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London: Afghanistan-Konferenz: Eine Schau von guten Absichten

Die Afghanistan-Konferenz in London sollte eine Idee für das Land präsentieren, für seine Zukunft. Doch dann war es nur die Schau der guten Absichten.

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Hamid Karsai legt den grün-blau gestreiften Umhang ab, setzt die graue Persermütze auf und tritt ans Rednerpult. Erwartungsvolle Blicke richten sich auf den 52-Jährigen im Lancaster House, dem neoklassizistischen Herrenhaus vis-à-vis des Buckinghampalastes. Hier und jetzt, an diesem nasskalten Donnerstagvormittag in London, werden, so erwarten es alle, weltpolitische Weichen gestellt, wird über die Zukunft Afghanistans entschieden. Wie geht’s weiter am Hindukusch? Davon, so schien es zuletzt, hängt ab, wie es weitergeht mit der Welt insgesamt: Wird’s besser? Wird’s schlechter?

Die Rede des afghanischen Präsidenten gibt darauf keine Antwort. Karsai wirkt müde, ist blass an diesem Morgen. Protokollgemäß bedankt er sich bei den Außenministern aus mehr als 40 Staaten, den Generalsekretären von UN und Nato, beim Gastgeber, dem britischen Premier Gordon Brown. Die Welt ist ganz Ohr: Auf diesen Moment haben in den vergangenen Wochen und Monaten viele hingearbeitet und -gedacht. Der Politiker aus dem Mehrheitsvolk der Paschtunen, ein Adliger vom Stamme der Popalzai, gilt als eloquent, elegant, einnehmend. Doch der Vortrag seines Sechs-Punkte-Plans zur Rettung Afghanistans ist routiniert, emotionslos, frei von Aufbruchspathos und Wendemarken-Rhetorik. Karsai spricht von Ownership, von Führung und gradueller Übertragung der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen. Nur selten löst er seinen Blick vom Manuskript.

In der ersten Reihen des Plenums sitzt US-Außenministerin Hillary Clinton und macht sich mit strenger Mine Notizen. Als gäbe es hinterher Noten zu verteilen. Karsai weiß, was von ihm erwartet wird. Unter Punkt drei seiner Agenda hakt er den Kampf gegen die Korruption ab, danach verspricht er faire und freie Parlamentswahlen im September. „Wir haben unsere Lektion aus den Präsidentschaftswahlen gelernt“, sagt Karsai. Dass er selbst als Betrüger galt, nach seinem zweiten Wahlsieg, erwähnt er nicht.

Für Karsai, so scheint es, ist dies eine Veranstaltung von vielen. Er hat sie alle mitgemacht. Von Anfang an, seit den Friedensgesprächen auf dem Bonner Petersberg Ende 2001. Und er ist immer noch dabei. Im Gegensatz zu George W. Bush, Tony Blair, Gerhard Schröder und Joschka Fischer. Für deren Nachfolger aber geht es heute um viel. Die Zustimmung ihrer Wähler zum internationalen Afghanistaneinsatz schwindet ebenso rasant, wie die Zahl der am Hindukusch getöteten ausländischen Soldaten und Zivilisten steigt. Die Botschaft, die von London in die Welt gehen soll, lautet: In einem, dem womöglich letzten Kraftakt werden die Anstrengungen noch einmal erhöht, werden mehr Soldaten entsandt und deutlich mehr Mittel für die zivile Entwicklung Afghanistans aufgebracht – dann aber beginnt der Rückzug. Die Nato müsse, so hat es ein Bundestagsabgeordneter kürzlich gesagt, vom Fahrer- auf den Beifahrer-, schließlich auf den Rücksitz und dann raus. Spätestens 2015 sollen die Afghanen ihr Land selbst verwalten. Das ist die neue Strategie: fordern und fördern. US-Präsident Obama hat sie vorgegeben, die internationale Gemeinschaft hat sie sich in London zu eigen gemacht.

Ob sie aufgeht, kann niemand vorhersagen. An diesem Donnerstag ist erst einmal entscheidend, dass sie gut in Szene gesetzt wird. Wie anders sind deshalb Tonfall und Wortwahl der anderen: Gastgeber Brown spricht vom „entscheidenden Schritt“, der „überlebensnotwendig für die ganze Welt ist“. Und dem Terrornetzwerk Al Qaida droht er: „Wir werden euch besiegen, nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch im Kampf um die Herzen und Köpfe der Afghanen, und wo immer ihr euch versteckt.“ Bundesaußenminister Guido Westerwelle beschwört, und das nicht zum ersten Mal, es sei ein „neues Kapitel“ aufgeschlagen worden. Schließlich wolle niemand „auf ewig mit Soldaten im Land bleiben“. Hillary Clinton begrüßt die demonstrative Einigkeit der internationalen Gemeinschaft, mahnt aber nachdrücklich die nun nötige Umsetzung der hehren Worte von London in Taten am Hindukusch an.

