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Lothar Bisky: "Ich würde es bedauern, wenn Bartsch nicht antritt"

Der frühere Linken-Vorsitzende Lothar Bisky über den Machtkampf um die künftige Führung der Partei, die Bedingungen Oskar Lafontaines, die Piraten und seinen griechischen Freund Alexis Tsipras.

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Herr Bisky, ist es mal wieder Zeit für einen Wutausbruch?

Ja. Es droht uns ja offenbar, dass wir in Personalquerelen unsere Kräfte vergeuden. Wir müssen aber mit Inhalten in die Öffentlichkeit, sonst geht es weiter bergab.

Zuletzt waren Sie so empört, als Dietmar Bartsch vor zwei Jahren auf Druck von Oskar Lafontaine seinen Posten als Bundesgeschäftsführer räumen musste. Erinnert Sie der Streit um die Parteispitze heute an den Machtkampf von damals?
Es geht jetzt um eine ganz seriöse Frage: Wer wird Vorsitzender? Ich bin für Bartsch. Mit ihm und Lafontaine haben wir zwei ehrwürdige Kandidaten, vielleicht kommen ja noch andere hinzu. Zwei Kandidaten sind eine Bereicherung des Parteilebens und kein Problem. Der Parteitag in Göttingen Anfang Juni wird dann entscheiden. Und ich bin zuversichtlich, dass er richtig entscheidet.

Müssen sich die beiden Kontrahenten Lafontaine und Bartsch versöhnen, um die Linke zu retten?

Ich habe häufig beklagt, dass ich bei Wahlen keine Gegenkandidaten hatte. Das habe ich immer als Verlust gesehen. Wir haben doch Demokratie gewollt – nun haben wir sie.

Lafontaine will ausdrücklich keine Kampfkandidatur. Er will nur zur Wahl antreten, wenn Bartsch verzichtet.

Ich glaube nicht, dass Lafontaine einen Rückzug erzwingen kann. Das ist einzig und allein eine Entscheidung von Bartsch. Unser Statut ist eindeutig: Wenn jemand sagt, er kandidiert, dann kandidiert er. Und wenn nun – weiß der Deibel wer, Großvater, Oma, Tante, Frau, Kinder oder auch Parteimitglieder – jemanden von einer Bewerbung abbringen möchten, mag er oder sie das versuchen. Ich weiß nicht, ob das in diesem Fall erfolgreich ist. Ich würde es jedenfalls bedauern, wenn Bartsch nicht antritt. Jetzt sind beide im Ring.

Der amtierende Parteichef und Lafontaine-Vertraute Klaus Ernst sagt, in einer Urabstimmung unter den Mitgliedern hätte Lafontaine eindeutig die besseren Chancen. Glauben Sie das auch?

Nein. Beide hätten Chancen. Es gibt keinen eindeutigen Favoriten.

Und auf dem Parteitag in Göttingen?

Auch dort hätten beide gute Chancen.

Was zeichnet Lafontaine aus?

Ich habe als Parteivorsitzender zwei Jahre lang gut und fair mit ihm zusammengearbeitet. Das ist also möglich mit ihm.

Was spricht für Bartsch?

Schon mal die andere Generation. Und er hat bewiesen, dass er die Partei zusammenhalten kann. Er war viele Jahre Bundesgeschäftsführer und hat beim Aufbau und bei der Entwicklung der Partei ganz hervorragende Verdienste. Auch die Linke entwickelt sich doch nicht von allein. Gerade von ihrem Innenleben versteht Bartsch ganz besonders viel.

Ist es vermessen, wenn Lafontaine seine Kandidatur an Bedingungen knüpft? Er fordert ein passendes personelles Umfeld und ist gegen eine Kampfkandidatur.

Oskar Lafontaine wird seine Gründe haben, wenn er Bedingungen nennt. Zwingend ist dieses Vorgehen nicht. Mehr mag ich dazu nicht sagen.

