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Politik: Macht Rasenmähen Spaß, Herr Koch?

Hessens Ministerpräsident über das Kürzen von Subventionen – und warum er mit einem raschen Regierungswechsel rechnet

Herr Koch, wie ist der Händedruck des mächtigsten Mannes der Welt?

Fest und klar.

Sie waren ein bisschen überrascht, wer da plötzlich zu Ihrem Gespräch mit dem USVizepräsidenten Cheney kam?

Das „bisschen“ können Sie streichen. Ich war schon froh, mit Cheney zu sprechen, was für einen bundespolitischen Oppositionspolitiker aus der deutschen Provinz schließlich nicht selbstverständlich ist…

…und profitierten dann plötzlich davon, dass die deutsch-amerikanischen Beziehungen derzeit so schlecht sind.

Ob der amerikanische Präsident mich nun kennen lernen wollte oder nicht – ich habe von der aktuellen Situation sicher insofern profitiert, weil er so die Möglichkeit hatte, zu signalisieren: Ich bin prinzipiell an Deutschland interessiert und mit Deutschen gesprächsbereit, aber nicht immer mit jedem.

Und was hält Bush inzwischen von den deutsch-amerikanischen Beziehungen?

Ich bin sicher, er hat überhaupt keinen Zweifel, dass Europa der vorrangige Partner für die USA in der Welt bleibt. Mit Europa, auch mit Deutschland, vereint sie die Geschichte und ein politischer Wertekanon. Aber die Amerikaner sind sehr verunsichert; die Bevölkerung wie die Führung fragen sich, ob die Gegnerschaft gegen den Krieg nicht eine gegen Amerika ist.

Verunsicherung gab es ja auch bei uns, selbst in der Union. Haben Sie das erklären können?

Er hat sehr genau zugehört, ich habe ihm die Stimmungslage in unserem Land sehr differenziert geschildert. Wir sollten aber umgekehrt auch zuhören, etwa dem Argument, das man in Amerika derzeit überall hört: Ist es denn egal für das moralische Urteil über den Krieg, wenn man beweisen kann, dass er heute wirklich nur den Diktator trifft, nicht mehr die Infrastruktur, nahezu nicht mehr die Zivilbevölkerung. Was der Kanzler noch in seiner Fernsehansprache an Horrormärchen an die Wand gemalt hat, ist nicht passiert. Ich glaube, da muss auf beiden Seiten des Atlantiks besser zugehört werden. Präsident Bush, scheint mir, ist durchaus bereit, diese Diskussion lebhaft zu führen.

Weniger Opfer als befürchtet, schnelles Ende, ist also der nächste Krieg nach diesem auch in der Union leichter zu akzeptieren?

Nein. Die Union ist keine Ansammlung von Pazifisten, sie weiß, dass Armeen nötig sind. Die Erfahrung dieses Krieges wird aber die Entscheidung nicht leichter machen, wenn eine solche Frage erneut an Deutschland gestellt werden sollte.

Zur Innenpolitik. Die Union hat immer angekündigt, keine Blockadestrategie zu fahren. Jetzt drohen Sie doch mit der Blockade im Bundesrat, wenn die Bundesregierung die Positivliste für Arzneimittel gegen Ihren Willen durchsetzt. Haben Sie Ihre Strategie geändert?

Nein. Wir haben immer gesagt, dass wir verhandeln wollen. Aber wir reden nicht über kleine Ausschnitte, die die Regierung sich zurechtschneidet. Wir wollen über einen Politikbereich wie die Gesundheit im Ganzen verhandeln. Das haben wir im vergangenen Jahr auch schon bei den Hartz-Reformen am Arbeitsmarkt gemacht und waren zu vernünftigen Kompromissen bereit. Auch bei der Körperschaftssteuer haben wir etwas zustande gebracht. Aber die Bundesregierung kann ihre Gesundheitsreform meinetwegen noch so sehr in einzelne Teile aufspalten, die zustimmungsfrei oder zustimmungspflichtig sind. Dann wird es ein Patt geben. Wir reden nur über ein Gesamtpaket. Das ist doch selbstverständlich.

Was würden Sie denn machen, um das Gesundheitswesen finanziell in den Griff zu bekommen?

Eine Selbstbeteiligung ist unverzichtbar. Und zwar eine, die nach oben gedeckelt ist, damit sie für alle sozialen Gruppen erträglich ist. Ich halte eine Größenordnung von 120 Euro im Jahr für sinnvoll. Dadurch ließen sich im Gegenzug die Beiträge senken. Es ist doch intellektueller Unsinn, dass jeder Selbstbehalt eine Strafe ist.

