er: "Manchmal muss man Politik machen und nicht auf Verfahren achten." Das Meinungsbild ist eindeutig: Die Piraten wollen einen Programmparteitag.

Das Meinungsbild zum Meinungsbild, was durchaus hätte beantragt werden können, bleibt den Piraten an dieser Stelle erspart.

Die Stimmung kippt

16:24: Wieder eine Niederlage für Lauer und Weiß. Ihr Geschäftsordnungsantrag wurde abgelehnt, somit können weiterhin Anträge per Mehrheitsbeschluss beendet werden, auch wenn die Rednerliste noch nicht abgearbeitet ist.

16:20: Christopher Lauer und Simon Weiß gehen noch einmal in die Offensive. Vorhin wurden sie von einem Beschluss auf das Ende der Debatte überrascht und gewissermaßen abgewürgt. Nun stellen sie einen Antrag, diesen Passus aus der Geschäftsordnung zu streichen, sonst sei immer das Foulspiel gegenüber jenen möglich, die eine entgegenstehende Meinung vertreten. Nun entspinnt sich eine sehr grundsätzliche Debatte. Es geht um den Widerstreit zwischen Effektivität und Basisdemokratie.

Lauer plädiert dafür, dass jeder, der reden will, auch reden kann. Er verweist darauf, dass ähnliche Beschlüsse im Berliner Abgeordnetenhaus von den Piraten scharf kritisiert würde. Andere Piraten halten ihm entgegen, dass nur, weil jeder reden kann, nicht jeder reden müsse.

Andere sind sauer, dass man nun schon seit fünf Stunden über zwei Anträge diskutiere, dabei aber wenig inhaltliche Debatten führe, sondern sich Geschäftsordnungsschlachten liefere. Einige sprechen sogar von Zensur, die Stimmung ist halb empört, halb frustriert. Die Piraten sind an einem wunden Punkt angelangt. 

15:55: Liebe Leserinnen, liebe Leser: Höchstwahrscheinlich möchten Sie gar nicht im Detail wissen, was im Moment in Bochum vor sich geht. Die Piraten liefern sich eine Tagesordnungsschlacht um geheime oder offene Abstimmungen, erneute Befassung mit schon einmal abgelehnten Anträgen, Wiederholung von Abstimmungen...

Die Stimmung im Saal ist auf dem Tiefpunkt, Simon Weiß, Abgeordneter in Berlin, hat bereits einen Gang vors Bundesschiedsgericht angekündigt. Eigentlich ist gerade ein Antrag zur Wirtschaftspolitik angenommen worden, der die Begriffe "Freiheitlich", "Gerecht" und "Nachhaltig" in Bezug auf Wirtschaftspolitik beschreibt. Ein großer thematischer Sprung ist den Piraten damit nicht gerade geglückt. Dafür aber ist das Plenum mit den Nerven am Ende. Und es folgen weitere Anträge zur Geschäftsordnung, die das Ergebnis sogar noch einmal in Frage stellen. 

15:52 Während die Aussprache zu PA444 läuft, schauen wir einmal, was mit PA091 eigentlich beschlossen wurde: eine "Wirtschaftspolitik" die "auf einem humanistischen Menschenbild" basiert, freiheitlich und sozial ist. Im Mittelpunkt auch: weltweite Vernetzung, auch durch ein freies Internet, auch aus wirtschaftspolitischen Erwägungen. Die Globalisierung sieht man "grundlegend" positiv. Der Umgang mit den natürlichen Ressourcen soll nachhaltig sein, der Verbraucherschutz und betriebliche Mitbestimmung gestärkt werden, Mindestlohn eine "Brückentechnologie" Richtung bedingungsloses Grundeinkommen sein. Die Zwei-Drittel-Mehrheit verfehlt das Bekenntnis zu einem Steuersystem, das unter anderem helfen soll, Einkommensungleichheit in Deutschland nicht weiter zunehmen zu lassen.

