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Horst Seehofer will demnächst in Klausur gehen – allein.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Machtkampf in der CSU: Seehofers Seiltanz

Er muss jetzt dauernd in Berlin sein – zu Hause in Bayern sind seine Gegner ungestört. Bei der Jamaika-Sondierung weiß daher niemand, wie viel Horst Seehofers Wort noch wert ist.

Von Robert Birnbaum

Er kommt jetzt öfter leger daher. Horst Seehofer, wie man ihn kennt, ist ein Herr mit Schlips. Aber wenn er dieser Tage vor der Parlamentarischen Gesellschaft gemessenen Schritts auf die Kameras zugeht, dann steht der Hemdkragen über dem Pullunder schon mal offen. Dabei betreibt Seehofer eigentlich keine systematische Symbolpolitik mit dem Kleiderschrank wie Angela Merkel in ihren farbenfrohen Kostümjacken. Männer in leitender Position haben ja eh nur die Auswahl zwischen schwarz, braun und dunkelblau. Aber der lockere Angang signalisiert, gewollt oder ungewollt, etwas von der Souveränität des Silberrückens.

Er ist jetzt 68 Jahre alt, erzählt der offene Kragen, seit einem halben Jahrhundert in der Politik, dies ist seine achte Koalitionsverhandlung – er hat’s nicht mehr nötig, noch jemandem was vorzumachen. Und wenn die Junge Union glaubt, ihm ein Scherbengericht bereiten zu sollen, dann fährt er nicht hin. Sieht so also das Ende aus?

Zumindest lässt sich sagen: Die Lage ist heikel, die der CSU im Allgemeinen und des Vorsitzenden im Besonderen. Angefangen hat alles an dem schicksalhaften 4. September 2015, als Angela Merkel beschlossen hatte, die Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland zu holen und das mit allen besprochen hatte außer mit Seehofer. Dass die Kanzlerin damals nicht die Polizei in Seehofers Ferienhaus schickte, um den CSU-Chef ans Telefon zu kriegen, halten manche in der Union für ihren schwersten taktischen Fehler überhaupt. Er legte die Basis für den bitteren Parteischwesternstreit; das Wahlergebnis vom 24. September war eine Spätfolge. Dass dieses Wahlergebnis womöglich nicht Merkels Schicksal besiegelt, sondern das ihres lange Zeit härtesten Widersachers, darf als spezielle Ironie der Zeitgeschichte gelten.

„Die Lage ist mehr als ernst“, sagt Markus Söder. Seehofers härtester Widersacher steht am Sonntag auf dem Rednerpult der Jungen Union in Erlangen. Er muss gar nicht so viel mehr sagen, aber Söder wäre nicht Söder, wenn er’s nicht doch täte. „Wir hatten keinen Verlust an Ideen, wir hatten einen Verlust an Glaubwürdigkeit“, doziert der Landesminister. Für die CSU aber müsse gelten: „Ein Mann, ein Wort!“ Das war die Kurzform einer gängigen Analyse des bayerischen Spezialdesasters bei der Bundestagswahl. Die Langfassung heißt: Die CSU hat noch übler verloren als die CDU, weil die Merkel-Freunde unter den Wählern Seehofer seinen Feldzug gegen die Kanzlerin übel nahmen, die Merkel-Gegner den Friedensschluss und keiner von beiden Seehofer seinen Obergrenzen-Schwur geglaubt hat.

Der Jungen Union sagte er ab

Söder hat nach diesen Sätzen erst den rauschenden Beifall mitgenommen und ist danach am Hallenausgang in eine Gruppe hineingelaufen, die – welch ein Zufall – lauter Schilder bei sich hatte mit Aufschriften wie „Söder – unsere Nummer 1“ und „MP Söder“ und „Aufbruch jetzt“. Das Foto der Jungrebellen mit ihrem Helden schmückte die Zeitungsartikel über den Beschluss des Parteinachwuchses, man erwarte für 2018 von Seehofer einen „geordneten Übergang“.