Sie haben gemeinsam mit den anderen unionsgeführten Bundesländern die Positivliste abgelehnt. Was ist daran verkehrt, den Medikamentenmarkt etwas durchsichtiger zu machen?

Die Positivliste vernichtet eine gut florierende und zukunftsfähige Industrie in Deutschland. Sie treibt vor allem unsere forschenden Arzneimittelhersteller ins Ausland und schränkt die medizinische Versorgung für die Patienten ein, die gesetzlich krankenversichert sind. Die werden dann nämlich viele Medikamente nicht mehr von ihrer Krankenkasse erstattet bekommen.

In vielen anderen europäischen Ländern gibt es bereits Positivlisten. Da existieren doch auch noch Pharmakonzerne.

Im europäischen Vergleich sind wir aber bevorzugt. Wir haben eine bessere und erfolgreichere Pharmaindustrie. Wir profitieren auch davon, dass patentgeschützte Medikamente bei der Einführung ein wenig teurer sind als in anderen europäischen Ländern.

Die Konzerne profitieren, nicht die Patienten.

Quatsch. Es geht dem Land in der Welt am besten, in dem die Unternehmen die größten Profite machen. Das ist doch nichts Schlimmes. Deren Verteilung steht dann auf einem ganz anderen Blatt, sie müssen selbstverständlich auch den Arbeitnehmern zugute kommen. Wir brauchen hohe Gewinne. Womit wollen wir in Deutschland denn noch Geld verdienen, wenn nicht mit Branchen wie der Pharmaindustrie? Wenn wir die Positivliste einführen, vernichten wir Tausende von Arbeitsplätzen.

Macht es denn aus Ihrer Sicht Sinn, ein Medikament zu bewerten danach, ob es wirksam ist und einen zusätzlichen Nutzen gegenüber schon vorhandenen Präparaten hat, die vielleicht günstiger sind?

Ja, aber nicht durch eine staatliche Zwangsorganisation, wie Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sie fordert. Es spricht doch zum Beispiel nichts gegen eine „Stiftung Warentest“ für die Medizin. Es müsste aber ein unabhängiges Institut sein, das gemeinsam mit der deutschen Ärzteschaft aufgebaut wird.

Von der Rettung des Sozialsystems zur Rettung der öffentlichen Haushalte. Sie haben mit Ihrem Düsseldorfer SPD-Kollegen Peer Steinbrück ein größeres Projekt, den Subventionsabbau. Da haben Sie einen alten Begriff wieder belebt, die „Rasenmähermethode“.

Ich habe mit dem Bild kein Problem.

Es ist aber vielleicht ein bisschen schief. Rasenmäher heißt: Alle Subventionen werden gleichermaßen gekürzt. Nun haben Sie eine Arbeitsgruppe dafür eingesetzt. Braucht man zum Mähen eine Denkfabrik?

Subvention, das wissen wir doch alle, ist ein sehr allgemeiner Begriff. Alle Finanzzuweisungen um drei Prozent kürzen, das klingt einfach. In der Praxis müssen Sie herausbekommen, ob man zum Beispiel die Finanzzuweisung Nahverkehr ohne Grundgesetzänderung überhaupt kürzen kann und ob es klug ist, das auf jährlich drei Prozent festzuschreiben. Dann gibt es die Steuersubventionen. Also: Wir wollen gleichmäßig stutzen, das ist klar. Aber wie wir das machen und damit von dieser „Man-müsste-mal“-Politik wegkommen, muss die Arbeitsgruppe klären. Da werden Beamte extrem viel arbeiten müssen, um unsere relativ einfachen Sätze in etwa 300 bis 400 deutsche Gesetze zu schleusen.

Und Sie haben keine Sorge, dass dabei das Rasenstück immer kleiner wird, das noch gemäht werden kann?

Das ist eine Gefahr, nur ist sie glücklicherweise offensichtlich. Alle Beteiligten wissen, dass sie nicht in diese Falle gehen dürfen. Und auch wenn wir uns gemeinsam nur auf ein paar Flecken Rasen einigen, ist es immer noch besser zu mähen als nicht zu mähen.

Aber mit einer Einigung rechnen Sie?

