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Bis Dienstagnachmittag soll er zurücktreten, so lautet das Ultimatum der Demonstranten an Mohammed Mursi.

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Update

Machtkampf in Ägypten: Armee stellt Mursi ein Ultimatum

Die Menschen in Kairo demonstrieren weiter und fordern den Abtritt Mursis bis Dienstagnachmittag. Sein Kabinett zeigt erste Auflösungserscheinungen und auch die Armee droht dem Präsidenten mit der Machtübernahme.

Einen Tag nach den größten Demonstrationen seit dem Volksaufstand gegen Hosni Mubarak hat Ägyptens Armeeführung in einer dramatischen Wende den Politikern des islamistischen und liberalen Lagers ein 48-Stunden-Ultimatum gestellt, die Forderungen des Volkes zu erfüllen und „den historischen Umständen gerecht zu werden“. Anderenfalls werde das Militär einen eigenen „Fahrplan für die Zukunft“ vorlegen und durchsetzen. Die Massenproteste am Sonntag seien ein „beispielloser Ausdruck des Volkswillens“, hieß es weiter in der Erklärung von Oberbefehlshaber General Abdel Fattah al-Sissi, die am späten Nachmittag im Staatsfernsehen verlesen und von den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz mit begeistertem Jubel begrüßt wurde. Anschließend ließ die Militärführung eine Stunde lang fünf Hubschrauber mit untergehängten ägyptischen Nationalflaggen über den Tahrir-Platz und der Innenstadt kreisen. Präsident Mohammed Mursi, der bisher einen Rücktritt kategorisch ablehnt, rief für den Abend das Politbüro der Muslimbruderschaft zusammen, um den Vorstoß des Militärs zu beraten. In seiner Regierung zeigten sich derweil am Montag erste Auflösungserscheinungen. Fünf Kabinettsmitglieder, die Minister für Tourismus, Umwelt, Kommunikation, Justiz und Öl, reichten ihren Rücktritt ein.

Die Opposition setzte Mursi ein Ultimatum

In der Nacht zuvor hatte ein Mob von etwa 150 Angreifern das vierstöckige Hauptquartier der Muslimbruderschaft im Kairoer Stadtteil Moqattam gestürmt und geplündert, ohne dass die Polizei vor Ort einschritt. Auf Videos vom Inneren des Gebäudes ist zertrümmertes Mobiliar zu sehen, herausgerissene Klimaanlagen baumelten von den Wänden, Räume sind durch Brände verkohlt. Triumphierend hielten junge Schläger ihre Beute aus den Büros Muslimbruderführung in die Kameras, schleppten Stühle, Teppiche, Fernseher, Dokumente und Mursi-Portraits davon.

Die Oppositionsbewegung „Tamarod“ setzte dem Staatschef am Montag ebenfalls ein Ultimatum: Entweder Mohammed Mursi trete bis Dienstag 17 Uhr zurück oder man werde mit einer Kampagne des zivilen Ungehorsams die gesamte Nation lahmlegen. Auch am Abend versammelten sich wieder Hundertausende Demonstranten auf dem Tahrir-Platz und vor dem Präsidentenpalast in Heliopolis. Mursis islamistische Anhänger dagegen igelten sich im Stadtteil Nasr City rund um die Rabaa Al-Adawiya Moschee ein und ließen mit Stöcken, Helmen und Panzerwesten bewaffnete Milizen patrouillieren. „Das Militär hat die legitime Wahl Mursis geopfert – das bedeutet Bürgerkrieg“, erklärte einer der Teilnehmer. Nach einer ersten Bilanz des ägyptischen Gesundheitsministeriums kamen bisher landesweit 16 Menschen ums Leben und wurden 780 verletzt. Auf dem Tahrir-Platz zählten Aktivisten insgesamt 46 sexuelle Übergriffe gegen Frauen.

Schon in der vergangenen Woche gab es Drohungen der ägyptischen Armee

Armeechef General el-Sissi hatte bereits letzte Woche unverblümt mit einer Machtübernahme durch das Militär gedroht, sollte die Gewalt im Land außer Kontrolle geraten und die politisch Verantwortlichen die Lage nicht durch wirkliche Kompromisse entschärfen. „Letzte Woche gab es keinerlei Gesten und Handlungen in diese Richtung“, hieß es nun in dem Text des Ultimatums. Werde jetzt weiter Zeit vergeudet, gebe es nur noch mehr Zerrüttung. Auch unter den Demonstranten befürworten viele ein neuerliches Militärregime bis zur Wahl eines Nachfolgers von Mohammed Mursi. Die Website „Al-Ahram Online“ berichtete, die Soldaten seien angewiesen worden, den Willen des Volkes zu schützen, falls die politischen Kräfte zu keinem Konsens kämen. Einer der drei führenden Oppositionspolitiker, Ex-Präsidentschaftskandidat Hamdeen Sabbahi, forderte die Generäle auf, einzuschreiten, falls Mursi sein Amt nicht freiwillig aufgeben wolle.

Der bedrängte Präsident dagegen reagierte gereizt und ließ in der Nacht zu Montag durch seinen Sprecher erneut bekräftigen, er unterschätze nicht das Ausmaß der Proteste, werde aber nicht zurücktreten. Auch benötige er keine Mittlerdienste der Generäle bei möglichen Verhandlungen mit der Opposition. Kritik übte sein Sprecher auch an der „Einmischung westlicher Staaten“ in die inneren Angelegenheiten Ägyptens, eine Bemerkung, die direkt auf Barack Obama zielte. Der US-Präsident hatte am Wochenende Ägyptens Bevölkerung beschworen, ihre internen Konflikte nicht mit Gewalt zu lösen. „Wir würden uns wünschen, wenn die Opposition und Präsident Mursi sich auf einen konstruktiveren Dialog verständigen könnten“, sagte er. Das gegenwärtige Patt diene niemandem.

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