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Politik: Machen Sie Berlin bürgerlich, Herr Stölzl? Wie sich der designierte CDU-Landeschef die Hauptstadt der Zukunft denkt

Herr Stölzl, Ihre Domäne ist die Vergangenheit, jetzt wollen Sie als Parteivorsitzender Zukunft gestalten. Ist das eine Flucht aus Ihrer Kompetenz?

Herr Stölzl, Ihre Domäne ist die Vergangenheit, jetzt wollen Sie als Parteivorsitzender Zukunft gestalten. Ist das eine Flucht aus Ihrer Kompetenz?

Für das Protokoll: musste lachen! Wer Museen managt, lebt ja nicht in der Vergangenheit, sondern vermittelt, verhandelt, kommuniziert. Es ist im Prinzip das gleiche Geschäft mit einem anderen Inhalt, die Methode ist dieselbe: eine Idee haben und andere Leute davon überzeugen.

Mit schönen Worten oder mit einfachen?

In der Politik gibt es viele Verlockungen, sich erst einmal bedeckt zu halten, wolkig zu formulieren und erst dann präzise zu werden, wenn die Mehrheit entschieden hat. Aber das ist meine Sache nicht. Gedanken ordnen, eindeutig sprechen, keine falschen Signale aussenden – ich hoffe, dass ich mir treu bleiben kann. Das Bedeutsame kann man einfach ausdrücken, und dann kommt sogar etwas Schönes heraus. Viele große Texte der Geschichte sind einfach formuliert, schauen Sie in die Bibel: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde." Politische Rede ist Übersetzungskunst. Viele in der denkenden Klasse haben sich vom Ideal der Verständlichkeit abgekoppelt. Das ist die eine Seite. Viele Politiker haben sich vom geistigen Anspruch abgekoppelt, das ist die andere.

Mal sehen, ob wir Sie verstehen. Wie sieht die Idee aus, für die Sie Mitstreiter suchen?

Berlin war im vergangenen Jahrzehnt aus wohl bekannten Gründen wahrlich keine Schule der Fantasie. Große Koalition, Zwang zum alltäglichen Kompromiss, Pragmatismus, Pattsituation. Das ist jetzt vorbei, die vereinigte sozialistische Linke hat sich programmatisch formiert, versucht die Stadt zu regieren, wir finden: eher hilflos. Berlin ist weiterhin ein einziges Fragezeichen. Tagtägliche Opposition im Parlament ist die erste, selbstverständliche Antwort der CDU. Aber das kann nur der Anfang sein. Es geht um eine wirkliche geistige Alternative. Wir müssen die Köpfe rauchen lassen und auf die Berlin-Fragen ehrliche Antworten geben. Bisher hat die Berliner CDU vor allem das Lied gesungen: „Weißt Du, wer was wird?" In Wagners Götterdämmerung heißt es aber: „Weißt Du, wie das wird?" Für die Arbeit am „Wie?" habe ich mich engagiert. Das andere hat dagegen keine Eile.

Das allein ist ja noch keine Idee, allenfalls die Idee, eine zu suchen. Geht es etwas konkreter?

Wir brauchen eine Rückbesinnung auf die bürgerlichen Tugenden. Damit meine ich nicht: Die Krawatte eng gezogen, sauber rasiert und dann den Schulterschluss mit dem Bürgertum in den grünen Bezirken gesucht, die uns das letzte Mal in Richtung FDP verlassen haben. Dass ins bildungsbürgerliche Milieu hinein wieder Brücken gebaut werden müssen, ist klar, aber das ist nur ein kleiner Teil unseres Programms. Denn „bürgerlich" ist für mich eine Haltung, keine Steuerklasse, keine Berliner Postleitzahl, keine Frage des Rasens im Vorgarten. Die Frage ist: Wie können wir eine Bürgergesellschaft gründen, die den heiß gelaufenen, unbezahlbar und in manchen Wirkungen kontraproduktiv gewordenen Sozialstaat verbessert? Ich bin ein unbeirrbarer Anhänger der sozialen Marktwirtschaft, die eine geniale Schöpfung Ludwig Erhards und seiner Mitstreiter war. Als allgegenwärtige Transfermaschine haben es sich ihre Erfinder aber nicht gedacht.

Was ist so schlimm am Sozialstaat?