Seehofer war für den Tag davor nach Erlangen eingeladen. Er hatte abgesagt, wegen, wie er die Jugend wissen ließ, Unentbehrlichkeit bei den „historisch bedeutsamen“ Jamaika-Verhandlungen. Tatsächlich hat er Samstag bis Nachmittags um zwei mit Merkel und den anderen Unionsverhandlern in Berlin im Konrad-Adenauer-Haus gesessen. Aber vor allem, sagt einer von Seehofers Anhängern, was hätte er denn in Erlangen machen sollen? „Da war nichts zu gewinnen.“ Immerhin reichte die Zeit für Interviews gegen ein, so ein empörter Seehofer, „ununterbrochenes Trommelfeuer“. Und das, obwohl der CSU-Vorstand einstimmig beschlossen habe, Personaldebatten während der Sondierungsgespräche zu unterlassen. Dagegen zu verstoßen sei „schädlich“, warnte der CSU-Chef, es schwäche die Position der CSU. Im Übrigen werde er nach den Sondierungen ein, zwei Tage mit sich selbst in Klausur gehen und dann „klar und deutlich“ sagen, wie es weitergehen solle.

Wieder eine Frist. Seit dem Wahlabend mit seinen 38,8 Prozent hangelt sich Seehofer von Frist zu Frist, manche sagen: Galgenfrist. Erst noch Jamaika verhandeln. Erst noch den Parteitag im Dezember abwarten, bei dem die Wahl zum Vorsitzenden ansteht. Erst noch ...

Revolte der Jungen

Die Zeitspannen werden immer kürzer. Derweil tröpfeln von daheim die Misstrauenserklärungen ein, hier ein Ortsverband, dort ein Bezirksvorstand oder auch mal nur ein halber. Die Revolte der Jungunionisten ist formal die erste einer bayernweiten Organisation. Das wäre an sich nicht besonders bedrohlich; die Jungspunde sind als stürmisch und als Söder-nah bekannt. „Die spielen Provinzpartei“, sagt abschätzig ein Seehoferianer, wohingegen der Parteichef jetzt in größerer Verantwortung darauf achten müsse, dass in Berlin nichts anbrennt. „Wir können nichts mitmachen, was tödlich wäre für die Landtagswahl 2018“, sagt der Mann, „aber wir könnten das auch nicht scheitern lassen an etwas, was schädlich wäre.“ Ein Drahtseilakt.

Dumm nur, um im Bild zu bleiben, dass der Mann auf dem Seil nicht gleichzeitig dort sein kann, wo dieses Seil verankert ist. Schon vor Tagen hat einer seiner Unterhändler sorgenvoll daran erinnert, dass im Moment fast die gesamte CSU-Spitze dauernd in Berlin sein muss, der Joachim Herrmann, der Fraktionschef Thomas Kreuzer, die Landtagspräsidentin Barbara Stamm und so weiter – also fast keiner mehr in München. Der Söder, sagt der Mann, hat freies Spielfeld. In der Landtagsfraktion, in der sie dieses Berlin sowieso für einen Hort der Kompromissler und Weicheier halten, dürften die Zeitungsberichte über die ersten Jamaika-Wochen auch nicht direkt für Begeisterung gesorgt haben. Die Rabiatsprüche von CSU-General Andreas Scheuer und Ex-General Alexander Dobrindt dienten auch dem Zweck, dieses besondere Publikum bei Laune zu halten.

Die Sprüche haben nur den unerfreulichen Nebeneffekt, dass sich in Berlin die anderen fragen, wie politikfähig die CSU und ihr Vorsitzender noch sind. In den Gesprächen selbst, da stimmen alle Berichte überein, gibt Seehofer für Zweifel keinen Anlass. Der Mann sei ruhig und angenehm und thematisch klar, erzählen Grüne wie Freidemokraten und Christdemokraten. Gelegentlich bringt er allzu plakative Vorredner mit simplen Nachfragen zum Schweigen: „Wie wollen Sie das machen?“. Nach dem CSU-Chef, erzählt einer, sei sogar schon der „Seehofersche Leitsatz“ benannt. Der stammt aus einer Szene, als die Diskussion zwischen Fachpolitikern mal wieder von einem Detail ins nächste waberte und Seehofer ungeduldig dazwischenfuhr: „Wann schreiben wir auf, was wir im Grundsatz wollen?“

Die Kunst des schnellen Positionswechsels

Löwenstarker Auftritt, hätte man zu besseren CSU-Zeiten gesagt. Nur weiß niemand, wie viel Seehofers Wort noch wert ist. Und vor allem weiß keiner, ob der Mann überhaupt noch zu der Sorte Kompromissen fähig ist, ohne die ein so absonderliches Regierungsbündnis gar nicht denkbar erscheint. Wenn selbst ein grundvernünftiger Mann wie Seehofers Stellvertreter Christian Schmidt öffentlich erklärt, in der Flüchtlingsfrage habe seine Partei keinerlei Verhandlungsspielraum, dann erscheint die Lage ernst.

