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Politik: Lust und Frust des Föderalen

Von Bernd Ulrich Der Föderalismus ist ein Segen. Und er ist eine Pest.

Von Bernd Ulrich

Der Föderalismus ist ein Segen. Und er ist eine Pest. Wer die deutsche Erfolgsgeschichte der Nachkriegszeit schreibt, wird der Wiederherstellung der Bundesländer darin einen wichtigen Platz einräumen. Wenn aber irgendwann gefragt wird, wie es zum schleichenden Niedergang Deutschlands seit Mitte der 90er-Jahre kommen konnte, wird der Föderalismus auch dabei eine große Rolle spielen.

Es ist offenkundig, dass der Bundesrat zu einem zentralen Blockade-Instrument gegen jede tiefgehende Erneuerung geworden ist. Man darf sogar vermuten, dass, wenn der Bundesrat weniger Veto-Macht hätte, zwischen den Parteien schon längst ein Wettbewerb um Modernisierung entbrannt wäre, statt darum, wer der beste Anwalt des Nein ist.

Auch in der gegenwärtigen Pisa-Debatte zeigt sich, wie sehr die Bildungshoheit der Länder degeneriert ist. Weil es keine nationalen Standards gab, wusste man lange nicht, wie groß die Bildungsunterschiede geworden waren. Nun weiß man es. Was wird aus dem erschreckenden Gefälle zwischen Bremen und Bayern gefolgert? Dass Bremen endlich mehr Geld bekommen muss, um noch mehr in ein falsches Bildungssystem stecken zu können. Der Wettbewerb der Länder um die beste Lösung verwandelt sich zu dem Prinzip: Wer es am schlechtesten macht, dem geht es am schlechtesten, also braucht er die meiste Hilfe.

Der Bundesrat als Blockade-Parlament, die Gleichheit der Lebensverhältnisse als Prämie für Missmanagement – das sind zwei Varianten einer bedenklichen föderalen Hypertrophie. Doch an den Kern der Sache selbst rührt erst eine andere, eine dritte Entwicklung: Die Verlagerung von immer mehr Kompetenzen nach Europa hat im Verbund mit einer Ausdehnung der Länderkompetenzen dazu geführt, dass die nationale Ebene rapide an Bedeutung verliert. Der Bund wird zugleich von oben, von Brüssel und von unten, von den Ländern ausgehöhlt.

Lange Zeit wurde das sogar so gewollt. Die Nation schien nur mehr die übrig gebliebene Staatshülle des 19. Jahrhunderts, oder gar der fruchtbare Schoß, aus dem das große deutsche Elend wieder kriechen könnte. Da erschien es geradezu als Vision, dass sich die Nation, nach unten und nach oben hin auflösen würde. Nichts könnte falscher sein. Nation und Kommune sind die beiden Gehäuse unseres Lebens, mit denen sie die meisten Menschen identifizieren. Brüssel ist fern, die Länder nicht nah.

Wenn sich aber das öffentliche und das staatsbürgerliche Interesse besonders auf die Bundesebene richtet, dann muss es dramatische Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit von Politik haben, wenn dort kaum noch wirklich entschieden werden kann. Wenn inszenierte und operative Politik immer mehr auseinander fallen, untergräbt das die Demokratie mehr, als wenn ein paar heilige Kälber des Föderalismus geschlachtet werden.

Wir brauchen eine Diskussion über die Grenzen der Länderkompetenzen, darüber, wie der Bund gegenüber den Provinzen gestärkt werden kann. Für Deutschland galt nach zwei Diktaturen: Mehr Föderalismus = mehr Demokratie. Heute gilt das eher umgekehrt: Weniger Föderalismus = mehr Demokratie. Ja, dieses Land braucht die Länder. Aber in klügerer Selbstbeschränkung.

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