Der deutsche Sozialstaat hat Immenses geleistet bei der Linderung der Katastrophen des 20. Jahrhunderts, er hat die Bundesrepublik zur gerechtesten Gesellschaft in der deutschen Geschichte gemacht. Aber seine heutige Form gibt uns zu wenig Antworten darauf, wie wir mit der Globalisierung umgehen sollen, wie mit der alles bisher Selbstverständliche über den Haufen werfenden Altersentwicklung, wie mit der drastischen Veränderung der Arbeitswelt, wie mit der Integration der Zugewanderten, wie mit den Strukturveränderungen der großen Städte. Das Beispiel Berlin zeigt doch, wie der Staat sofort in Hilflosigkeit und Defensive gerät, wenn ihm einmal das Geld ausgeht. Die soziale Marktwirtschaft bedarf einer Überprüfung, und dabei werden wir feststellen, dass schon im Ursprungsgedanken sehr viel mehr selbstständiges bürgerliches Handeln vorgesehen war: als Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwesen, als selbstverständliche Ehrenamtlichkeit bei vielen Aufgaben, als Mut zum Risiko. Da gibt es etwas aus den Gründerjahren wiederzuentdecken.

Wodurch unterscheidet sich das, was Sie wollen, von der Position der Liberalen?

Die Liberalen haben kein C im n. Wenn es nach mir geht, gewinnt die Programmatik der Union große Dynamik, wenn sie sich noch einmal neu mit dem Menschenbild des Christentums beschäftigt. Was das Gebot der Nächstenliebe heute bedeuten kann, was die radikale Formulierung der geistigen Autonomie des Menschen heute bedeuten kann, wie wir die Rolle des Menschen in der Schöpfung definieren – Stoff genug für einen unverwechselbaren Wertekanon.

Wie wollen Sie denn erreichen, dass sich die Leute mehr selbst für ihre Belange einsetzen?

Schauen wir uns doch einfach auf der Welt nach gelungenen Modellen um. In den Niederlanden sind siebzig Prozent der Schulen in privater Trägerschaft. Das führt zu einem viel größeren Verantwortungsgefühl der Eltern und der Schüler mit ihrer Schule. Berliner Schulen bleiben unrenoviert, weil der Staat zentralistisch denkt und zentralistisch spart. In Holland nehmen Schüler und Eltern die Pinsel selber in die Hand.

Vorbild Holland – das klingt in diesen Tagen etwas seltsam.

Wir alle haben doch sehr aufmerksam hinübergeschaut. Das Zusammenwachsen von Menschen völlig unterschiedlicher kultureller und damit auch ethischer Fasson fördert man nicht, indem man unangenehme Wahrnehmungen tabuisiert. Das ist die Lehre aus dem niederländischen Beispiel. Der Berliner „Karneval der Kulturen" ist schön, aber er ersetzt nicht eine selbstkritische Bilanz der Integrations- oder Desintegrationsprozesse unserer Großstädte.

Sie wollen die Berliner CDU zu einer anderen Partei machen?

Zu einer anderen sicher nicht, aber hoffentlich zu einer lebendigeren. An den Grundwerten der Union gibt es überhaupt nichts zu verbessern, da hat die Union im Gegensatz zu ihren Konkurrenten immer langfristig die richtigen Entscheidungen getroffen: Westbindung der Deutschen, europäische Einigung, atlantische Freundschaft mit den USA, unverbrüchliche Solidarität mit dem Staat Israel, Festhalten an der gemeinsamen deutschen Nation. Umso wichtiger ist es, die Aussagen im Detail, an den Rändern sehr präzise zu machen, um den Bürgern die Unterschiede in der Sache, nicht nur in den Personen klarzumachen.

Und wenn die Berliner CDU dann irgendwann wieder regieren darf, schleifen sich die scharfen Ränder ganz schnell an der ärgerlichen Wirklichkeit ab.

Kommt Zeit, kommt Bewährung. Nur: Wenn man die Oppositionszeit nicht dafür genutzt hat, auf das weiße Programmpapier hinzuschreiben, wie man denn die Stadt gestalten würde, wenn man 50 plus x Wählerstimmen bekommen hat, dann wäre ja die von der Verfassung gewünschte Rolle der Opposition, eine täglich ministrable Alternative zu sein, völlig überflüssig. Die CDU wird ein mutiges, realistisches und trotzdem die Berliner zur Hoffnung verlockendes Bild von unserer Stadt entwerfen – im Gegensatz zu dem defensiven Weiterwursteln der gegenwärtigen Regierung.

Wie sieht denn zum Beispiel Ihre Schulpolitik, ganz neu gedacht, aus?