Das wird noch ein Stück Arbeit werden. Aber selbst wenn wir uns nicht einigen würden, bliebe eine praktische Handlungsanleitung, wie man Subventionen kürzen kann. Das wird der Mindestertrag des Projekts Steinbrück/Koch sein. Aber ich sehe von Glos bis Gabriel und von Gerhardt bis Kuhn immer mehr Zustimmung für unser Prinzip. Und es spricht viel dafür, dass diese unter dem dramatischen Druck schlimmer Haushaltszahlen weiter wachsen wird.

Es gibt auch eine Methode Merkel.

Beim Rasenmähen?

Sie sagte kürzlich, dass man das Gras ja nicht überall gleich stark kürzen müsse.

Ich glaube, das ist nicht die Aufgabe Steinbrück/Koch. Es dreht sich ja nicht alles um uns. Wir wollen den Subventionsabbau handhabbar machen. Da wird am Ende sicher der eine oder andere auch rufen: „Achtung, da dürft ihr nicht schneiden, da ist gar kein Rasen!“ Sie müssen nur das Gutachten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft lesen, eine Grundlage unserer Arbeit: Da ist der Sparerfreibetrag keine Subvention, weil es den Sparern so schlecht geht. Forschungsförderung ist auch keine, weil Deutschland von der Forschung leben muss.

Wir misstrauen dem Rasenmäher als politischem Instrument immer mehr!

Zu Unrecht.

Warum?

Normalerweise verläuft die Debatte immer nach dem Prinzip: Diese Subvention ist falsch, sie muss abgeschafft werden. Dann redet man nicht mehr über das Kürzen, sondern über die Subvention selbst. Wenn wir alles gleichermaßen kürzen, können wir sagen: Lass uns übers Sparen reden, nicht über Sinn und Unsinn der Subvention. Der Subventionszweck wird ja, vielleicht mit Ächzen und Stöhnen, aber doch erreicht; drei Prozent Kürzung im ersten Jahr sind nun wirklich nicht das Ende. Ob es gelingt, weiß ich nicht. Es ist ein interessanter Versuch.

Interessant auch, um festzustellen, was zwischen den politischen Lagern möglich ist. Wenn es an die Umsetzung Ihrer Vorschläge geht, hätten wir dann eine Art große Kooperation?

An den prinzipiellen Dingen ändert sich nichts: Wir wollen, dass diese Regierung so schnell wie möglich abgewählt wird, aber wir werden, da das ja durchaus bis zu dreieinviertel Jahren dauern kann, nicht zu allem nein sagen, was sie vorschlägt. Aber wir werden nicht den Eindruck erwecken, wir wollten die große Koalition. Wir wollen nicht mit der SPD regieren, dazu sind die Unterschiede zu groß. Was man schon an der Diskussion über Schröders Mini-Reform jeden Tag im „Tagesspiegel“ besichtigen kann.

Also?

Das Beste für die deutsche Politik wäre, wenn der Bundestag sich im Herbst auflöste, Neuwahlen stattfänden und die Union die Regierung übernähme.

Flachsen Sie?

Ich pflege ab und an zu flachsen, aber über solche Dinge sicher nicht.

Fragen wir anders: Ist das ein realistisches Szenario oder nur der Wachtraum des Oppositionspolitikers?

Jeder Oppositionsführer wünscht so etwas. Aber wichtiger ist: Vor einem Jahr hätte ich es für unrealistisch gehalten, dass die rot-grüne Kolition zerfällt. Das meine ich im Grunde immer noch, aber ich bin nicht mehr sicher, ob die SPD durchhält. Da liegt die Sollbruchstelle. Der Kanzler hat in der Wirtschaftspolitik versucht, die Bevölkerung einerseits glauben zu machen, er tue was, und der SPD andererseits zugleich zu sagen: So viel ist es ja nicht. Das hat nicht funktioniert, er hat mit großem Kraftaufwand ein minimales Ergebnis bekommen. Die Reform reicht hinten und vorn nicht; wir werden im Herbst in eine Krise geraten wie sie noch nie da war, Schröder wird morgens, mittags und abends gefragt werden: Wann machst Du es endlich richtig? Ich glaube, für eine Antwort wird er nicht mehr die Kraft haben.

Wir denken wieder an Koch in Washington. Was, wenn bei Ihnen die Tür aufgeht und Gerhard Schröder Ihnen die Hand gibt?

Ich wüsste nicht, in welchem Zimmer ich wäre, um ihn zu empfangen. Das ist ein Risiko, das Angela Merkel viel häufiger treffen kann als mich.

Mit Roland Koch sprachen Robert Birnbaum, Andrea Dernbach und Cordula Eubel. Die Fotos machte Mike Wolff.

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