Ebenfalls scheitert der lange Grundsatzabsatz zu "Wirtschaft und Staat", wo es unter anderem heißt: "Wir sehen freie, dezentral organisierte Märkte als derzeit beste Möglichkeit für die Wirtschaft an, sich zu entfalten." Es sei aber die Aufgabe des Staates einen Ordnungsrahmen zu schaffen, in denen Märkte der Weiterentwicklung der Gesellschaft und dem Wohl der Menschen. Auch die Forderung nach Kürzung von "fragwürdigen" Subventionen und nach öffentlicher Daseinsfürsorge gehen mit der Ablehnung des Moduls unter. Was das nun bedeutet? Mit der Freie-Märkte-Formel fällt vor allem eine Formulierung, die sehr wirtschaftsliberal und marktfreundlich klingt. Sonst geht das hier weiter zäh voran.

15:44 Da steht der Berliner Pirat Christopher Lauer im schwarzen Trainingsanzug mit goldenen Streifen. Er will eigentlich gerade einen Redebeitrag zum Antrag PA444 abgegeben. Hinter ihm noch eine lange Schlange. Sie alle wollen etwas sagen. Das Problem ist nur: auch davor gab es schon viele Redner. Das Dilemma löst man dann so: ein Geschäftsordnungsantrag mit dem Ziel, die Debatte zu beenden und abstimmen zu lassen. Lauter Applaus, schließlich haben die Piraten noch mehr vor. Doch Lauer gibt sich nicht geschlagen. Er wolle eine "begründete Gegenrede" halten. Das darf er auch und weist darauf hin, wie unfair das für alle sei, die noch in der Schlange stünden und er fragt auch, ob der Antrag zusätzliche Motivation dadurch erhalte, dass er der nächste Redner wäre. Laute Pfiffe im Saal. Kein Flauschangriff auf Lauer, eher ein hörbarer Shitstorm. Auch ein weiterer Pirat erhebt Einwände, Simon Weiß, und will das Schiedsgericht anrufen. Nützt alles nichts. Die Debatte wird beendet und alle dackeln zurück zu ihrem Platz. Dumm nur: jetzt wird wieder langwierig abgestimmt.

15:07 Stephan Urbach ruft: "Liebe Piraten, wir haben ein Wirtschaftsprogramm." Die Module 1, 3, 4, 5, 7 des PA091 werden angenommen. "Liebe Piraten, wir haben ein Wirtschaftsprogramm", ruft er nochmal und schränkt noch ein: "Zumindest eine Grundlage." Weiter geht es mit PA444 - und auch dabei geht es um Wirtschaft. Genauer gesagt: Wirtschaft, Finanzen, Soziales - freiheitlich, gerecht und nachhaltig.

15:00 Und noch einmal kommt die Ansage vom Podium: Nun werde erstmal auf das Ergebnis gewartet, die Mitglieder mögen bitte davon absehen, am "Shitstormkristallisationspunkt" vor der Bühne aufzutauchen und gegen den Leerlauf zu protestieren. Frust macht sich breit, man wollte endlich thematisch vorankommen, doch die Partei blockiert sich selbst mit einer umständlichen Auszählung - zumal abzuwarten bleibt, wie viel von den wirtschaftspolitischen Grundsätzen am Ende tatsächlich beschlossen wird. Denn die Hürde liegt hoch: Gefordert ist stets eine 2/3-Mehrheit.

14:55 Geht es bei einem Programmparteitag nur um Inhalte? Nein, meint Politikwissenschaftler und Piratenforscher Stephan Klecha vom Göttinger Institut für Demokratieforschung. Er beobachtet - im Gegenteil - gerade in der Debatte um die wirtschaftspolitischen Anträge PA002 und PA091 "Machtsetzungsprozesse", vielleicht sogar das Entstehen "oligarchischer Strukturen". Was Klecha meint? Wie die politikbetrieberfahrenen Berliner Piraten, namentlich Martin Delius und Pavel Meyer, in der Aussprache zu PA091 mit ihren prominenten Stimmen davor warnten, am Ende ganz mit leeren Händen dazustehen, wie schließlich auch Stephan Urbach, Angestellter der Berliner Landtagsfraktion und hier Wahlleiter, vor der modulweisen Abstimmung von PA091 so eindringlich darauf hinwies, dass durch ein "Ja" hier Folgeanträge nicht behindert würden, dass es fast wie Werbung für den Antrag klang - "das erinnert fast an das Führungspersonal etablierter Parteien". Ob's was gebracht hat, ist zur Stunde noch nicht klar. Wenn es wirkt, sieht Klecha die Piraten auf "eher wirtschaftsliberalem Kurs". Wäre der abgelehnte Antrag PA002 durchgekommen, wäre das für Klecha anders gewesen: "Den hätte es auch bei Grünen, SPD oder sogar den christlichen Parteien geben können."

