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Demonstranten in Kiew.

© dpa

Machtkampf in der Ukraine: Barrikaden ohne Ende

Der unter Druck stehende ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch lenkt ein, der Regierungschef Mykola Asarow tritt zurück. Dennoch sieht es derzeit nicht danach aus, dass die Aktivisten die Barrikaden verlassen. Ist ein Ende der Proteste absehbar?

In den Machtkampf in der Ukraine ist nach monatelangen Protesten von Gegnern des prorussischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch am Dienstag Bewegung gekommen: Die Regierung trat zurück, das Parlament setzte Gesetze zur Einschränkung des Demonstrationsrechts außer Kraft.

Wie verlief der Tag in Kiew?

Das ukrainische Parlament glich am Dienstag einem Abstimmungsfließband: Im Minutentakt las der Parlamentssprecher die zur Abstimmung stehenden Gesetze vor. Ohne Diskussion und einig wie nie im Verlauf der letzten Jahre stimmten die Abgeordneten von Opposition und Regierungspartei ab: Eins nach dem anderen wurden die repressiven Gesetze, die Janukowitschs „Partei der Regionen“ erst vor zwei Wochen per Handzeichen durchs Parlament geboxt hatte, und die zu Straßenschlachten im Zentrum der Stadt geführt hatten, wieder zurückgenommen. Über die einzelnen Punkte wurde nicht diskutiert, denn allen war klar: Den Versprechen, die Präsident Wiktor Janukowitsch am Montag der Opposition gegeben hatte, mussten nun Taten folgen. Dazu gehört auch die Überarbeitung der ukrainischen Verfassung, die das Land wieder in eine parlamentarisch-präsidentielle Republik verwandeln soll, was eine deutliche Beschneidung der Vollmachten des Präsidenten bedeutet. Erst am Nachmittag kam das Fließband im parlamentarischen Ablauf ins Stocken: Die Verabschiedung der mit dem Präsidenten ausgehandelten Amnestie für die im Laufe der Proteste angeklagten Aktivisten wurde auf den Mittwoch verschoben.

Wie kommen die Angebote Janukowitschs bei der Opposition an?

Das Regime hatte versöhnliche Signale ausgesandt: Nach einer Schweigeminute für die während der Proteste getöteten Demonstranten hatte Premierminister Mykola Asarow den eigentlichen Paukenschlag gesetzt, indem er seinen Rücktritt einreichte. Nach der ukrainischen Verfassung bedeutete das gleichzeitig den Rücktritt der Regierung. Auch das war eine Kernforderung der Opposition. Der Rücktritt wird am Mittwoch wirksam, allerdings stellt sich dann die Frage, wer nun die Regierung stellt. Janukowitsch hatte Vitali Klitschko den Posten eines Vizepremiers, Arsenij Jazenjuk den des Premierministers angeboten. Klitschko hat deutlich gesagt, dass er in keine Regierung unter Präsident Janukowitsch eintreten wird, Jazenjuk dagegen signalisierte zuletzt vage die Bereitschaft, „Verantwortung zu übernehmen“.

Nestor Schufritsch, Abgeordneter der „Partei der Regionen“, beklagte sich am Mittag über die Hasenfüßigkeit der Opposition: „Wir haben alle mit der Opposition getroffenen Vereinbarungen erfüllt. Die Opposition hat vom Präsidenten das Angebot bekommen, die Regierung zu stellen. Aber sie fürchten sich, Verantwortung zu übernehmen“, sagte er dem Tagesspiegel. Er geht deshalb davon aus, dass auch die nächste Regierung von der „Partei der Regionen“ gestellt wird, da sie über die meisten Sitze im Parlament verfüge. Aber Schufritsch glaubt, dass ein künftiger Premierminister sich durch Konsultationen mit den im Parlament vertretenen Parteien die nötige Unterstützung holen und eine Art „Regierung der nationalen Einheit“ bilden wird. Einen Rücktritt des Präsidenten vor den für Anfang 2015 vorgesehenen Wahlen schließt er aus: „Wiktor Janukowitsch ist der legitime Präsident unseres Landes.“

Damit bleibt auch die wichtigste Frage offen. Der harte Kern der Protestbewegung auf dem Kiewer Maidan-Platz, der nach zweieinhalb Monaten auf unter zehntausend Menschen zusammengeschrumpft ist, hat nach den gewalttätigen Zusammenstößen mit mindestens sechs Todesopfern nur noch eine Forderung: Präsident Janukowitsch soll zurücktreten.

Wie ist die Situation im Land?

Um zu untermauern, dass er noch genügend Unterstützung im ganzen Land hat, ließ der Präsident in der Nacht zum Dienstag aus dem Süden und Osten des Landes rund 40 000 Menschen zu einem „Antimaidan“ unweit des Parlaments herankarren. Zu dieser Strategie passte auch das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Versuche der Oppositionsaktivisten, im Süden und Osten des Landes die Regionalverwaltungen zu besetzen. In den westlichen Landesteilen blockieren Protestler seit Tagen die Verwaltungsgebäude. Einmal mehr zeigt sich, dass das Land noch immer zweigeteilt ist: Im Westen und im Zentrum haben die nationalistischen und proeuropäischen Ukrainer das Sagen, der Süden und Osten stützt Janukowitsch und eine Politik, die eher die Nähe zu Russland sucht.

Wie reagiert man in der Ukraine auf Ratschläge aus dem Ausland?

Während am Dienstag Russlands Präsident Wladimir Putin beim EU-Russland-Gipfel in Brüssel mit dem Thema Ukraine konfrontiert wurde, versuchte die EU auch unmittelbar vor Ort, im ukrainischen Machtpoker mitzuspielen. Seit Tagen ist eine Gruppe von EU-Parlamentariern unter Leitung des Deutschen Elmar Brok in Kiew, am Dienstag reiste die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton zu Verhandlungen mit Janukowitsch und der Opposition nach Kiew.

Als neutrale Vermittler können die EU-Vertreter in Kiew jedoch kaum auftreten: Zu deutlich haben viele Vertreter zu Beginn der Proteste ihre Sympathie für die Opposition gezeigt und damit viele Ukrainer vor den Kopf gestoßen. „Wir sind dankbar für Hilfe von außen, etwa wenn der amerikanische Botschafter sich für eine Beendigung der Besetzung des Justizministeriums einsetzt“, sagt Wladimir Olejnik, ebenfalls Abgeordneter der „Partei der Regionen“, am Abend dem Tagesspiegel und fügt hinzu: „Aber sie sollten sich nicht einmischen.“

Werden die Aktivisten die Barrikaden und besetzten Regierungsgebäude verlassen?

Danach sieht es derzeit nicht aus. „Eine andere Regierung? Dann bleibt doch alles beim alten“, schimpft Wiktor, ein maskierter Wächter an einer Barrikade unweit der Präsidialverwaltung. „Der Präsident muss weg, nur dann ändern sich die Dinge“, sagt er. Dann geht er zu seinen Kameraden der „7. Hundertschaft der Selbstverteidigung“ und hilft ihnen, einen haushohen, aus Balken gezimmerten Wachturm hinter der Barrikade aufzustellen. Eine Fortsetzung der Besetzungen im Stadtzentrum führt jedoch das geplante Amnestiegesetz ad absurdum: Es sieht vor, alle Verfahren einzustellen, die wegen Straftaten ab dem 26. Dezember des vergangenen Jahres im Zusammenhang mit den Protesten eingeleitet wurden. Eine Amnestie für Straftaten nach Inkrafttreten des Gesetzes schließt es jedoch nicht ein.

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