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Politik: Lügen, Stolz und teure Brötchen

EIN JAHR EURO

Von Flora Wisdorff

In den letzten Tagen des Jahres, in dem das EuroBargeld eingeführt worden ist, hat Wim Duisenberg dann doch noch die Reue gepackt. Der Chef der Europäischen Zentralbank entschuldigte sich bei den Bürgern der Euro-Länder: dafür, dass man nicht ganz aufrichtig gewesen sei mit den Preissteigerungen nach dem Währungswechsel zu Beginn des Jahres. Wäre man ehrlicher gewesen, wären die Bürger heute zufriedener mit dem neuen Geld, sagte Duisenberg. Da hat er Recht.

Für den Chef einer Notenbank ist ein solcher Satz eine Sensation. Er sagt nichts anderes als: Tut uns leid, wir haben die Sache verpatzt. Das haben sie. Sie haben sich auf die technische Seite der Euro-Einführung konzentriert, und die hat auch ausgezeichnet geklappt. Alle in der Eurozone haben pünktlich das neue Geld bekommen. Die Umstellung lief schneller und reibungsloser als gedacht. Es gab kaum Ärger mit Fälschungen.

Für die andere Seite der Währungsumstellung aber musste das herhalten, was bei Europa-Themen immer herhalten muss, wenn die Sache unsicher ist: eine Vision. Die Vision glücklicher Europäer, die hocherfreut überall mit demselben Geld bezahlen, deren Wirtschaftsraum dynamisch zusammenwächst. Als diese Vision nicht aufging, als sie erstickte in den Diskussionen um die kleinen Preise, die ganz provinziell in den Läden um die Ecke erhöht wurden, da hatte die Europäische Zentralbank nichts zu bieten. Nichts als eine Statistik, in der dieser Fall nicht vorgesehen ist. Und so wurde aus der großen Vision eine Unterlassung, eine kleine Lüge. Duisenberg sagt: Wir kannten die ganze Wahrheit, aber wir haben sie verschwiegen – und damit den Bürgern die Laune verdorben.

An der Bereitschaft, sich auf den Euro einzulassen, hat es nicht gelegen. Begeistert standen auch die Deutschen wie Millionen andere Europäer von Lappland bis Sizilien Schlange, um mit dem Euro-Starter-Kit eine Vorstellung vom neuen Geld zu bekommen. Und spätestens im Sommerurlaub machten sie die Erfahrung, wie praktisch es ist, wenn man auf Mallorca, in Paris oder in den österreichischen Alpen mit derselben Währung bezahlen kann wie zu Hause.

Nach einem Jahr mit dem Euro-Bargeld sind laut EU-Kommission immer noch nur 28 Prozent der Deutschen mit dem Euro zufrieden. Zwar glaubt die Mehrheit, dass die Gemeinschaftswährung gut für die Wirtschaft ist. Aber die gleichen Menschen sagen, dass der Euro ihnen selbst nichts gebracht hat. Jeder weiß von einem Friseur, der deftige Zuschläge nimmt, von einem Bäcker, dessen Brötchen seit der Währungsumstellung ein Drittel mehr kosten.

Die Europäische Zentralbank und die amtliche Statistik leugneten das ein Jahr lang. Erst jetzt macht Duisenberg es richtig: Er geht auf die Stimmung im Volk ein, nimmt die Bürger ernst. Hätte er das vorher getan, hätte er wahrscheinlich vermeiden können, dass vor allem die Deutschen ihren gesammelten Missmut über die wirtschaftliche Entwicklung auf dem Euro abluden. Die Arbeitslosigkeit, die stagnierende Wirtschaft, die Unsicherheit über die Zukunft der Weltwirtschaft und die Zweifel an der Solidität der Sozialsysteme – der Euro wurde zum Sündenbock für das Unbehagen. Das peinliche Gezerre der Regierungen um den Stabilitätspakt tat ein Übriges, um die Bürger weiter zu verunsichern. Ihre schlechte Laune übertrugen sie auf den Euro, er wurde zum Teuro.

Jetzt erst, ein Jahr später, wird der Blick frei für das, was mit der Gemeinschaftswährung auch kam. Bald wird man sich kaum noch dabei ertappen, Euro in D-Mark umzurechnen, die Bürger der zwölf Euro-Länder identifizieren sich mit demselben Geld. Der Euro ist auf gutem Wege, eine stabile Währung zu werden. Seit Mitte 2002 wird er gegenüber dem Dollar stärker, zum Jahreswechsel hat er die Parität wieder überschritten. Längst ist er neben dem Dollar zu einer zweiten Welt- und Reservewährung geworden. Und wenn es die europäischen Volkswirtschaften, allen voran Deutschland und Frankreich, nun noch schaffen, diese Stärke mit einem ordentlichen Wirtschaftswachstum zu rechtfertigen, dann könnte der Euro noch zu einer echten Erfolgsstory werden. Dann werden auch die Bürger das neue Geld nicht mehr als notwendiges Übel akzeptieren – sondern irgendwann ein kleines bisschen stolz darauf sein.

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