14:44 Wird nun etwa auch die Versammlungsleitung ungeduldig? Die Wahlhelfer vom Wahllokal 25 sollen "sofort ihren Arsch zur Bühne bewegen", ist zu erfahren.

14:40 Beteiligungsrekord auf dem Parteitag: 1862 zahlende Mitglieder sind bisher gekommen und stimmen mit ab - so viele wie noch nie.

14:27 Nach jeder Menge Leerlauf gibt es nun auch noch vermeintliche Comedy auf offener Bühne. Die Piraten arbeiten zielstrebig daran, ihr Programm zu erweitern? Wohl eher nicht. Bis nicht klar ist, was bei der Abstimmung zu wirtschaftspolitischen Grundsätzen herausgekommen ist, passiert nix - zumindest nichts Inhaltliches. Und lustig ist das, was da auf offener Bühne dargeboten wird, schon mal erst recht nicht.

Ob man nicht in der Zwischenzeit andere Anträge vorstellen und diskutieren könnte? Das fände er auch gut, sagt Aleks Lessmann aus dem Presseteam. Da kommt vom Podium eine Ansage: Weil sich der nächste zu diskutierende Antrag ebenfalls um Wirtschaftspolitik dreht, muss erst das Abstimmungsergebnis abgewartet werden. Klar doch, es gibt ja auch nur ungefähr 750 Anträge, die sich nicht um Wirtschaftspolitik drehen. Kein Grund also, einen von denen schon mal zu debattieren...

Die Aussprache zu PA091 gestaltet sich kontrovers

14:06 Auszählpause. Währenddessen gibt es wichtige Durchsagen - zum Beispiel zur Silvestergala der Piraten. Eintritt: 5 Euro. Ein Glas Sekt gibt's gratis, ein Wirtschaftsprogramm leider nicht. Prost!

14:00 Ganz schön schwierig ist es offenbar für die Piraten, so eine Abstimmung zu organisieren. Es gab erst noch einmal eine Viertelstunde Unterbrechung. Über die sieben Abschnitte des Grundsatzantrags PA091 wird aber nun endlich einzeln abgestimmt, jeder Abschnitt, der eine 2/3-Mehrheit erreicht, ist angenommen. Wie viel Mainstream-kompatible Wirtschaftspolitik darf es also sein? Nun wird es sich zeigen. Festzuhalten bleibt aber auch: Die programmatische Debatte läuft seit rund anderthalb Stunden und beschlossen ist noch kein einziger Satz. Allein die Abstimmung, ob - wenn (!) das Modul 2 von PA091angenommen wird - dort dann das Reizwort "soziale Marktwirtschaft" oder nur der Verweis auf eine "soziale" Wirtschaftsordnung stehen soll, verlangt nach einer Gegenprobe.

Ob es da realistisch ist, insgesamt mindestens 50 Anträge zu behandeln? Einerseits: Ein Grundsatzprogramm zu diskutieren ist natürlich besonders komplex und langwierig. Andererseits: Debattierfreudig zeigen sich Piraten erfahrungsgemäß auch gern bei kleineren Themen. Und das Ende der Sitzung ist an beiden Tagen ziemlich klar definiert: Um 20 Uhr ist Schluss, auch wegen der vertraglichen Vereinbarung mit den Betreibern der Veranstaltungshalle.