Die stellvertretende Vorsitzende Katja Kipping macht für den Showdown nicht nur Lafontaine verantwortlich, sondern auch Bartsch. Wäre nicht ein dritter Weg mit ganz anderen Kandidaten wünschenswert?

Der dritte Weg ist immer der edle, der bessere und der tolle Weg. Und keiner geht ihn.

Auf dem Parteitag in Göttingen wird die Entscheidung fallen - aber ohne Bisky

Einer der spektakulärsten Erfolge von Oskar Lafontaine war 1995 der Putsch gegen Rudolf Scharping auf dem SPD-Parteitag in Mannheim. Wenn Sie nach Göttingen fahren: Sind Sie darauf eingestellt, dort etwas Ähnliches zu erleben?

Ich fahre nicht nach Göttingen. Ich bin zahlendes Mitglied. Meine Zeit auf Parteitagen ist vorbei. Ich hatte genügend Parteitage und muss da keine Entzugserscheinungen fürchten. Die Linke fährt in einer anderen innerparteilichen Situation nach Göttingen als die SPD damals nach Mannheim. Eine Wiederholung von Mannheim kann nur als Komödie gelingen.

Der SPD-Politiker Thierse lobt, es handele sich bei den ostdeutschen Reformern um den erfolgreichen Flügel der Linken. Wäre es denn so schlimm, die Partei zu spalten und die alte PDS im Osten zu reaktivieren?

Als Parteivorsitzender habe ich mit Überzeugung versucht, die Linke in Ost und West zusammenzubringen. Trotzdem gibt es immer noch eine Riesenkluft: Im Osten sind wir eine Volkspartei, im Westen bleiben wir anhaltend und nachdrücklich schwach. Ich habe kein Patentrezept, wie man das verändern könnte. Dennoch möchte ich auf eine gesamtdeutsche Linke nicht verzichten, die sich Mühe gibt, diesen Unterschied zu überbrücken. Wir sind ein vereintes Land, da wäre es verkehrt, zur ostdeutschen Regionalpartei zurückzukehren.

Parteichef Ernst führt die Wahlniederlagen der letzten Zeit auf jahrelange Selbstbeschäftigung und eine Medienblockade zurück. Die Inhalte seien richtig. Sehen Sie das auch so?

Nein. Heute haben wir mehr Medienaufmerksamkeit als die PDS in den 90er Jahren, damals haben wir trotzdem gute Ergebnisse erzielt. Ich würde die ernstere Frage stellen: Warum kommen unsere Inhalte nicht an? Warum nehmen uns die Leute nicht ab, was wir verkünden? Wenn wir diese Frage nicht beantworten, schrumpfen wir ziemlich sicher weiter.

Sind vielleicht Ihre Botschaften nicht mehr zeitgemäß?

Jetzt berühren Sie einen wunden Punkt. Natürlich müssen wir als linke Partei die Interessen der Arbeiter vertreten. Seit vielen Jahren sage ich aber auch, dass wir uns auf das Informationsproletariat des 21. Jahrhunderts einlassen müssen. Die Arbeitsbedingungen haben sich verändert, die Leute wechseln zwischen Anstellung und Nichtanstellung, sie müssen sich auf dem freien Markt bewähren. Als Parteivorsitzender habe ich immer auf dieses Thema hingewiesen, es wurde aber als das spinnerte Hobby des Medienprofessors angesehen. Und jetzt haben die Piraten einen durchschlagenden Erfolg. Ich wünschte mir, dass die Linke diese großen Veränderungen in unserer Arbeitswelt zur Kenntnis nimmt. Das 21. Jahrhundert kann nicht mit dem Strickmuster des 19. Jahrhunderts behandelt werden.

Die Piraten haben der Linken die Rolle als Protestpartei abgenommen. Lässt sich das zurückdrehen?

Na, da müssen wir aber noch ganz schön üben. Der frische, freche Eindruck, den wir mal hatten, ist leider nicht mehr da. Als Konkurrenz finde ich die Piraten nicht schlecht. Vielleicht bringen sie uns ja dort auf Trab, wo wir eingeschlafen sind.