Ich habe keine Pisa-Studie gebraucht, um zur Erkenntnis zu gelangen, dass in unseren Schulen nicht für die Welt ausgebildet wird, in der unsere Kinder leben und sich bewähren müssen. Die Erfahrungen mit den eigenen Kindern und deren Berufswegen waren lehrreich genug. Der Befund an vielen deutschen Schulen, nicht nur in Berlin ist: Es gibt viel zu wenig Grundkanon, zu dem für mich auch der obligatorische Religionsunterricht gehört, weil er unsere Kinder in die Eckwerte unserer gemeinsamen abendländischen Zivilisation einführt. Wer nicht weiß, wo er herkommt, wird in einer globalisierten Welt Schiffbruch erleiden. Es ist doch geradezu skurril, dass für viel Geld immer wieder Programme gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus aufgelegt werden, aber es auf der anderen Seite keinen staatlich verordneten, wissenschaftlich fundierten Religionsunterricht gibt, bei dem jede neue Generation die Geschichte des Volkes Gottes erfährt. Von Berlin ist in preußischen Zeiten eine weltweit vorbildliche Bildungsreform ausgegangen. In der Zeit der Niederlage gegen Napoleon hat man bewusst beim Punkt Null angefangen. Warum nehmen wir nicht die Globalisierung als Punkt Null und schreiben unsere Lehrpläne völlig neu?

Schule ist Ländersache, Kultur auch. War es gut, dass der Bundeskanzler trotz des Widerstandes aus manchen Ländern zum ersten Mal einen Kulturstaatsminister ernannt hat?

Lassen Sie mich mit einer Anekdote antworten. In den späten 80er Jahren habe ich einmal in der Bonner U-Bahn Sieghardt von Köckritz getroffen, den Kulturchef des Bundesinnenministeriums über ein Vierteljahrhundert. Den habe ich so begrüßt: Guten Tag, Herr Kulturminister! Da macht er: „Pssst! Sagen Sie das bloß nicht weiter, wenn sich das herumspricht, können wir überhaupt nichts mehr machen.“ Und der hat viel bewegt zu Zeiten, als es eine Kulturpolitik des Bundes offiziell gar nicht geben durfte. Die Köckritz-Abteilung ist heute das Amt des Kulturstaatsministers. Es heißt, dieser sorge für Glanz. Mir als früherem Kulturverantwortlichen wäre viel wichtiger, dass die Verantwortlichen, wie immer das Amt heißt, mehr Geld für Kultur mobilisieren. Wenn das auf Büro-Nachbarschaft mit dem Kanzler besser gelingt als von einer unsichtbaren Ministerialstelle aus, bitteschön.

Wie würden Sie, wenn Sie dürften, über den preußischen Kulturbesitz verhandeln?

Die wichtigste Frage ist doch: Welche Rolle hat die Hauptstadt im föderalen Staat. Die Antwort: Berlin gehört nicht den Berlinern, Berlin gehört allen deutschen Ländern, und der preußische Kulturbesitz gehört der Nation, so einfach ist das. Deswegen muss man nicht nur mit dem Bund sprechen, sondern mit allen Ländern. Die Bayern sagen, sie zahlen ja auch für das Erbe Wittelsbach. Aber die Bayern haben ja das frühere wittelsbachische Territorium. Preußen ist weg seit der deutschen Katastrophe, verschuldet von der ganzen Nation. Deswegen sind auch alle zuständig. Das Schloss, die Kuppel auf dem Reichstag, das Holocaust-Mahnmal, das Brandenburger Tor, das alles geht Rostock und Rosenheim genauso an wie die Berliner.

Wenn wir Sie richtig verstehen, möchten Sie, dass sich die Länder und der Bund in Berlin mehr engagieren, vor allem finanziell. Warum sollten Sie das tun?

Weil eine erfolgreiche Hauptstadt der Wurfanker ist für die Zukunft des Landes. Davon haben alle etwas. Was in Berlin gelingt, gelingt für alle Deutschen. Eine erfolgreiche Hauptstadt schadet niemandem, macht alle stolz. Den Ländern ist in der gewählten Hauptstadt eine Schatzkammer der Tradition und ein Zukunftslabor zugefallen, die beide entrümpelt, aber auch ausgebaut und aufpoliert werden müssen. Daran sollten sich die Länder nach Kräften beteiligen, und deswegen müssen sie auch ein Mitspracherecht bekommen. Die Münchner sollen München lieben, die Stuttgarter treue Stuttgarter sein, die Dresdner und Hamburger sollen keinen Millimeter von ihrer Heimatflagge einrollen. Aber sie sollen auch sagen: Da im Nordosten ist noch eine Schicksals-Liebe, die hat genauso ihren Platz in meinem Herzen.

Sie wollen Berlin an die Länder verschenken?

Die Bibel sagt: Wirf Dein Brot auf das Wasser, und es kommt tausendfältig zurück.

Mit Christoph Stölzl sprachen Heik Afheldt und Lorenz Maroldt.

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