13:18 Hat der wirtschaftspolitische Grundsatzantrag PA 091 die notwendige Zweidrittelmehrheit bekommen? Die Meinungen gehen auseinander, es sah aber nicht danach aus. "Auszählen wäre jetzt ganz doof", heißt es von der Versammlungsleitung, offensichtlich ist das Prozedere noch nicht organisiert. Auch das passt zum Thema "Professionalisierung", bei dem die Piraten heute noch nicht punkten konnten. Pragmatisch einigt man sich darauf, den Antrag einfach Stück für Stück abzustimmen, denn bei den einzelnen Abschnitten dürfte das Votum der Mitglieder deutlicher ausfallen. Auf geht's also zur ersten von mehreren Abstimmungen.

13:05 Die Aussprache zu PA091 gestaltet sich kontrovers: Viel Kritik gibt's für vermeintliche Worthülsen wie "soziale Marktwirtschaft" und einen wirtschaftsliberalen Zungenschlag, der sich etwa in einem Bekenntnis zu "freien, dezentral organisierten Märkten als derzeit bester Möglichkeit für die Wirtschaft, sich zu entfalten". Auf der anderen Seite steht bei der Aussprache dieses vielleicht aussichtsreichsten der diskutierten wirtschaftspolitischen Programmanträge die Angst, am Ende weiter ganz ohne beschlossenes Wirtschaftsprogramm dazustehen. Es läuft auf eine Abstimmung einzelner Module hinaus, da der komplette Antrag wohl kaum die für Programmanträge nötige 2/3-Mehrheit erreichen wird.

12:20 Die Piraten diskutieren als ersten Antrag zu einem möglichen wirtschaftspolitischen Grundsatzprogramm PA002. In der Diskussion werden die grundsätzlichen Fragen deutlich: Wie sehr auf soziale Sicherung soll eine "piratige" Wirtschaftspolitik bedacht sein? Wie sollen Wettbewerbsanreize geschaffen werden? Wie detailliert darf ein Grundsatzprogramm sein? Und was sollen die wichtigen Wirtschaftsfelder der erwarteten "Wissensgesellschaft" sein? Der Antrag verpasst die 2/3-Mehrheit, weiter geht's mit PA091. Das Tagesspiegel-Team verbleibt ohne Netz mit Handy-Internet im Notmodus.

11:45 Internetzugang hat der Saal immer noch nicht. Per twitter wird gewitzelt, über die Offline-Partei, und auch genervt angemerkt, dass so ein Beginn wohl nicht zur viel beschworenen Professionalisierung passt.

11:25 Los geht es jetzt mit dem Versuch, Lücken im Grundsatzprogramm zu schließen. In der Tagesordnung, für die sich die Piraten entschieden haben, stehen einige entsprechende Anträge ganz vorn. Gerade wird Wirtschaftspolitik diskutiert, danach sind grundsätzliche Aussagen zu Wissenschaft, Inklusion, Rente, Außenpolitik, Europa, Gesundheitspolitik, Jugendschutz und Landwirtschaft dran. Damit anzufangen, könnte sich als clevere Idee erweisen - zeigen wird sich nun aber auch, wie viel Zeit die Debatten in Anspruch nehmen.

Piraten starten offline in die Programmdebatte

11:06 Das ging schnell: nach gut zwanzig Minuten haben sich die Piraten auf eine Tagesordnung geeinigt. Vier Vorschläge hatte die Parteiführung gemacht, geeinigt hat man sich auf eine Kombination aus den Vorschlägen 2 bis 4. Gar nicht so simpel - aber bald kann die inhaltliche Debatte beginnen. Einen langwierigen Streit um die Tagesordnung haben die Piraten erfolgreich vermieden.

10.55 Die LAN-Verbindung ist unterbrochen und für das WLAN gibt es keine Passwörter. Der Blog zum Bundesparteitag liegt erst mal brach. Die Presse ist gefrustet, der Pressesprecher verteilt zum Trost Marzipan. Mittlerweile hat die Diskussion begonnen, welche Tagesordnung die Piraten überhaupt wollen. Zwölf Vorschläge gibt es, je nachdem, welcher durchkommt, könnten die Piraten in den kommenden zwei Tagen völlig unterschiedliche inhaltliche Akzente setzen. 

