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London: Britisches Parlament: Der Bock wird Gärtner

Das britische Parlament wählt einen neuen Sprecher – er soll den Skandal aufklären, in den er selbst verwickelt war. John Simon Bercow muss den Ruf des Unterhauses wiederherstellen.

Premier Gordon Brown traf sich am Dienstag mit dem neuen „Speaker“, um zu besprechen, wie nach der Spesenkrise der Respekt für das Parlament und das Vertrauen in das politische System wiederhergestellt werden können.

Aber der erste Tag des neuen britischen Parlamentspräsidenten John Simon Bercow verlief kontrovers. Eigentlich soll die Wahl eines „Speakers“ über Parteipolitik erhaben sein. Aber nur drei Tory-Abgeordnete stimmten für den 46-Jährigen – obwohl er selbst Tory ist. Parteichef David Cameron musste seine Partei nach der Wahl mit heftigen Gesten zum Beifall ermuntern. Zweifel kamen auf, ob das Parlament den Einheitskandidaten gewählt hat, den es in der Krise braucht.

„Ein Speaker muss all seine bisherigen politischen Überzeugungen beiseite werfen“, sagte Bercow bei seiner Antrittsrede – und wurde von höhnischem Lachen unterbrochen. Denn seine Parteifreunde halten ihn für einen Verräter, der seine Überzeugungen schon längst über Bord warf. Der jüngste Speaker seit 170 Jahren war als Teenager Thatcher-Fan. Bercow wurde 1997 ins Unterhaus gewählt und diente ab 2001 im Schattenkabinett von Parteiführer Ian Duncan Smith. Als er vergangenes Jahr eine Beraterfunktion in Browns Regierung annahm, glaubten Tories, dass er seinen Wechsel zu Labour vorbereitete. Heute glauben einige, diese Bekehrung habe vor allem Bercows erklärtem Karriereziel gedient – Speaker zu werden, was ohne Labour nie gegangen wäre.

Nun steht der Vater dreier Kinder vor den schwierigsten Aufgaben eines Speakers seit Menschengedenken. Er muss nicht nur Debatten leiten, temperamentvolle Abgeordnete disziplinieren und das Parlament in Seidenstrümpfen und Spitzenjäckchen gegenüber der Königin und dem Oberhaus repräsentieren.

Bercow muss nach dem Spesenskandal den Ruf des Unterhauses wiederherstellen – schwierig für einen, der zu den 25 Abgeordneten gehört, die ihre Abgeordnetenprivilegien für Steuerersparnisse bei Immobilienverkäufen missbrauchten. Dann muss er Reformen einleiten, um dem Parlament wieder mehr Relevanz zu geben. Vor allem muss er der Exekutive, die im Laufe der Jahre immer mehr Gewalt über das Unterhaus gewann, diese Macht wieder entreißen.

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