Darin steckt übrigens schon wieder eine sehr spezielle Ironie. Seehofer hat mit den Jahren den blitzschnellen Positionswechsel zur Kunstform entwickelt – bis hin zum Rückzug vom angekündigten Rückzug für das Jahr 2018. Aus allen Volten ging er schadlos hervor. Alle, die ihm nicht so schnell folgen konnten oder wollten, ließ er mit bübischem Lächeln als Deppen dastehen. Aber vielleicht gibt es eine natürliche Obergrenze für Wendemanöver? Vielleicht tickt irgendwo ein Zähler, und sein Vorrat ist aufgebraucht? Neulich hat er aus heiterem Himmel einer Tram-Strecke durch den Englischen Garten in München zugestimmt, die die örtliche CSU massiv bekämpfte. Dass ihn der halbe CSU-Bezirksvorstand später zum Rückzug aufforderte, hing mit diesem Schwenk zusammen. Wenn eine Lokal-Lappalie schon solche Folgen hat – wie viel Raum bleibt dann in Berlin?

Denn wenn es um die Macht geht, ist die CSU eine sehr nüchterne Partei. Als sich Seehofer im Frühjahr selbst zum Parteichef und Ministerpräsidenten über 2018 hinaus ausrief, hat keiner widersprochen. Der Zug schien logisch: Wer, wenn nicht er, versprach die absolute Mehrheit zu halten? Seit dem 24. September sieht die Kalkulation für viele anders aus. Selbst solche, die Söder nur für das nächste Unglück halten, rechnen jetzt vor: Horst Seehofer hat eine Wahl gewonnen – seine erste als Not-Nachfolger des unglücklichen Duos Erwin Huber und Günter Beckstein. Er hat aber zwei, mit der Kommunalwahl drei Wahlen verloren, erst die Europawahl, jetzt im Bund.

Die Gegenwart zerrt an der Partei

Wenn man schärfer hinschaut, kann man sogar sagen: Er hat beide wichtigen Wahlen mit der gleichen falschen Strategie verloren. Bei der Europawahl ließ er Peter Gauweiler gegen „die nackten Kaiser in Brüssel“ hetzen und den Euro-Parlamentarier Manfred Weber für Europa werben. Im Bund kamen die Hetze gegen Merkel und der Lobpreis für die Kanzlerin nacheinander. Das Ergebnis war das gleiche: kopfschüttelnde Wähler.

Vielleicht war das nicht einmal nur seine Schuld. Die CSU hat als Partei der absoluten Mehrheiten lange die Opposition gegen sich selbst gleich mit erledigt, schon weil die SPD nicht zählte. Sie konnte so das Unvereinbare in sich zusammenbinden, Reaktionäre und Liberale, bibeltreue Christen und Reformer.

Aber die Gegenwart zerrt auch an dieser Volkspartei. Die Reaktionäre haben eine Alternative, die Freien Wähler und die Grünen machen sich breit, die FDP ist zurück, sogar die Linkspartei rutscht plötzlich über die Fünf-Prozent-Hürde. Die Flüchtlingskrise hat den Prozess verstärkt, nicht ausgelöst. Es gibt inzwischen eine Opposition in Bayern. Auch deshalb funktioniert das alte Rezept nicht mehr, mit dem Horst Seehofer in einem halben Jahrhundert groß wurde.

Manchmal, wenn die Kameras gerade nicht auf ihn gerichtet sind, verschwindet das verschmitzte Lächeln aus seinem Gesicht. Dann steht da für ein paar Minuten ein alter Mann. Er kann sich jetzt nur noch Schritt für Schritt bewegen. Erst ein Jamaika-Papier mit dicken schwarzen CSU-Strichen. Dann – den Parteivorsitz verteidigen? Die Spitzenkandidatur auch – oder sie preisgeben? Sich nach Berlin ins Kabinett retten? Oder: aufhören?

Wahrscheinlich, sagt einer, der ihn wirklich gut kennt, wahrscheinlich weiß er das wirklich selber noch nicht.

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