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EU-Kommissionspräsident Barroso möchte im aktuellen Krisenmanagement gerne eine größere Rolle spielen. Foto: Vincent Kessler/Reuters

© REUTERS

Machtkampf in der EU: Europa streitet über den richtigen Weg

EU-Kommissionschef Barroso kämpft um Einfluss in der EU – doch die Mächtigen heißen Merkel und Sarkozy.

Berlin - Der Streit war absehbar, als sich Angela Merkel und Nicolas Sarkozy am 16. August im Élysée-Palast zu einem kleinen Krisengipfel trafen. Die Finanzmärkte in Europa spielten gerade verrückt, also musste ein starkes Signal der beiden Mächtigen aus Berlin und Paris her. Als Merkel und Sarkozy nach einem zweistündigen Gespräch vor die Presse traten, sprach Sarkozy das Zauberwort aus, das seither so viel Verwirrung in der EU-Zentrale in Brüssel und den europäischen Hauptstädten ausgelöst hat. Die Gründung einer „echten europäischen Wirtschaftsregierung“ forderte Sarkozy, und Merkel pflichtete ihm bei. Wenn auch die Details des Vorschlages der beiden zunächst einmal im Ungefähren blieben, war gleich klar, wer dabei auf der Verliererseite stehen würde: Kommissionspräsident José Manuel Barroso.

Der Portugiese Barroso hat lange zum Vorschlag Merkels und Sarkozys geschwiegen, doch in dieser Woche ist er in die Offensive gegangen. Erst erklärte er in seiner „Rede zur Lage der Union“ vor dem Europaparlament in Straßburg, dass eine EU-Wirtschaftsregierung in die Hände der von ihm geleiteten Behörde gehöre. Am Freitag legte Barroso nach. „Nur die Kommission, keine andere Institution und auch keine nationale Regierung kann europäische Gesetze vorschlagen“, sagte der Kommissionschef der „Süddeutschen Zeitung“.

Mit der Kampfansage Barrosos bricht in der EU ein alter Konflikt über die Frage auf, wer denn im gemeinsamen europäischen Haus eigentlich das Sagen hat: die mächtigen Nationalstaaten, allen voran Deutschland und Frankreich, oder die europäischen Institutionen, also die EU-Kommission, das Europaparlament oder der Europäische Gerichtshof. Im Verlauf der Finanzkrise, aus der eine europäische Schuldenkrise wurde, hat die EU-Kommission Stück für Stück Macht an Merkel, Sarkozy und Co. eingebüßt. Mit ihrem Vorschlag zur Einrichtung einer EU-Wirtschaftsregierung treiben die beiden Staatenlenker aus Berlin und Paris diese Entwicklung nun weiter voran. Denn wenn es nach ihnen geht, dann soll die verstärkte wirtschafts- und fiskalpolitische europäische Abstimmung, um die es bei einer solchen Wirtschaftsregierung geht, Sache der Nationalstaaten bleiben – und keinesfalls zum Einflussbereich der Kommission werden. Am 18. Oktober wollen nun die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone nach Diplomatenangaben bei einem Gipfel über das weitere Vorgehen beraten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, mit welchem Beschluss das Europaparlament kürzlich seinen Einfluss gestärkt hat.

Der Merkel-Sarkozy-Vorschlag hat zudem auch deshalb ein hohes Spaltpotenzial, weil er den Kreis der beteiligten Staaten auf die 17 Mitgliedstaaten der Euro-Zone beschränken würde. Nicht-Euro-Staaten wie Polen müssten also draußen bleiben. Zum Vorsitzenden der Euro-Wirtschaftsregierung, die mindestens zweimal pro Jahr Euro-Gruppen-Gipfel abhalten würde, soll der EU-Ratschef Herman Van Rompuy gewählt werden.

Nun glaubt Barroso, dass er mit einem wegweisenden Beschluss des Europaparlaments vom vergangenen Mittwoch wieder etwas Terrain im Kampf um die Macht in Europa zurückgewonnen hat. Nachdem das EU-Parlament in dieser Woche eine Verschärfung des Euro-Stabilitätspaktes gebilligt hat, sieht sich der Kommissionspräsident in der Rolle des europäischen Ober-Aufsehers über die Defizitsünder. „Die neuen Regeln verleihen der Kommission mehr Macht“, zeigt sich Barroso selbstbewusst. Schützenhilfe erhält er dabei vor allem aus dem EU-Parlament, das seinerseits seit Beginn der Krise ins Hintertreffen geraten ist. Der frühere belgische Ministerpräsident und Fraktionschef der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt, pflichtete dem Chef der Brüsseler Behörde in der Auffassung bei, dass man den Mitgliedstaaten unmöglich die Aufsicht über die Einhaltung ihrer Defizitgrenzen überlassen könne. „Ich stimme mit Herrn Barroso darin überein, dass die Mitgliedstaaten sich nicht selbst kontrollieren können“, sagte Verhofstadt dem Tagesspiegel. Aus diesem Grund hätten sich die Liberalen im EU-Parlament auch für eine Verschärfung des Stabilitätspaktes und eine gleichzeitige Führungsrolle für die EU-Kommission eingesetzt. „Natürlich stellt die EU-Kommission die Wirtschaftsregierung dar – und nicht eine zwei Mal im Jahr tagende Runde der Staats- und Regierungschefs“, sagte Verhofstadt weiter. Verhofstadt forderte Barroso aber auch auf, vor dem nächsten EU-Gipfel im Oktober rasch „konkrete Vorschläge und einen umfassenden Plan für den Ausweg aus der Krise“ vorzulegen.

Inzwischen geht es aber bei der Diskussion um die Macht in Europa um mehr als nur die Frage, wer denn demnächst die Euro-Stabilitätskriterien überwacht. Auch über neue Strukturen für Europa wird schon nachgedacht. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) plädierte in der „Zeit“ für eine Direktwahl eines EU-Präsidenten – ließ aber offen, wer dieses Amt eigentlich bekleiden soll. Derzeit gibt es nämlich gewissermaßen zwei EU-Präsidenten: Kommissionspräsident Barroso und Ratschef Van Rompuy. Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz (SPD), sprach sich dafür aus, die beiden Ämter zusammenzulegen. „Ein EU-Präsident sollte dann vom Europaparlament gewählt werden“, sagte Schulz dem Tagesspiegel. Allerdings ist das noch Zukunftsmusik – denn vor einer derartigen Neuregelung müssten die EU-Verträge geändert werden.

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