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London: "Schafft das Geld ab"

Zornige Demonstranten, furchtlose Banker – eine neue Stimmung in der City.

Gegen Ende der Lunchtime, nach zwei Stunden friedlichem Protest, wird die Stimmung in der City heißer. Vor dem Gebäude der Royal Bank of Scotland stehen Hunderte von Demonstranten. Einer hat das Wort „Diebe“ unter das Logo der Bank gesprüht. Ein anderer hält eine schwarze Piratenfahne hoch. „Burn“ wird an die Fassade gesprüht. Die Bank ist nach einem Rekordverlust in der britischen Firmengeschichte und einer saftigen Pensionszahlung an den Ex-Chef Mittelpunkt der Anti-Banker-Stimmung.

Als die erste Scheibe klirrt, heben Dutzende Fotografen ihre Kameras hoch. Anders als viele Banken im Viertel hielt die RBS es nicht für nötig, sich mit Brettern zu schützen. Es dauert Minuten, bis Polizisten mit Kampfmontur und Helmen die Bartholomew Street abriegeln. „Wir wollen hier nur durch die City spazieren. Nun werden wir hier eingekesselt“, sagt ein amerikanischer Student im schwarzen Kapuzenpullover einem Fernsehreporter. Die Auseinandersetzung, auf die sich die Londoner Polizei seit Wochen vorbereitet hat, beginnt.

Tausende demonstrieren am Mittwoch im Londoner Bankenviertel gegen Klimawandel, Arbeitslosigkeit, Armut in Afrika, Krieg im Irak, gegen den Kapitalismus überhaupt. „Wir kommen nicht, um zu demonstrieren. Wir werden die Regierung stürzen“, warnte der Wissenschaftler Chris Knight, einer der Organisatoren des Aktion, der wegen seiner frechen Sprüche von seiner Universität suspendiert wurde. Als der erste Protestzug durch die Princes Street zieht, hinter einer roten Figur eines Reiters der Apokalypse, die in seinem Garten gebastelt wurde, rufen die Demonstranten. „We say, fight back“ und „Schafft das Geld ab“. „Wir sind von der italienischen Presse“, erklären einige bärtige Italiener, die auf einer Parkbank SMS lesen. „Es sind Gruppen in der Stadt, zu deren Ethos es gehört, nicht mit der Polizei zu reden“ hatte Einsatzleiter Simon O’Brien gewarnt. Er verfolgt die Krawalle ein paar Kilometer entfernt im Operationszentrum Lambeth an einer Wand mit 80 Monitoren.

Zwei Stunden zuvor sitzt ein kraftvoller Mann in Sporthose und gelbem Trikot an einem Cafétischchen und tippt in seinen Blackberry. Ein Banker, der den Rat befolgte, inkognito zur Arbeit zu gehen und Nadelstreifen und rote Hosenträger zu Hause ließ? Nein, Tyler Wilson ist Trainer in einem Fitnesscenter in der City. „Von meinen Bankern in der Gym hat sich bestimmt keiner anders angezogen. Das sind alles kräftige Burschen, die gut austeilen können“, sagt er.

Vor dem European Climate Exchange im Bishopsgate schlagen Punkt 12 Uhr 30 zwei junge Männer aus Gloucestershire unter Jubel ein Zelt auf. Das Klimalager hat erfolgreich den ersten Brückenkopf gestellt. „Wenn sie uns hier räumen wollen, werden wir uns friedlich wehren“, sagt einer der beiden. Per SMS laden die Klimagegner ihre Anhänger ein. „Es ist wunderbar. Die Stimmung ist großartig“. Am Treppenaufgang des Royal Exchange an der Bank steht ein Mann mit Fahrradhelm. „Ich wollte nur mal sehen, ob man hier etwas fotografieren kann“, sagt David Berry, ein Bühnenbauer, und zückt seine Schnellschusskamera. Am Morgen war er mit der Gruppe „Critical Mass“ per Fahrrad einige Banken abgefahren. „Mit Megafonen erklärten wir, was die Banken so alles auf dem Kerbholz haben“. Gewalt stehe bei ihm nicht auf der Agenda, sagt er. „Jetzt, wo die Krise alles in Bewegung bringt, wäre das nicht besonders produktiv“.

Der Londoner G-20-Gipfel hatte pünktlich um acht Uhr begonnen, als die Panzerlimousine des amerikanischen Präsidenten in die Downing Street einschwenkt. Die US-Standarte auf den Kotflügeln, weiße und blaue Blinklichter. Sicherheitsbeamte öffnen die zentnerschwere Tür. Als Präsident Barack Obama und Gattin Michelle sich vor der Türe der Nummer 10 präsentieren, zeigt Premier Gordon Brown zum Himmel. „Strahlendes Wetter haben wir heute“.

5000 Polizisten sind im Einsatz. Allein in der City sind 4000 Demonstranten. 10 500 Sonderschichten werden für den G-20-Gipfel gefahren. „Wir reagieren so flexibel wie wir können. Es kann keine Rede davon sein, dass wir überlaufen wurden“, teilt Kommandeur O’Brien mit.

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