10.30 Der niedersächsische Spitzenkandidat Meinhart Ramaswamy schwört die Partei auf den dortigen Landtagswahlkampf ein. Immer wieder erntet er Beifall und Jubel - vor allem natürlich für die Botschaft, dass die Landesliste tatsächlich zur Wahl zugelassen ist, nachdem das zuletzt unsicher war.

10.20 Die Bochumer Oberbürgermeisterin Otilie Scholz tritt für ein Grußwort ans Mikrofon - und begeht gleich einen fatalen Fehler: "Liebe Delegierte", begrüßt sie die, die natürlich - das ist wichtig im Piratenkosmos - keine Delegierten, sondern, ganz basisdemokratisch, einfache Parteimitglieder sind. Das Raunen und Buhen im Saal kontert Scholz (SPD) souverän: "Ich habe grad gehört, sie sind tolerant." Nachdem Jubel und Gelächter verklungen sind, lobt Scholz noch brav Hilfsbereitschaft und Offenheit - und sagt zu den Turbulenzen um die Bochumer Stadtwerke und ihre Vortragsgäste: "Da muss ich jetzt mal nichts zu sagen." Schade!

10.15 Mit "11 Punkten" schickt der Bundesvorsitzende die Partei in den Bundestagswahlkampf. Wichtigste These vor diesem Programmparteitag, der nach dem Willen mancher ein Fast-Vollprogramm hervorbringen sollte: Die Partei sei nicht angetreten, zu allen Themen etwas zu sagen. Sie sei "offen, tolerant, weltoffen und liberal". Die Piraten seien eine Bürgerrechtsbewegung, keine Volkspartei. Dafür würden sie gewählt. "Wir sind Piraten", ruft Schlömer in Richtung der Spitzenkandidaten der anderen Parteien. Piraten ohne Vollprogramm. Aber selbstbewusst.

10.10 Der Parteivorsitzende Bernd Schlömer spricht: "Auch ich habe Fehler gemacht und möchte mich bei euch dafür entschuldigen." Nun gehe es aber darum, mit "Freude und Spaß" einen Politikwandel voranzutreiben. Eine sozialliberale Kraft fehle in Deutschland, das sei das Alleinstellungsmerkmal der Piraten. Unter den demokratischen Staaten sei Deutschland Weltmeister, Bürgerrechte aus Sicherheitsdenken einzuschränken. Dagegen könnten nur die Piraten vorgehen.

10:03 Beinahe auf die Minute pünktlich geht es los, und gleich zu Beginn tun die Piraten ihr Bestes, die Stimmung in der Halle anzuheizen: Nacheinander werden die Landesverbände aufgerufen, jubelnd bekunden sie ihre Anwesenheit. Und bevor der Bundesvorsitzende Bernd Schlömer ans Mikro tritt, gibt's noch ein paar Takte Musik. Dann aber wird's noch mal so richtig piratig: Ein "Awareness Team", so ist von Seiten der Versammlungsleitung zu hören, kümmert sich um seelische Nöte. Wer sich diskriminiert fühlt, findet dort Hilfe. Schaden kann das wohl nicht, die Piraten sind ja durchaus für ihren oft rüden Umgangston untereinander bekannt. Und noch etwas ist neu im Gegensatz zu früheren Parteitagen: Ein Gebärdendolmetscher gestikuliert auf großer Leinwand.

9:57 Gleich geht's los. Die Halle ist bereits gut gefüllt, der Parteitag kann beginnen. Gestern Abend trafen sich Basis und Bundesvorstand zu einer Aussprache, um die Querelen der vergangenen Monate abzuschließen. Es wurde sachlich diskutiert - gute Vorzeichen also für dieses Wochenende, an dem die Piraten programmatisch endlich den lang ersehnten Schritt nach vorn machen wollen. Vor welchen Problemen die Partei steht und was vom Parteitag zu erwarten sein könnte, haben wir übrigens hier aufgeschrieben.

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