Sie haben sich vor ein paar Wochen dem Reformerflügel der Partei offiziell angeschlossen. Warum?

Ich war immer flügellos, nun flattere ich auch. In erster Linie bin ich ein Linker, in zweiter Linie ein braver Parteisoldat, aber drittens bin ich nun bei den demokratischen Sozialisten. Dort habe ich gute Freunde, und ich denke ähnlich wie sie.

Warum sollte die Linke nicht mehr radikal sein?

Für den nächsten Linken-Parteitag haben Sie zusammen mit vielen prominenten Reformern an einem Leitantrag mitgeschrieben. Dort analysieren Sie, dass der Bundestagswahlkampf nicht durch eine offene Systemkrise und anwachsende Klassenkämpfe in Deutschland geprägt sein wird. Warum sollte die Linke nicht radikal sein?

Mit dem Wort radikal habe ich keine Probleme. Aber ich finde, wir sollten irdisch verankerte Vorschläge machen. Die Wähler prüfen sehr kritisch, ob etwas zumindest die Chance auf Durchsetzbarkeit hat. Die Leute dürfen nicht den Eindruck gewinnen, dass es bei der Linken nur schwärmerische Ideologen gibt, die sich eine Welt ausmalen, die es gar nicht geben kann.

Seit einigen Jahren sind Sie Abgeordneter im Europaparlament. Einer Ihrer Verbündeten ist Alexis Tsipras von der radikalen Linken in Griechenland. Macht der realitätstaugliche Politik – oder setzt er nicht gerade den Euro aufs Spiel?

Zum Euro haben mein Freund Alexis Tsipras und ich schon immer unterschiedliche Auffassungen. Er ist aber ein außerordentlich kluger Politiker, der inzwischen eine deutliche Zustimmung in der griechischen Bevölkerung genießt.

Wird das gehen: das Sparprogramm aufkündigen und in der Euro-Zone bleiben?

Ich weiß nicht, ob das geht. Ich fürchte, dass die anderen Mitglieder der Europäischen Union nicht hinnehmen werden, dass Griechenland sich als einziges Land nicht an die Vereinbarungen hält. Ich finde aber auch, dass wir die griechische Politik entschieden unterstützen und etwas mehr Geduld aufbringen müssen. Es wird viele Jahre dauern, bis Griechenland die Krise überwunden hat.

Was empfehlen Sie Tsipras?

Falls seine Partei bei der Neuwahl die stärkste Partei sein sollte, muss er die gute Verbindung zur Bevölkerung nutzen. Auf ihn wächst dann eine enorme Verantwortung zu. Meinen Rat braucht er nicht. Er ist ein großes Talent: jung, dynamisch, lernfähig und klug. Was will man mehr?

Fehlt der Linken in Deutschland ein solches Talent?

(lacht) Das sage ich jetzt nicht.

Das Interview führten Cordula Eubel und Matthias Meisner. Das Foto machte Mike Wolff.

Zur Person

Keiner stand so lange an der Spitze wie Bisky. Er führte die PDS von 1993 bis 2000 und dann – nach dem Scheitern bei der Bundestagswahl – wieder seit 2003. Er behielt das Chef-Amt dann auch nach der Fusion mit der WASG, bis 2010 in einer Doppelspitze mit Oskar Lafontaine. 2009 wurde Bisky ins Europaparlament gewählt. Zunächst führte er dort auch die Fraktion. Seit März 2012 ist er nur noch einfacher Abgeordneter. Er sei „in einem Lebensalter, in dem ich nicht mehr die Zukunft verkörpere“. Im vergangenen Jahr warnte Bisky mit Blick auf ein mögliches Lafontaine-Comeback davor, ein „Recyclingprogramm bis zur Peinlichkeit zu treiben“. Offiziell schloss sich der inzwischen 70-jährige Bisky dem Reformerflügel in diesem Frühjahr an.

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