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Demonstration gegen gegen Rechts und den Vorkommnissen in Thüringen in Berlin.

© Paul Zinken/dpa

Macht, die zivilisiert: Deutschland darf nicht zur gelenkten Demokratie werden

Alles, was sich rechts von Merkel befindet, zu Nazis zu erklären, ist idiotisch. Opposition darf bis zu einer gewissen Grenze radikal sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Martenstein

Das, was viele „Faschismus“ nennen, hat nach dem Krieg in Deutschland übrigens schon mal regiert, in einer Koalition mit der SPD.

Franz-Josef Strauß, als Finanzminister ein Kollege von Willy Brandt, dachte und redete ja ganz ähnlich wie heute manche in der AfD, in der DDR war er Staatsgast. Zitat: „Ich bin ein Deutschnationaler und fordere bedingungslosen Gehorsam.“

Dieses Wählersegment hat Angela Merkel aus der Union verscheucht.

Nein, Strauß war nicht wirklich ein Nazi, eher ein Viktor Orban. Wohin ist eigentlich das politische Grundwissen über Adolf Hitler verschwunden?

Ich habe gegen Strauß demonstriert, aber mir war klar, dass es in jeder Demokratie „rechts“ und „links“ gibt, sonst wäre sie nämlich keine Demokratie mehr. Parteien am Rand des demokratischen Spektrums apern immer in die Extreme aus, das war einst bei der CDU und ist auch bei der Linken der Fall, wo einige den Diktator Maduro bis heute hochleben lassen.

Richtungswechsel erwünscht

Millionen Wähler von Union und SPD sind abgewandert, aber nicht aus Sehnsucht nach einem neuen Hitler. Sie fühlen sich mit ihren Sorgen im Stich gelassen und wollen einen Richtungswechsel, das ist legitim. Ein Land, in dem es nur linke oder Mitte-links-Regierungen geben darf, wäre eine gelenkte Demokratie, wie in Russland. Das dürfte nur mit polizeistaatlichen Mitteln durchzusetzen sein.

Soll man ein Viertel der ostdeutschen Wähler unter Quarantäne stellen wie Coronakranke? Das wird die Wut nur steigern. Man müsste versuchen, sie zurückzugewinnen, etwa mit einer Migrationspolitik, wie Frankreich und Österreich sie vorführen. Dessen Kanzler Kurz wurde von Jusos als „Baby-Hitler“ beschimpft, jetzt koaliert Baby-Hitler mit den Grünen. So viel zur Präzision des Faschismusbegriffs der deutschen Linken.

Opposition ist natürlich legitim

Auch ich bin der Ansicht, dass jemand wie Björn Höcke, der tatsächlich redet wie ein Nazi, mehr als Strauß, nicht in die Nähe der Macht kommen darf. So wenig wie die kommunistische Plattform. Was in Thüringen vorgeführt wurde, war idiotisch. Es ist aber auch idiotisch, alles, was sich rechts von Angela Merkel befindet, zu Nazis zu erklären.

Da ist Platz für eine demokratische Partei, es gibt solche Parteien in allen freien Staaten. Opposition ist legitim, muss man das wirklich erwähnen? Sie darf, bis zu einer gewissen Grenze, auch radikal sein. Rudi Dutschke, ein Vater der Grünen, stand 1974 am Grab des Terroristen Holger Meins, ballte die Faust und rief: „Holger, der Kampf geht weiter!“ Das war jenseits der Grenze.

Heute stehen für die Grünen Politiker wie Winfried Kretschmann, für die Nachfolgepartei der SED ein maßvoller Mann wie Bodo Ramelow. Die Nähe zur Macht hat auf Parteien oft zivilisierende Wirkung, maßlose Ausgrenzung radikalisiert sie.

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