Viel wird an diesem Tag gesprochen, aber kaum etwas gesagt. Das Abschlussdokument ist eine Aneinanderreihung von Absichtserklärungen und Forderungen. Das entspricht dem Charakter solcher Gipfeltreffen. Sie sind Schaufenster. Schau und Fenster zugleich. Die Politik inszeniert sich. Das Ernste bedient sich der Formen der Unterhaltung. Die Weltpolitik folgt den Regeln des Marktes. Deshalb verkauft man hier in London als „Strategiewechsel“ und „Neuanfang“, was recht eigentlich betrachtet doch nur mehr vom Alten ist, längst geplant, längst besprochen, längst zwischen allen Beteiligten abgestimmt.

Spannend wird jetzt zu beobachten sein, ob der Versuch gelingt, den schwer angeschlagenen Karsai zum neuerlichen Wunschpartner aufzubauen. Der macht zwar stets eine gute Figur – Gucci-Designer Tom Ford kürte ihn einst zum modischsten Mann auf dem Planeten –, doch so steil sein Aufstieg nach 2001 war, so tief ist er in denen vergangenen Jahren gefallen. Korruption, Drogenhandel, Vetternwirtschaft, Wahlbetrug – an der Spitze Afghanistans steht ein Präsident, der national wie international jeglichen Kredit verspielt zu haben schien.

London ist auch der Versuch des Westens, sich selbst mit dem inzwischen Ungeliebten aufs Neue zu arrangieren, ja, mehr noch, sich selbst und die Weltöffentlichkeit davon zu überzeugen, dass man es mit einem verlässlichen und irgendwie doch auch guten Partner in Kabul zu tun habe. Und so redet man ihn stark, stilisiert ihn zum Hoffnungsträger und macht ihn zum großen Versöhner. Stellvertretend für viele passt dazu Westerwelles Diktum vom Wendepunkt: „Das wirklich Neue an der gegenwärtigen Situation ist ja, dass die Regierung von Präsident Karsai sich selbst ausdrücklich verpflichtet hat – auch für den innerafghanischen Prozess der Versöhnung.“

Den hatte Karsai schon in seiner Antrittsrede zur zweiten Amtszeit im November 2009 beschworen, auch da saß Hillary Clinton in der ersten Reihe, und er wiederholte in London: „Wir heißen all jene Landsleute willkommen, die keine Verbindungen zu internationalen Terrornetzwerken haben, die ein friedliches Leben im Licht unserer Verfassung führen wollen und die in ihr Zuhause zurückkehren wollen. Wir werden ihnen die notwendige Unterstützung bieten.“ Hier nimmt ihn der Westen beim Wort. Ein Fonds soll her. 350 Millionen Euro schwer und, denn so weit geht das Vertrauen in den neuen alten Karsai nicht, gemeinsam verwaltet von der afghanischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft unter Führung der UN. Mit dem Geld soll Mitläufern der Taliban ein neues Leben ermöglicht werden, durch Ausbildungs- und Beschäftigungsprogramme. Dass es ein solches Programm längst gibt, es wegen massiver Korruption als gescheitert gilt, darüber spricht in London niemand.

Auch die Frage, wie viele ideologiefreie Kämpfer es gibt, kann hier niemand beantworten. Und erst recht nicht erklären, wie verhindert werden soll, dass sich nun jeder, der keine Arbeit hat, bezichtigt, ein Taliban zu sein. Denn auch das hat es in Afghanistan schon einmal gegeben – als die ehemaligen Mudschahedin, die gegen die Russen und später gegen die Taliban kämpften, 2002 entwaffnet werden sollten. Doch für solche Details ist in London keine Zeit. Um 16 Uhr machen sich die ersten Minister, darunter Westerwelle, bereits wieder auf den Heimweg. Vorher schaut er noch kurz im Pressezentrum vorbei und erklärt den deutschen Journalisten, dass praktisch alle seine Vorschläge zur „stärkeren zivilen Unterstützung“ in das Abschlussdokument eingeflossen seien. Ein Konzept im Übrigen, fügt Westerwelle noch hinzu, das er bereits als FDP-Chef vor der Bundestagswahl vertreten habe und nun als Außenminister weiterverfolge.

Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass die internationale Gemeinschaft, was ihre Ziele anbelangt, zurückrudert: Von Demokratisierung, universalen Menschenrechten und Geschlechtergleichstellung ist kaum mehr die Rede. Vom idealistisch aufgeladenen Petersberg-Prozess nach 2001 ist man nachdrücklich abgekommen. Da wirkt es beinah schon trotzig, dass Clinton ankündigt, man werde „weiter für die Bildungs- und Entwicklungschancen der Frauen kämpfen“. Der internationalen Gemeinschaft geht es um ein Ausstiegsszenario, um Gesichtswahrung und ein Ende des Krieges. Von der Vision, Afghanistan den Weg in eine bessere Zukunft zu weisen, hat man sich verabschiedet. Den sollen die Afghanen selbst finden.

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