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Politik: Lizenz zur Willkür

Moskau - Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa schlägt Alarm: Im russischen Innenministerium, so die Chefin der Moskauer Helsinki-Gruppe, gäbe es den Geheimbefehl Nr. 870.

Moskau - Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa schlägt Alarm: Im russischen Innenministerium, so die Chefin der Moskauer Helsinki-Gruppe, gäbe es den Geheimbefehl Nr. 870. Er ermächtigt die Polizei, bei Gefährdung der öffentlichen Ordnung von der Schusswaffe Gebrauch zu machen und auch in anderen Regionen Russlands „Filtrationslager“ wie in Tschetschenien einzurichten. Dort wurden in der heißen Phase des Krieges zwischen Oktober 1999 und Februar 2001 Hunderte willkürlich weggesperrt, gefoltert und oft auch ermordet. Auch dürfe die Polizei jede nicht genehmigte Ansammlung von Bürgern bis zum Abschluss der Ermittlungen als „Bande“ behandeln.

Eben dieser Befehl, erklärte Alexejewa im russischen Dienst von Radio Liberty, sei bei einer „Präventivmaßnahme“ in der Teilrepublik Baschkirien schon getestet worden. Bei einer Razzia in der Stadt Blagoweschtschensk hatte die Polizei im vergangenen Dezember über hundert Jugendliche willkürlich festgenommen und zusammengeschlagen. Außerdem sollen Dutzende Mädchen vergewaltigt worden sein. Rein zufällig hätten Opfer bei der Akteneinsicht das brisante Papier entdeckt, kopiert und der Moskauer Helsinki- Gruppe zugespielt, sagte Alexejewa. Die streitbare Dissidentin sagte, sie hätte von Geheimvollmachten für Polizei- und Sicherheitskräfte erstmalig schon 2002 in Tschetschenien gehört. Nun solle die dort bei „Säuberungen“ und anderen „Sonderoperationen“ gesammelte Erfahrung offenbar landesweit zur Anwendung kommen, vor allem bei sozialen Unruhen und anderen Massenprotesten.

In den Nachbarländern Ukraine und Usbekistan soll Präsident Wladmir Putin im Fall von Protesten zur Gewalt geraten haben. Die Moskauer Zeitung „Kommersant“ zitierte den US-Finanzmagnaten George Soros mit dem Vorwurf, Putin habe im vergangenen Winter seinem damaligen ukrainischen Kollegen Leonid Kutschma geraten, auf die Demonstranten der „Revolution in Orange“ schießen zu lassen. „Dem usbekischen Präsidenten Islam Karimow riet Putin dann dasselbe. Der hielt sich daran, und im Ergebnis bekamen wir das größte Blutvergießen der jüngeren Geschichte“, sagte Soros. Putins stellvertretender Sprecher Dmitri Peskow sagte dazu, die Aussagen von Soros seien „ausschließlich eine Frucht seiner Erfindung, die nichts mit der Realität zu tun haben“.

Doch dass es um die Demokratie in Russland schlecht bestellt ist, ergibt sich auch aus einem Bericht der Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“. Demnach will das Innenministerium ehemalige Hacker in Lohn und Brot nehmen. Angeblich geht es darum, die Websites von Kreml- und Verteidigungsministerium vor Attacken aus dem Cyberspace zu schützen. In Wahrheit aber, so berichtet das Blatt, sollen die Hacker die Websites oppositioneller Parteien lahm legen. Vor allem im Visier sind die Homepages der tschetschenischen Separatisten, die auf Servern aus Litauen und Großbritannien laufen und dem Zugriff Moskaus daher entzogen sind.

Elke Windisch (mit dpa)

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